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01
10
2007

Die echte Marathonläuferin, die Frau, die jetzt weiß, dass die 42,195 Kilometer ihre neue Strecke sind, die so ein Rennen nicht nur als Experiment betrachtet.

Mit Ruhe und Kraft – Mikitenko belegt bei ihrem Debüt gleich Platz zwei – Frank Bachner im Tagesspiegel

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Berlin – Irgendwann konnte Irina Mikitenko diesen Satz nicht mehr hören, dieses Appellierende: „Der Marathon hat noch nicht begonnen, bleib ruhig.“ Warum hatte der Marathon noch nicht begonnen, sie lief doch schon seit 30 Kilometern, was redete ihr Mann denn da?
Bleib ruhig, sagte Alexander Mikitenko auch bei Kilometer 35, und bei Kilometer 37 noch mal. Aber da hatte seine Athletin dann genug. Sie fühlte sich gut, also steigerte sie das Tempo. Nach 2:24:51 Stunden lief sie durchs Ziel, und seit dieser Sekunde gibt es die Marathonläuferin Mikitenko.

Die echte Marathonläuferin, die Frau, die jetzt weiß, dass die 42,195 Kilometer ihre neue Strecke sind, die so ein Rennen nicht nur als Experiment betrachtet. Irinia Mikitenko vom TV Wattenscheid hat in ihrem ersten Marathon gleich den zweiten Platz belegt, nur die Favoritin Gete Wami aus Äthiopien war schneller (2:23:17). Und 2:24:51 Stunden hatte bei einem Debüt noch keine andere Läuferin in Deutschland erreicht. „Das ist die richtige Strecke für mich, ich habe das Rennen überaus genossen“, sagt sie. Ihre Strecken waren bisher die 5000 Meter und die 10 000 Meter, vom Marathon wusste sie nur, dass bei Kilometer 30 der Mann mit dem Hammer kommen soll. Deshalb sollte sie auch ruhig bleiben, sie würde ihre Reserven noch benötigen.

Doch Irina Mikitenko benötigte nicht viel, nicht mal nach dem Rennen. „Alle haben gesagt: Du musst nach dem Rennen viel trinken oder Süßigkeiten essen.“ Sie hatte auf beides keine Lust. Sie hatte „einfach ihren Spaß“, das war wichtig. Die 35-Jährige kann nicht erklären, warum es so locker ging. Wie auch, sie hat ja keine Vergleichsmöglichkeiten.

Aber sie hat jetzt mehr Gespür fürs Tempo, für Tempowechsel. Bei Kilometer 30 hatte sie mal schon mal kurz Gas gegeben, einen Kilometer lang, dann stoppte sie wieder ab. „Es war ein Fehler zu beschleunigen“, sagt sie. „Ich hätte in dem Moment wirklich ruhig bleiben sollen. Du brauchst Erfahrung im Marathon.“ Mikitenko hat aus ihrer Sicht nicht viel falsch gemacht, sie lief einfach nach Instinkt. Aber auf Dauer hilft das natürlich nicht. Sie will ja jetzt noch einige Jahre Marathon laufen, einen davon bei den Olympischen Spielen 2008.

Es wäre ihr vierter Olympia-Auftritt, 2000 in Sydney belegte sie Platz fünf über 5000 Meter, ihr bestes Olympiaresultat. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie wäre schon früher zum Marathon gewechselt, jetzt, nach dieser Erfahrung. Aber das ist Theorie, außerdem sagt Mikitenko: „Ich finde nicht, dass ich zu spät gewechselt bin. Ich habe meine Erfahrungen auf der Bahn gesammelt.“

Nach dem Rennen hat ihr Sohn kurz angerufen. Der Zwölfjährige hatte extra auf sein Fußballspiel verzichtet, um die Mama im Fernsehen zu beobachten. „Er war stolz auf mich“, sagt Irina Mikitenko. Der Papa auch, er blieb spätestens nach dem Zieleinlauf selber nicht mehr ruhig.

Frank Bachner
Der Tagesspiegel
Montag, dem 1. Oktober 2007

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