Novitzky war „ein Pionier, als es galt, ein Krebsgeschwür des Sports loszuwerden“, lobte der Chef des US-Olympiakomitees, Peter Ueberroth
Der Müllprüfer Vom Steuerfahnder zum Dopingjäger: Weitgehend unerkannt hat Jeff Novitzky, 37, im US-Sport aufgeräumt. Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung
Anfang Oktober war dieses Foto um die Welt gegangen: Marion Jones, auf der Freitreppe des Gerichts in White Plains (US-Staat New York) vor einem Pulk Journalisten stehend, gesteht nach jahrelangem Leugnen ihren Dopingbetrug. Und versinkt, während ihre Mutter ihr von hinten die Hand auf die Schulter legt, in einem Meer von Tränen.
Den schlanken, baumlangen, fast kahlköpfigen Mann, der im Hintergrund die triviale Szene scheinbar unbeeindruckt beobachtet, erfasst keine Kamera. Der Hüne wartet auf ein Taxi.
Wieder mal nahezu unerkannt geblieben zu sein, ist ihm wegen seines auffälligen Äußeren vermutlich durchaus recht gewesen: Jeff Novitzky, 37, bevorzugt die Anonymität. Er redet öffentlich wenig, was er zu sagen hat, hält er vornehmlich in beeideten Schriftsätzen fest. Fotos von ihm existieren kaum. Als die New York Times im November eine Story über ihn plante, bat er die Redaktion, doch auf eine Illustration des Artikels zu verzichten. Publikationen seines Konterfeis schränkten die Voraussetzungen für seine Arbeit ein.
Die Arbeit von Jeff Novitzky? Als Special Agent der Criminal Investigation Unit innerhalb des Internal Revenue Service (IRS) in San Jose, einer Behörde des Finanzministeriums, jagt er seit 15 Jahren Steuersünder. Nur: Mit Finanztricksern wird Novitzky schon seit vier Jahren nicht mehr in Verbindung gebracht. Stattdessen mit den Dopinggaunern des US-Profisports, womit seine Tätigkeit allerdings nur oberflächlich beschrieben ist. „Er hat mehr getan, die Angelegenheit nach vorn zu bringen als alle anderen“, präzisiert Trevor Tygart, der Geschäftsführer der amerikanischen Antidoping-Agentur Usada: „Er verdient eine MVP-Auszeichnung (wertvollster Spieler) des sauberen Sports.“
Novitzky enttarnte die kalifornische Firma für Sportlernahrung Balco als Dopingzentrale des US-Sports, überführte die vier Haupttäter des Unternehmens, stöberte Material auf, das mehr als einem Dutzend Balco-Kunden aus der Leichtathletik zum Verhängnis wurde, sein Investigationserfolg war Anlass für eine Anhörung im US-Kongress, er versorgte den im Dezember veröffentlichten Report des ehemaligen Senators George Mitchell über die Dopingszene im Profibaseball mit Belegen, löste die Anklage gegen Homerun-Rekordler Barry Bonds aus und zwang mit seiner Hartnäckigkeit bei der Suche nach Beweisen für ihren Betrug die Sprintkönigin Jones zur Aufgabe. Wegen Meineids steht sie an diesem Freitag in White Plains vor Gericht.
Novitzky war „ein Pionier, als es galt, ein Krebsgeschwür des Sports loszuwerden“, lobte der Chef des US-Olympiakomitees, Peter Ueberroth, und Kevin Ryan, ehemals leitender Staatsanwalt in San Francisco, behauptete gar: Der IRS-Mann „hat das Gesicht des Sports verändert“. Wie es indes dazu kam, dass vor sechs Jahren aus dem Steuerfahnder Novitzky der Dopingjäger Novitzky wurde, ist bis heute nicht ganz klar. Einmal heißt es, er habe 2002 einen Tipp bekommen, in seiner Nachbarschaft bei Balco in Burlingame nahe San Francisco, gäbe es finanzielle Unregelmäßigkeiten.
Bei der Überprüfung sei er zufällig auf die Dopingspur gestoßen. Die andere Geschichte: Dem einstigen Leistungssportler Novitzky (Basketball, Hochsprung über 2,13 Meter) sei es von Anfang an um Baseballstar Bonds gegangen und dessen abnormen Muskelzuwachs. Bonds pflegte seinen Körper in der Gym der Firma Balco. Ihn zu überführen, habe Novitzky obsessiv vorangetrieben.
Wie auch immer motiviert, begann der IRS-Agent 2002 undercover im Abfall von Balco nach Beweismaterial zu wühlen; bei sich zu Hause prüfte er den Balco-Müll und entsorgte ihn anschließend in einem Container beim Nachbarn. Der beschwerte sich deshalb bei Balco-Chef Victor Conte, der so auf die Observierung aufmerksam wurde. Im September 2003 blies die IRS zur Razzia im Hause Conte. Novitzky stöberte nun ganz offiziell in den Balco-Unterlagen, konfiszierte und verhörte alles und jeden. „Dirt“ Novitzky nannte ihn die Presse in Anlehnung an den deutschen Basketballer der Dallas Mavericks, Dirk Nowitzki, und „Eliot Ness des Dopingzeitalters“. Ness, Agent einer IRS-Vorgängerbehörde und im Kinofilm The Untouchables von Kevin Costner gespielt, hatte in den 1930er-Jahren Mafiaboss Al Capone wegen eines Steuervergehens aus dem Verkehr gezogen.
Ruhig, höflich, gewissenhaft und zäh charakterisieren ihn seine Mitarbeiter. Seine Gegner indes rügen Novitzkys Verhörmethoden und behaupten, er lüge in seinen eidesstattlichen Versicherungen. Im Meineidprozess gegen Bonds wollen sie damit die Anklage erschüttern. Die Staatsanwaltschaft hält dagegen: Alle Beschwerden sind ohne Wert. So wird die Arbeit „des größten Freunds der sauberen Athleten“ (Tygart über Novitzky) zunächst mal das Urteil gegen eine Sportlerin bemessen helfen, die log, als sie vorgab, nie gedopt zu haben. Um eine Gefängnisstrafe zu vermeiden, wurde Frau Jones vergangene Woche in einem Bittbrief ihrer Anwälte an Richter Karas als Mutter Teresa des Sports dargestellt.
Ein schlechter Witz. Wird wohl Jeff Novitzky auch so sehen.
Michael Gernandt
Süddeutsche Zeitung
Mittwoch, dem 9. Januar 2008