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09
10
2007

Am 11. Januar entscheidet der Richter über das Strafmaß, die Staatsanwaltschaft hat sechs Monate in Aussicht gestellt.

Marion Jones – Auch Tränen können lügen – Das herzerweichende Doping-Geständnis von Marion Jones enthält immer noch Unglaubwürdiges – Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Erstmals in der Geschichte des Dopings im Spitzensport wird eine prominente Sportlerin eine Gefängnisstrafe absitzen müssen – zwar nicht direkt wegen eines Verstoßes gegen die Antidoping-Regeln, aber dieser war immerhin der Anlass für zwei Anklagen wegen Falschaussagen gegenüber Strafverfolgern, die nun zu einer Verurteilung führen werden.
Die dreifache Olympiasiegerin im Sprint und dreimalige Weltmeisterin Marion Jones-Thompson hat sich am Nachmittag des vergangenen Freitags (Ortszeit) vor einem Distriktrichter in White Plains (New York), wie von ihr angekündigt, in beiden Punkten für schuldig erklärt. Am 11. Januar entscheidet der Richter über das Strafmaß, die Staatsanwaltschaft hat sechs Monate in Aussicht gestellt. Bis zum Januar-Termin ist Jones-Thompson unter Auflagen auf freiem Fuß.

„Ihr habt das Recht, auf mich böse zu sein“

Nach der Verhandlung am Freitag gab Jones-Thompson, die vier Jahre lang jegliches Doping geleugnet und auf mehr als 160 unbeanstandete Dopingtests verwiesen hatte, vor dem Gerichtsgebäude eine herzerweichende, von mehreren Weinkrämpfen unterbrochene und am Ende sogar mit Beifall der Zuhörer bedachte Erklärung ab, bei der sie auch ihren Rücktritt vom Leistungssport offiziell verkündete. „Mit einer großen Menge Scham stehe ich vor euch und muss euch sagen, dass ich euer Vertrauen missbraucht habe“, sagte sie frei sprechend, „ich war unehrlich, ihr habt das Recht, auf mich böse zu sein. Ich habe meine Familie enttäuscht, mein Land und mich selbst.“ Marions Mutter, die während der Erklärung direkt hinter ihr stand, muss die Rede der Tochter gefallen haben, klopfte sie ihr doch am Schluss mit den Worten „good job“ auf die Schulter.

Geschliffene Worte

Marion Jones-Thompson, wie sie sich nach der Heirat 2006 mit dem ehemaligen Sprinter Obadele Thompson (Barbados) nennt, schien gut vorbereitet zu sein für diesen Auftritt. Ihre Worte waren geschliffen wie die aus dem am Freitag bekannt gewordenen und inzwischen in voller Länge vorliegenden Brief an die „liebe Familie und enge Freunde“. Bereits in ihm hatte sie ihre Dopinglügen gestanden. Die auffälligste Passage des Schreibens ist jedoch gleichzeitig die unglaubwürdigste. Dass sie zweieinhalb Jahre ein illegales Mittel zu sich genommen hatte, will Jones erst vier Jahre, nachdem sie erstmals von Coach Trevor Graham die Dopingsubstanz THG verabreicht bekam, realisiert haben:
Nämlich während des Verhörs in November 2003 bei den von ihr angelogenen Strafverfolgern. Eine Behauptung in Notwehr, oder eher ihre dritte Lüge? Wie korrespondiert ihre angebliche Unwissenheit mit Aussagen aus dem Jahr 2004 von ihrem ersten Ehemann C.J. Hunter und von Victor Conte, dem Chef der berüchtigten Firma Balco?

Zeitlich unabhängig voneinander schilderte zunächst Hunter den Justizagenten, wie er 2000 anwesend war, als Jones sich selbst den Sauerstoffbeschaffer Epo injizierte. Conte ergänzte später in einem Interview mit dem TV-Sender ABC, er sei bei Olympia in Sydney neben Jones gesessen, als die sich nicht nur das im Brief erwähnte anabole Steroid THG, sondern auch Insulin und Wachstumshormone eigenhändig spritzte. Wenn Conte log, warum zog Jones dann eine Verleumdungsklage gegen ihn zurück? Und wie war es um ihre Unwissenheit bestellt, als Conte von ihr Urin einsammelte, um den im US-Labor Quest sicherheitshalber vor Wettkämpfen testen zu lassen – eine Methode, die früher im DDR-Sport angewendet wurde?

Pikante Details am Rande

Unklar sind nach den Ereignissen des vergangenen Wochenendes zwei weitere Sachverhalte: Welche Auswirkung haben Jones’ Aussagen in Bezug auf ihren ehemaligen Trainer Graham? Und was geschieht mit ihren Medaillen und Preisgeldern? Graham muss sich am 26. November vor Gericht des Vorwurfs erwehren, die Strafverfolger dreimal belogen zu haben, als er behauptete, niemals Dopingmittel an Athleten verteilt zu haben. Ein pikantes Detail der Causa Graham: Seine Frau Ann, eine Polizistin, war 2003 Drogenagentin im Sheriff-Büro von Wake County (North Carolina) – genau in der Zeit also, in der Trevor Graham mit dem Versand einer THG-Spritze den Balco-Fall ins Rollen brachte. Der Vorgesetzte von Ann Graham erklärte jetzt, sie sei nicht verwickelt in die Sache.

Peter Ueberroth, Chef des Olympiakomitees der USA, fordert die zurückgetretene Sprinterin auf, gar nicht erst auf einen IOC-Entscheid zu warten, sondern ihre insgesamt fünf Medaillen von Sydney aus eigenem Antrieb zurückzugeben. Fünf Medaillen sind es auch, die Jones bei den Weltmeisterschaften 1999 und 2001 gewann. Die bei Weltmeisterschaften, Grand Prix’ und Golden League gewonnenen Preisgelder summieren sich auf mehr als 1,2 Millionen Dollar; viel Geld für jemanden, der angeblich pleite sein soll. Der Weltverband IAAF, der wie das IOC die Geschehnisse acht Jahre zurückverfolgen darf, gibt sich noch zurückhaltend; erst müsse man offizielle Informationen aus den USA bekommen.

Ein weiteres pikantes Detail: Verliert Marion Jones ihr 100-Meter-Gold von Sydney, rückt die damalige Zweite Katerina Thanou nach, die 2004 wegen dreimaliger Verweigerung eines Dopingtests zwei Jahre gesperrte Griechin.
Dick Pound, der Chef der Weltantidopingagentur Wada, findet das „ganz besonders bitter“.

Michael Gernandt
Süddeutsche Zeitung
Montag, dem 8. Oktober 2007

author: GRR

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