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2007

Die warmherzige, humorvolle und kluge geistliche Leitung seit 1985 in dieser Läuferkirche durch meinen Freund Knut Soppa ist für mich unverzichtbar geworden, ich bin süchtig nach ihr.

Die Predigt vom Berliner Läufer-Gottesdienst 2007 – zu Weihnachten – Pfarrer i.R. Klaus Feierabend in der Kaiser-Wilhelm-Gedächnis-Kirche

By GRR 0

Schon legendär ist jeweils die Predigt des laufenden Pfarrers i.R. Klaus Feierabend innerhalb des Oekumenischen Abendgebets in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche , jeweils am Sonnabend vor dem Berlin-Marathon um 20.30 Uhr.

Das Gotteshaus am Breitscheidplatz in Berlin-Charlottenburg – früher kurz hinter dem Zielstrich auf dem Kurfürstendamm – jetzt bei km 33 gelegen, ist seit Jahren immer voll besetzt. Völlig ungewöhnlich für eine Kirche ist es, wenn während der Predigt plötzlich Beifall aufbrandet

Dann hat der Kirchenmann läuferisch-kirchliche Weisheiten der Laufgemeinde präsentiert. Klaus Feierabend lief seinen ersten Berlin-Marathon 1980, er gehört mit 21 erfolgreichen Teilnahmen dem BERLIN-MARATHON Jubilee-Club an. Seine ständige Startnummer beim Berlin-Marathon ist „210“. Insgesamt absolvierte er bisher 27 Marathonläufe, seine Bestzeit ist 3:11:40. Bei den letzten Läufen konnte er wegen einer Verletzung nicht mehr teilnehmen – jetzt trainiert er aber schon wieder und läuft kürzer!

Die Begrüssung der Laufgemeinde wird schon seit Jahrzehnten von Pfarrer Knut Soppa (Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche) vorgenommen, den Segen erteilt Pater Joseph Schulte O.F.M. (Kath. Pfarramt Sankt Ludwig, Berlin-Wilmersdorf).
Musikalisch umrahmt wurde das Oekumenische Abendgebet an der Orgel von Helmut Hoeft.

Die Kollekte war bestimmt für behinderte Kinder in der Fürst-Donnersmarck-Stiftung, die damit Sportgeräte finanzieren:
Postbankkonto Nr. 122 76 – 105 (BLZ 1

 

Die Predigt des früheren Marathonläufers, Pfarrer i.R. Klaus Feierabend, hat stets einen Bezug zum Laufen – mal mehr und mal weniger stark.

 

Nachfolgend veröffentlichen wir den Text seiner diesjährigen Predigt:

 

Liebe Freunde, heute Abend wieder in der Blauen Kirche!

Johannesevangelium Kapitel 9: der Predigttext morgen, am Marathontag. Der alte Pfarrer darf mal wieder darauf zurückgreifen und auf ein Wunder hoffen, wie früher, als die vorgelegten Bibelworte ein ums andere Mal anfingen, selbstständig zu sprechen.

Ein Blindgeborener wird hier zum Exempel für Gottes Heilsweg. Die Gemeinschaft der Gesunden grenzt den Nichtsehenden aus, indem sie sein Gebrechen zum gottgewollten Strafgericht erklärt: „Ein Sünder“, so sagen sie, damit sollte er endgültig erledigt sein. Die kleine, großartige Geschichte erzählt nun, dass Jesus von Nazareth ihm sein Augenlicht zurückgibt.

Eigentlich gibt er es nicht zurück, sondern schenkt es ihm erstmalig, im Namen Gottes, als lebenslange Leihgabe. Jesu Gegner halten die Verhältnisse, so wie sie sind, für den eindeutigen Ausdruck von Gottes Gerechtigkeit. „Blind ist blind und bleibt blind und also geächtet, verurteilt. So will es Gott, basta.“ Jesus widerlegte sie, indem er sie selber als Blinde entlarvt: „Ich bin in die Welt gekommen, auf dass, die da nicht sehen, sehend werden und die da sehen, blind werden.“ Das ärgert sie mächtig. „Was soll das, man sieht doch, dass wir nicht blind sind.“ Aber der Konter hat sie voll getroffen, sie stehen da, ziemlich sprachlos.

Vorher schon, bei der eigentlichen Heilung zelebriert Jesus etwas ganz und gar Wunderliches, erst recht geeignet als Ärgernis für die phantasielosen Dogmatiker.

Mit göttlicher Vollmacht, darauf besteht Jesus, heilt er den Blinden. Eigentlich bedürfte es dazu nur eines einfachen Wortes: „Sei sehend“, oder so. Ganz anders aber: „Er spie auf die Erde“ – so steht das da – „und machte einen Brei aus dem Speichel und legte den Brei auf den Blinden Augen.“ Dann schickt er ihn zur rituellen Waschung. „Da ging er hin und wusch sich und kam sehend.“

Mit dem Verweis auf die rituelle Waschung erwischt Jesus seine mürrischen Gegner auf dem falschen Fuß. Denn so was kennen sie und wissen genau, dass nicht Verhältnisse unveränderbar so bleiben müssen, wie sie sind. Es gibt Brüche und Kehrtwendungen im Leben. Wieso stempeln sie dann den Gebrechlichen zum ewig Ausgestoßenen? Und jetzt auch noch so eine provozierende Aktion: mit Spucke und Erde!

