Die Laufgruppe der LG NORD Berlin gilt nicht zu Unrecht als eine der besten in ganz Deutschland. Die Gründe für den Erfolg mögen den einen oder anderen „Traditionalisten“ überraschen.
Anatomie des Erfolges – Philip Häfner über die Hauptstadtläufer aus der Trainingsgruppe der LG NORD Berlin
Die Erkenntnis ist ebenso einleuchtend wie erschreckend. Ohne die Hauptstadtläufer aus der Trainingsgruppe der LG NORD Berlin stünde der deutsche Mittel- und Langstreckenlauf wohl bald am Ende. Neben den Läuferinnen und Läufern vom TV Wattenscheid sind die Athleten von Trainer Prof Dr. Roland Wolff („Rolli“) fast die einzigen, die auf den Strecken von 800 bis 3000 Meter international mithalten können.
Leuchtende Beispiele sind die Erfolge eines Carsten Schlangen, der den DLV 2006 bei den Europameisterschaften vertrat und zuletzt auch beim IAAF Golden League-Meeting in Berlin eine gute Figur machte, aber auch Franek Haschke (Europacupteilnehmer 2007), Falko Zauber (von 2005 bis 2007 dreimal in Folge für internationale Meisterschaften der U20 qualifiziert) oder Norbert Löwa als Achter der Junioren-EM 2005 müssen sich mit ihren Leistungen keineswegs verstecken.
Auf nationaler Ebene werden die Bedeutung und die Stärke der Berliner Laufgruppe noch deutlicher. Im Sommer holten sowohl Schlangen über 1500 Meter als auch Moritz Höft über 800 Meter den deutschen Meistertitel, Löwa gewann trotz Verletzungssorgen Silber über 3000 Meter Hindernis. Auch das Laufen im Gelände gehört zu den Stärken der Hauptstädter, 2006 siegte Jonas Stifel bei den Deutschen Crossmeisterschaften. Und dann war da im selben Jahr ja noch das Tüpfelchen auf dem „i“, jener Doppelerfolg (Gold und Bronze) bei den Deutschen Staffelmeisterschaften über 3×1000 Meter – jener Tag, an dem spätestens feststand: Diese Leistungsdichte in einer Trainingsgruppe ist einmalig in Deutschland!
Wer nun dachte, die Erfolge wie am Fließband seien das Ergebnis ausgeklügelter Trainingsplanung und sensationell neuer Trainingsmethoden, der wird sich ganz schön wundern und seine Meinung teilweise revidieren müssen. „Es ist überhaupt keinen Trainingsplan“ erklärt zum Beispiel Carsten Schlangen, „und das ist auch super!“ Erst nach dem Einlaufen erfahren die Hauptstadtläufer von ihrem Trainer, was bei der heutigen Einheit auf dem Programm stehen wird. Für 1500-Meter-Läufer Schlangen bringt diese Methode nur Vorteile mit sich. „Niemand muss sich den Tag über damit den Kopf zerbrechen, dass es abends diese oder jene Einheit zu absolvieren hat“, sagt er.
Ein weiterer Vorteil: „Roland Wolff reagiert dafür aber auch immer wieder auf die Vorschläge seiner Athleten, das ist absolut positiv.“ Zum genauen Inhalt des Trainings will man in Berlin lieber nicht zu viel verraten – „das ist Betriebsgeheimnis“, erklärt Schlangen – aber ein bisschen etwas wird dann doch preisgegeben. „Unser Training ist eher durch qualitative Arbeit geprägt“, erklärt der Deutsche Meister, „und durch viele versteckte Leistungen wie Staffelläufe. Dagegen machen wir eigentlich kaum häufige Wiederholungen, sondern in der Regel eher pyramidenartige Tempolaufkombinationen.“
Weitere Vorteile für den Trainingsbetrieb ergeben sich laut Carsten Schlangen aus der heterogenen Zusammensetzung der Gruppe. Von Jung (der 19-jährige Alexander Hudak) bis Alt (Franek Haschke befindet sich mit 27 Jahren bereits im etwas fortgeschrittenen Alter) reicht die Spanne in der LG NORD, zudem trainiert ein Hindernisläufer wie Norbert Löwa eben doch ein wenig anders als die „Sprinter“ auf der 800-Meter-Strecke. EM-Teilnehmer Schlangen freut sich darüber und blickt dabei auch jenseits der Tartanbahn: „Auch über das Training hinaus ist es für uns ´Alte`wichtig, auch mal wieder zu sehen, wie die Jüngeren gewissen Dinge angehen.
