Isinbajewa hob nicht einmal den Kopf, als in diesem Moment Sanya Richards zur Stadionrunde lossprintete
Eine Million für zwei Golden Girls – Istaf: Stabhochspringerin Isinbajewa und 400-m-Läuferin Richards teilen sich den Jackpot – Jens Hungermann und Jörg Rößner
Da saß sie nun in sich gekehrt auf dem Boden, die Kappe tief ins Gesicht gezogen, und konnte nichts tun als warten. Gewonnen hatte Jelena Isinbajewa ihren Stabhochsprung-Wettbewerb bereits, mit 4,82 Meter überlegen wie immer.
Warmes Spätnachmittaglicht schien durch das Marathontor des Olympiastadions auf sie herab, während 30 Meter neben der Russin der Startschuss fiel zur Beantwortung der entscheidenden Frage: 500 000 US-Dollar oder eine Million in Gold für sie – halber Jackpot oder ganzer?
Isinbajewa hob nicht einmal den Kopf, als in diesem Moment Sanya Richards zur Stadionrunde lossprintete, und die Russin sah auch nicht, wie die Amerikanerin die Konkurrenz abhängte und aufs Ziel zulief. Aber sie hörte am Jubel der Zigtausende auf den Rängen, dass die entscheidende Frage beantwortet war: Isinbajewa und Richards teilen sich nach jeweils sechs Siegen in sechs Golden-League-Meetings den Jackpot.
„Jelena hat mich mein Bestes geben lassen“, sagte Richards später: „Es war heute hart für mich, besonders mental.“ In 49,27 Sekunden hatte sie ihre Konkurrentinnen deklassiert und ihre Stellung als beste 400-Meter-Läuferin der Saison untermauert – wenngleich sie sich ja für die Weltmeisterschaften in Osaka nicht qualifiziert hatte. „Darüber bin ich jetzt weg“, beteuerte die 22-Jährige lächelnd und bekannte gar: „Ich bin froh, dass wir es beide geschafft haben.“
Doch auch wenn Richards‘ Konkurrentin Isinbajewa sich ihren Anteil im Millionenspiel sicherte, eines gelang der Russin nicht: ihren eigenen Weltrekord auf 5,02 Meter zu verbessern. Dennoch bot das Istaf zu seinem 70-jährigen Bestehen auch ohne eine neue Bestmarke hohen Unterhaltungswert. Die – offiziell – 70 352 Zuschauer erlebten bei prima Bedingungen in komprimierter Form Weltklasse-Leichtathletik und -athleten.
Blanka Vlasic zum Beispiel, die kroatische Überfliegerin. Gestern gewann sie den Hochsprung-Wettbewerb mit der Höhe von 2,00 Metern, an die angekündigten 2,10 Meter wagte sie sich dann doch nicht mehr heran. Sie sagte: „Nur knapp 48 Stunden nach dem Meeting in Brüssel war der Sieg heute das Wichtigste für mich.“
Oder Jeremy Wariner, der amerikanische 400-Meter-Wundersprinter. In einer Zeit von 44,05 Sekunden deklassierte er die anderen Läufer um den deutschen Ex-Europameister Ingo Schultz (46,58) und sagte stellvertretend für viele der zum Saisonende ausgelaugten Top-Athleten: „Nach all den Wettkämpfen dieses Jahr war ich schon ziemlich müde und muss mich erholen. Das Olympiastadion war fast ausverkauft und ich glaube, es hat mir geholfen, dass mich das Publikum angefeuert hat.“
Besonders laut wurde es erwartungsgemäß, wenn deutsche Athleten in den Kampf um vordere Plätze eingriffen. Die einzigen beiden Siege für Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) feierten Stabhochspringer Danny Ecker und Speerwerferin Christina Obergföll. Die Europarekordhalterin rehabilitierte sich mit 64,58 Metern für ihre Niederlage bei der WM in Osaka gegen die Tschechin Barbora Spotakova, die gestern mit 64,51 Metern Zweite wurde. Steffi Nerius belegte Rang drei (64,49).
Wegen der WM 2009 in Berlin war das Istaf gestern zum vorerst letzten Mal Finalstation der Golden League. In den nächsten beiden Jahren wird es bereits Anfang Juni stattfinden. Im Oktober will der Leichtathletik-Weltverband IAAF dann das Konzept der lukrativen Top-Serie für die Zeit nach 2010 überdenken.
IAAF-Präsident Lamine Diack sagte der Morgenpost: „Wir werden nicht nur sehr sorgfältig abwägen, welches das beste Golden-League-Meeting ist, und es dann künftig an das Ende der Serie legen. Wir werden auch überlegen, ob es bei sechs Meetings bleibt oder ob es nicht acht oder zehn oder wie viele auch immer sein sollen.“
Jens Hungermann und Jörg Rößner
Berliner Morgenpost
Montag, dem 17. September 2007
Istaf macht Lust auf die WM 2009 – Kommentar Von Jens Hungermann
Spätestens als Herbert Grönemeyers WM-Hymne erklang, werden sich die Nostalgiker unter den Stadiongängern an den Fußball-Sommer 2006 erinnert haben. Sonnenschein, Spitzensport, ein volles Berliner Olympiastadion – und am Ende gewinnen doch die anderen. „Zeit, dass sich was dreht“, dröhnte also gestern Nachmittag zum Auftakt des Istafs aus den Lautsprechern. Und es drehte sich Einiges. Es geht zum Beispiel durchaus, eine der größten Arenen Europas mit einer Nicht-Fußball-Veranstaltung zu füllen – auch wenn es dabei eines Kniffs bedurfte.
Der Istaf-Titelsponsor hatte mit einer Finanzspritze dafür gesorgt, dass zu günstigen Preisen selbst aus der Ferne Gruppen nach Berlin reisten. 70 352 Zuschauer registrierten die Organisatoren offiziell. Das Istaf hat Lust gemacht auf die Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2009 an selber Stelle. Mit einem knackig-kompakten Programm, diversen Stars und prima Stimmung. Schade nur, dass die werfenden WM-Helden Franka Dietzsch, Robert Harting und Betty Heidler nicht am Start sein durften.
Sie hätten es verdient gehabt – und die Zuschauer auch.
Jens Hungermann
Berliner Morgenpost
Montag, dem 17. September 2007