Eierpampe haben wir Kinder dazu gesagt. Für mich ein Beispiel biblischen Humors. Der ist ja nie ganz offensichtlich. Es bricht kein schallendes Gelächter aus den aufgeschlagenen Seiten der Bibel, es ist nicht so wie bei jenen Glückwunschkarten, welche uns beim Öffnen mit elektronischem Singsang beglücken. Der biblische Humor outet sich nicht von selbst, er will entdeckt werden. Hier also wird mit Spucke und Erde gearbeitet, mit Eierpampe. Wer erinnert sich nicht an mütterliche Tröstungen und sogar Wunderheilungen mit Spucke auf verschmierten Kinderwunden?! Stirn, Hand, Knie waren im Nu gesund. Sogar innere Verletzungen, also der Seele, des Mutes, des Ehrengefühls, der Scham, der Freundschaft und der Sehnsucht wurden geheilt. „Mit Geduld und Spucke“, heißt es im Volksmund. Vor allem aber muss es heißen: Mit Liebe, guten Gedanken, dem ehrlichen Gefühl der Solidarität, der Zusammengehörigkeit komme was wolle, dem Vertrauen auf Heilung, der eigenen wie die der anderen.

Wie leicht ist das, aber auch wie schwierig. „Wir sind doch nicht blind“, sagen jene, „wir brauchen keine Heilung, wir haben jede Menge Gesundheit.“ Ach, wenn ihr doch blind wäret und merken würdet, dass euch Entscheidendes fehlt, ja dann wäret ihr heilbar. So aber, wie ihr beharrt auf dem Vollton eurer Selbstgerechtigkeit: „Wir sind die Guten, und deshalb geht’s uns gut“, so seid ihr auf dem Holzweg. Das ist schlimmer als ein Irrtum, es ist Sünde, selbstverschuldete Gottesferne.

Liebe Leute, wir selber allesamt sind nicht frei von der Möglichkeit solcher Gottesferne. Auch wir gehören nicht automatisch zu den Guten. Auch wir sind fähig, mit abfälligen Blicken von oben herab zu schauen auf Personen und Personengruppen, die wir weit unter uns ansiedeln, wo sie nach unserer Meinung hingehören. Man muss aber genau hingucken, um nicht einer Täuschung zu unterliegen. Es ist nämlich ein Unterschied zwischen arroganter Abwertung von Mitmenschen und aufrichtiger Streitkultur.

Darüber sag ich gleich was, jetzt erst die Beendigung des Gedankenganges: Also, wo solche Herabwürdigungen anderer Personen oder Gruppen besonders lächerlich sind: wenn sie unter Sportlern vorkommen. Da spricht ein relativ erfolgreicher Tennisspieler die unter ihm rangierenden und als Konkurrenten nicht infrage kommenden Mitspieler mit hörbarer Geringschätzung an, er fühlt sich überlegen, sportlich und menschlich, sozusagen in jeder Beziehung. Was für ein dummer Kerl.

Eigentlich kommt das im Sportleben nicht sehr häufig vor. Selbst das beleidigende Drohgehabe der Boxprofis erweist sich immer wieder als reiner Werbegag fürs steigerungsfähige öffentliche Interesse.

Nahezu alle wirklichen Spitzensportler sind bescheidene Menschen, die gerade dem berühmten Dilettanten ihre ehrliche Wertschätzung zeigen. Und in der Volkssportbewegung herrscht eine großzügige Solidarität unter den meisten. Das hat mich vorzeiten zu der ungenierten Selbsteinschätzung geführt, dass ich, Klaus Feierabend, alle Menschen liebe und die langlaufenden unter ihnen für bessere und gar gute Menschen halte.

Ich werde immer an meine Frau F. denken, der ich alles verdanke, auch die Unterscheidung von echter Menschenliebe und halbherzigem Gefühlsdusel. Sie traute sich – geradezu todesmutig – jeden Streit zu, bei dem es ums Wesentliche ging. Ihrem harmoniesüchtigen Ehemann, dem Herrn Pfarrer, war sie in der fruchtlosen Offenlegung ihrer Überzeugungen haushoch überlegen:

„Eigentlich bist du vielleicht zu feige, deine Position deutlich genug zu vertreten. Vor allem aber täuschst du dich über dich selbst. Deine naive Menschenliebe kapituliert im Stillen vor deinen tatsächlichen Aggressionen, ohne dass du es merkst.“

Wer sagt mir heute noch solche köstlichen Wahrheiten! Aber wie gerne war sie mit mir in dieser blauen Kirche Jahr für Jahr, mittendrin in der Gemeinschaft der marathonlaufenden Christenmenschen und fröhlichen Atheisten, bei der Ökumenischen Abendandacht vor dem Berlin-Marathon. Und diese Begeisterung bleibt für mich unüberbietbar, die Begeisterung an dem Läufergottesdienst, den wir seit Menschengedenken hier feiern, 100 Jahre wohl schon, oder!? Die Begeisterung ist meine und eure gleichermaßen, das empfinde ich so. Die Stille im umfangenden Blau des Kirchenraumes, die der fast kindlichen Andächtigkeit der erwartungsvollen Gemeinde, ein Grundgefühl der Geborgenheit und Angstfreiheit!