Für die Jüngeren ist es auf der anderen Seite sehr wichtig“, erklärt er, „außerhalb der Schule und Familie den Umgang in einer Gemeinschaft zu erproben. Es wird von jedem erwartet, dass er sich einbringt – sonst ist es schnell vorbei mit dem Hauptstadtläuferdasein.“ Ernsthaft bestehen tut diese Gefahr aber nicht. Damit die „Männerfreundschaft“ funktioniert und die Läufer ständig bei Laune gehalten werden, hat die Trainingsgruppe nämlich ihre ganz eigenen Rituale eingeführt, die keiner der Läufer so schnell missen möchte. Schlangen lächelt: „Ich sag nur Kuchenbacken nach persönlichen Bestleistungen und Sterneessen im Trainingslager!“
In diesem Jahr werden die Sterne erneut unter dem Himmelszelt Finnlands gegessen.
Kurz vor Weihnachten werden die „Rollis“ in Kuusamo im Nordosten des skandinavischen Landes ein einwöchiges Skilanglauftrainingslager absolvieren. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Läufer anstelle von Spikes und Laufschuhen die dünnen Bretter unter die Füße schnallen, wie Carsten Schlangen berichtet. „Bereits vor zwei Jahren habe ich für die Gruppe ein solches Trainingslager in Östersund in Schweden organisiert“, sagt der 26-Jährige, der sich selbst als „Skilanglaufsüchtigen“ bezeichnet. „Ich liebe es, im kalten Winter in diesen wunderbaren Gegenden unterwegs zu sein“, schwärmt er, „die Ruhe, die man dort findet, ist für mich immer wieder sehr erholsam.
Man hält an…und man hört nichts! Kein Grundrauschen wie hier in Berlin.“ Doch die Hauptstadtläufer reisen nicht nur zur Entspannung vom Lärm und Stress der Großstadt in die weiße Wunderwelt, man macht sich auch die enormen Trainingseffekte des Wintersportes zu nutzen.
Schlangen blickt zurück: „Im letzten Jahr bin ich jeden Tag etwa einen Marathon auf Skiern gefahren – und eine Woche nach dem Trainingslager bin ich fast die Qualifikationsnorm für die Hallen-Europameisterschaften über 3000 Meter gelaufen.“ Für den 26-Jährigen gehört der Skilanglauf somit inzwischen zum festen Trainingsalltag. „Es ist für den Jahresverlauf eine sehr gute Sache, auch immer mal wieder semispezifische Trainingsblöcke einzusetzen“, erläutert er, „dadurch werden die Belastungen für den Bewegungsapparat minimiert und der Körper auch mal ganz anders gefordert.“
Innovativ geben sich die Athleten der LG NORD auch in anderen Bereichen, beispielsweise der Vermarktung der Trainingsgruppe angeht. „Die wichtigsten Neuerungen in diesem Jahr waren sicherlich die neue Webseite www.hauptstadtlaeufer.de und die Neuaufstellung meiner eigenen Webseite www.carsten-schlangen.de“, erklärt der Deutsche Meister, der sich von allen Läufern der Gruppe am meisten um die Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Doch selbst die gut frequentierte Internetpräsenz stellt den gebürtigen Meppener nur bedingt zufrieden, strebt er doch in Zukunft noch ganz andere Dinge an.
Mit der bekannten deutschen Laufzeitschrift „Runner’s World“ habe man eine Vereinbarung auf exklusive Berichterstattung aus dem Skitrainingslager getroffen und möchte von dort aus auch das erste Mal regelmäßige Videobeiträge online stellen. „De Webseite soll wesentlich multimedialer werden“, erklärt Schlangen die eigenen Visionen, „mehr Videos, mehr Audiomitschnitte, mehr Fotos.“
„Es geht mir einfach darum, dass die Leute besser nachvollziehen können, was es bedeutet, Sport auf diesem Niveau zu betreiben“, sagt er. Sollte das Vorhaben gelingen, könnte in Deutschland das erste Mal die Verbindung zwischen dem Leistungsport an der Spitze und dem breitensportlichen Laufphänomen an der Basis geschaffen werden.
Spätestens dann müssten die Hauptstadtläufer mit ihrer mehrfachen Vorreiterrolle als die Avantgarde des deutschen Ausdauersports betrachtet werden.
Philip Häfner