Mexikanischer Politiker kürzt beim Berlin-Marathon ab
Der schnellste Mann von Mexiko – Roberto Madrazo gilt als besonders erfindungsreicher Politiker. Nun hat er beim Berlin-Marathon abgekürzt – Wiebke Hollersen in der Berliner Zeitung
Ein prominenter mexikanischer Politiker kürzte beim real,- Berlin-Marathon ab, was ihm im Nachhinein zum Verhängnis wurde. Roberto Madrazo ist der prominenteste Läufer, der in der Geschichte des Rennens disqualifiziert wurde.
Betrugsversuche wurden auf der Rundstrecke in Berlin schon immer unternommen, besonders natürlich vor der Chip-Zeitmessung. Es gab Läufer, die zwischendurch mal in die U-Bahn stiegen, um günstige Verbindungen zu nutzen – früher beispielsweise von Kilometer 19 bis Kilometer 39. Andere hatten irgendwo ein Fahrrad deponiert. Einer der dreistesten Versuche passierte 1984. Damals gab es für die schnellsten Berliner noch eine Bezirkswertung. Der beste Kreuzberger Läufer war ein 16-jähriger Junge, der nur wenige Minuten hinter dem Sieger John Skovbjerg das Ziel erreichte.
Auch nach Einführung des Zeitmesschips, mit dem auch die Zwischenzeiten registriert werden, gibt es immer wieder Läufer, die nachweislich abkürzen. Dieses Mal sogar ein prominenter Politiker. Nach 2:40:57 Stunden war Roberto Madrazo ins Ziel gestürmt. Damit hatte der Mexikaner, der bei den letzten Wahlen seines Landes als Präsidentschaftskandidat gescheitert war, vermeintlich seine Altersklasse M55 gewonnen. Einer der ersten, dem dies spanisch vorkam, war ein Fotograf, der im Zielbereich Fotos machte. Auf seinem Bild sieht man, dass Madrazo keine Schweißperle im Gesicht hat und zugleich ziemlich dick angezogen ist. Mit mindestens zwei Jacken und einer langen Hose war Roberto Madrazo beim Berlin-Marathon unterwegs.
Nachforschungen ergaben, dass Roberto Madrazo keinen Marathon gelaufen sein konnte. Die mittels Chip am Schuh festgehaltenen Zwischenzeiten fehlten für die Kilometerpunkte 25 und 30. Und die Punkte 20 und 35 km liegen in Berlin nur wenig mehr als einen Kilometer auseinander. Roberto Madrazo kürzte entweder ab – oder er ist mehr als doppelt so schnell gerannt wie Haile Gebrselassie! Denn für die 15 km vom 20- zum 35-km-Punkt benötigte er lediglich 21 Minuten. Damit hätte der Mexikaner inoffiziell mehrere Weltrekorde gebrochen und wäre in Berlin fast so schnell unterwegs gewesen wie ein Auto. Die Veranstalter des Berlin-Marathons disqualifizierten den rennenden Politiker.
Für die mexikanische Presse war dies ein gefundenes Fressen, denn Roberto Madrazo wird in Artikeln als, gelinde gesagt, nicht integer beschrieben. Ausgerechnet über den Berlin-Marathon stolperte der Mexikaner.
Fünf Kilometer in 25 Minuten, das ist nicht schlecht für den Beginn eines Marathons. Vor allem, wenn man 55 ist und das Laufen eher nebenher betreibt. So wie Roberto Madrazo aus Mexiko, der gestern vor einer Woche beim Berlin-Marathon mitgelaufen ist. Madrazo ist eigentlich Politiker, er ist ziemlich bekannt in seinem Land. Weil er im vergangenen Jahr Präsident werden wollte, weil er lange Gouverneur eines Bundesstaats war.
Vor allem aber, weil es bei Wahlen, an denen Madrazo teilnahm, oft Probleme gab. Stimmzettel verschwanden, unerlaubt hohe Wahlkampfspenden tauchten auf. Seine Gegner sagen, Madrazo sei einer der korruptesten Politiker in Mexiko.
Am Sonntag vor einer Woche kam Madrazo beim Berlin-Marathon als erster in seiner Altersklasse ins Ziel. Er hatte gewonnen, keine Wahl zwar, aber immerhin ein großes Rennen. Madrazo lief zwei Stunden, 41 Minuten und zwölf Sekunden. Haile Gebrselassie aus Äthiopien, der den Marathon in Weltrekordzeit gewann, war nur 37 Minuten schneller.
Bei der Präsidentschaftswahl in Mexiko 2006 wurde Madrazo dritter, danach hatte er in der Politik wenig zu tun. Er lief Marathon, in Berlin den dritten in diesem Jahr. Seitdem ist er in Mexiko wieder in den Schlagzeilen – weil es wieder Probleme gab. Die Marathon-Organisatoren haben Madrazo am Wochenende disqualifiziert. Rennleiter Mark Milde sagt, er wolle Madrazo nichts unterstellen. Aber die Zwischenzeiten des Mexikaners stimmten nicht.
Beim Marathon in Berlin tragen die Läufer einen Chip am Schuh, alle fünf Kilometer laufen sie über eine Matte, so wird ihre Zwischenzeit registriert. Madrazo brauchte anfangs für fünf Kilometer jeweils 25 Minuten. Das ist nicht schlecht, aber keine Zeit, mit der man einen Marathon gewinnt. Bei Kilometer 25 und 30 fehlen Madrazos Zeiten. Erst an der nächsten Matte wurde sein Chip wieder registriert. Er hatte von Kilometer 20 bis Kilometer 35 nur 21 Minuten gebraucht. Zwischen beiden Kontrollpunkten liegen nur ein paar hundert Meter, sagt Rennleiter Milde. Wenn man eine Abkürzung nimmt.
Madrazo gehört der Partei der Institutionalisierten Revolution an, die Mexiko 71 Jahre lang allein regiert hat. Nach einer der Wahlen, die Madrazos Partei gewann, brach bei der Stimmenauszählung das Computersystem zusammen. So konnten die Ergebnisse später nicht überprüft werden. Vielleicht hat Madrazo gedacht, dass ein paar fehlende Zeiten im System niemanden stören. Vielleicht wollte er nur mal wieder gewinnen. Auf dem Zielfoto aus Berlin streckt er die Arme in die Luft. Er sieht nicht besonders müde aus, er schwitzt nicht. Er trägt eine Jacke. Die Läufer um ihn herum tragen dünne Hemden, die an ihren Körpern kleben. Madrazo lacht in die Kamera.
Wiebke Hollersen
Berliner Zeitung,
Montag, dem 08.10.2007