Ungezwungene Freude stellt sich ein, die sich sogar lautstark bemerkbar machen kann. Die warmherzige, humorvolle und kluge geistliche Leitung seit 1985 in dieser Läuferkirche durch meinen Freund Knut Soppa ist für mich unverzichtbar geworden, ich bin süchtig nach ihr. Und Pater Josef, mein und euer Pater Josef, der den Segen spricht seit Urzeiten, er ist mir zur menschlichen Gestalt des Segens geworden. Von ihm haben wir’s gelernt: Segen ist nicht nur ein Wort.

Segen ist menschgewordene Bewegung Gottes von Herz zu Herz. Segen kann niemals jemand für sich alleine empfangen, immer nur gemeinsam mit anderen und für andere. Wenn Pater Josef den Segen Gottes an uns übermittelt, sozusagen weiter verschenkt, ist für mich in der blauen Kirche jedes Mal die Minute gekommen: zum Katholisch werden! Aber, als kleine Einschränkung: jedes Jahr von Neuem.

Und dann die Orgel, wahrhaftig ein Instrument des Himmels. Und der sie spielt: fast ein Himmlischer. Er heißt Helmut Hoeft, manchmal versteckt er sich hinter einem anderen Namen. Pfarrers Predigt vermag einiges, aber der Orgelmeister vermag alles, sogar eine schwache Predigt vergessen machen. Seit meinem Berufsende hatte ich mehrmals diesen Traum: Ich bin mitten in meiner Predigt eingeschlafen. Als ich wieder aufwachte, zeigten die Zuhörer unterschiedliche Gesichter, die einen irritierte, die anderen amüsierte. Da wusste ich, dass ich im Schlaf weiter gesprochen hatte, nur nicht, was. Nun setzte die Orgel ein, und alle waren glücklich.

Ein schöner Traum, passt zu mir. Und dann die Klangwunder der Sängerchöre, immer wieder mal! Auch heute Abend, wie schön.

Ein holländischer Läufer und Pfarrer schrieb mir, er wäre glücklich als Mitveranstalter und Prediger des Läufergottesdienstes zum Rotterdam-Marathon, wenn ihm doch einmal solch teure Bereicherung der Andacht zuteil würde, gewiss unbezahlbar, nicht wahr?!

Ich schrieb ihm: Nein, hier ist das eine Ehre und Freude für die Chöre, bei uns und für uns zu singen, er möge doch auch für seinen Fall darauf vertrauen. Und es ist klar: Wir, die Läufergemeinde, wir fühlen uns ebenfalls geehrt und sind hoch erfreut über den geschenkten Chorgesang und können das dem Chor auch mitteilen.

Morgen früh laufen wir auf dem Marathonkurs. Ich sage ‚wir’, als würde ich noch immer dabei sein. Nicht jeder und jede läuft so schnell wie möglich, aber alle sollten so sicher wie nötig laufen. Eben nicht wie die Bullen auf fetter Weide, auch nicht wie die Ameisen auf der Altonaer Chaussee.

Die einen kürzen die Wege ab und kommen trotzdem nicht ans Ziel, von den anderen heißt es bekanntlich: Auf der Altonaer Chaussee, da taten ihnen die Beine weh. Und so verzichteten sie weise auf den letzten Teil der Reise. Wir nehmen alle ermutigenden Zurufe dankbar an. Man muss dazu niemanden umarmen oder pausenlos die hingehaltenen Kinderhände abklatschen. Aber man kann wissen: die vielen da an der Strecke, sie alle haben gute Gedanken für dich. Auch die unpassenden Hopp-Hopp-Rufe nehmen wir hin, sie stören zwar unseren Laufrhythmus, sie gehören wohl eher zum Skilanglauf, interessanterweise nicht zum Straßenlauf.

Aber sie sind gut gemeint, anders als auf unseren Trainingsstrecken das unausrottbare und witzlose Eins-Zwei-Eins-Zwei! Wo bin ich denn hier, habe immer gedacht, die können ja alle nicht bis Drei zählen! Fühle du dich behütet und begleitet.

So wie es im spanischsprachigen Taizê-Gesang heißt, übersetzt: „Nichts betrübe Dich, nichts beunruhige dich! Wen Gott behütet, der hat alles, was er braucht.


Amen, vergiss es nicht.

 

Pfarrer i.R. Klaus Feierabend

author: GRR

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