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13
01
2008

Ich habe während der Beerdigung geheult. Es war unmöglich, die Tränen zurück zu halten, sagte Keino, das Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

Unruhen in Kenia und der betroffene Sport – Robert Hartmann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Der bekannte Sportjournalist und Keniaexperte Robert Hartmann hat schon vor Jahren ein Buch mit Kurzgeschichten über die afrikanischen Läufer veröffentlicht. Mit den Geschichten zeichnet er kenntnisreich, einfühlsam und menschlich ein neues Bild von den großen läuferischen Begabungen dieser Erde. Über 50 Reisen nach Afrika haben ihn zum Freund der Läufervölker gemacht und mit seinem Buch hat er nun einen unterhaltsamen Überblick über seine langjährige journalistische Arbeit geschaffen.
Er führt den Leser mit spürbarem Vergnügen in eine fremde Kultur ein, auch in eine Kultur der Läufer, wie wir sie so wohl nicht erwartet haben. Ob er Kipchoge Keinos, Tegla Loroupes oder Wilson Kipketers Entwicklung von jungen Athleten zu großen Persönlichkeiten beschreibt oder den Geschmack von Rinderblut schildert – Hartmann lebt seine Geschichten.

Die Beerdigung von Lucas Sang soll sich am Donnerstag zu einer machtvollen friedlichen Demonstrationausgewachsen haben. Das erzählten es am Telefon zwei anwesende Augenzeugen, nämlich Kipchoge Keino, Kenias Läuferlegende und Patrick Sang, der Olympiadritte über 3000 m Hindernis in Barcelona 1988. So gut wie alle bekannten kenianischen Läufer, und das waren weit über hundert, sollen gekommen sein, um dem nur 46 Jahre alt gewordenen früheren 800-m-Läufer das letzte Geleit zu geben.

Jeder hatte ihn persönlich gekannt. Sang war hier oben im Nordwesten Kenias der bekannteste
Leichtathletik-Funktionär. Er war auch der Beliebteste. Jeder sagte, dass er keiner Fliege etwas zu leide tun konnte.

Nebenbei war er auch ein tüchtiger Mann. Für die höchsten sportlichen Meriten reichte sein Talent in dem Land mit den unbegreiflichsten Talenten dieser Welt nicht ganz aus. Aber irgendwann hatte er festgestellt, dass er ein begnadeter Tempomacher auf der Zweirundendistanz war, ein „Hase“. Auch darüber kann in Kenia jemand zu Wohlstand kommen. Es hieß am Ende seiner Karriere, er besitze drei Farmen. Gern wurde dann gespottet, Lucas sei der reichste „Hase“ der Welt.

„Ich habe während der Beerdigung geheult. Es war unmöglich, die Tränen zurück zu halten“, sagte Keino,
das Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Es sind dies jetzt die Tage, in denen er darauf
achten muss, nicht verrückt zu wird. Erst in der Nacht davor hatten ein paar junge Räuber mutwillig seine
Kazi-Mingi-Farm überfallen wollen, die acht Kilometer außerhalb der 300.000-Einwohner-Stadt Eldoret im
Nordwesten steht. Es war sein Glück, dass sein schnell verstärkter Sicherheitsdienst die Angreifer in die Flucht schlug. Da wusste er immerhin, gut daran getan zu haben, seit dem 29. Dezember irgendwo auf seinem
weitläufigen Farmgelände alle Nächte im Freien verbracht zu haben. So war er gleich auf das Schlimmste vorbereiten gewesen. Etwas ähnliches hatte er vorher in seinem 72 Jahre langen Leben noch nie erlebt.

Die beiden Beispiele zeigen, dass die jüngsten Unruhen in der Bevölkerung, die nach den Präsidenten- und
Parlamentswahlen am 27. Dezember ausbrachen, nicht unbedingt entlang der Stammesgrenzen der beiden
betroffenen Kandidaten verlaufen, die den Kikuyus und Luos angehören. Sang war ein Keiyo, und Keino ist
genauso ein Nandi wie Luce Kibet, der Marathonweltmeister, der durch einen aus einer Menge geworfenen Stein nahe Eldoret schwer verletzt wurde.

Der Mob fragt nicht, wenn er plündert und mordet. Sang war auf dem Weg zur Farm durch eine Straßenblockade gestoppt worden. Ihn und einen Freund hatten die bestialischen Gangster aus dem Auto gezogen, angezündet und auf der Stelle erschlagen.

Das Olympiajahr ist erst ein paar Tage alt. Kenia hat dort seinen Ruf zu verteidigen. Bei den jüngsten
Weltmeisterschaften in Osaka hatten allein ihre Läufer den zweiten Rang in der Medaillenwertung hinter den
USA belegt. Patrick Sang sagte noch in der vorigen Woche, es empfände es als ungehörig, wenn seine Läufer – er ist auch Trainer – jetzt ihrem Vergnügen nachgehen und durch das Gelände rennen würden, wenn zur gleichen Zeit knapp 500 Menschen in den Auseinandersetzungen den Tod fänden. „Das Training ist sowieso wertlos. Denn die Athleten denken immer nur an ihre Verwandten und Freunde. Ihre Gedanken sind überall, nur nicht beim Laufen.“

Mittlerweile ist wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt, wenn auch vielleicht nur eine trügerische. In Nairobi
befinden sich die zerstrittenen Politiker gerade auf einem toten Punkt. Niemand traut sich, schon an übermorgen zu denken. „In der Bevölkerung zählt jetzt nur ein Gedanke“, sagt Sang. „Wir alle wollen zuerst
nur Frieden haben wollen. Und: Der Mittelstand in Kenia ist schon groß genug, um den Mob abzuwehren.“ In
Eldoret haben die Geschäfte am Montag endlich wieder geöffnet. Die meisten Regale sind jedoch noch leer.
Der irische Bruder Colm O’Connell, der in Kenia die bekannteste Trainerpersönlichkeit ist, verabschiedete
sich bald am Telefon, weil er am Busbahnhof gleich die frühere Marathonläuferin Tecla Loroupe verabschieden
wollte. Also verkehren zumindest in Richtung Norden wieder die Busse, und bald wird wohl auch die Verbindung in Richtung Süden von Eldoret nach Nairobi wiederhergestellt sein.

Patrick Sang erzählte, dass zur Zeit wieder rund zehn Läufer in seinem Camp weilen und trainieren würden.
Yobes Ondieki, der erste Mann, der vor ein paar Jahren die 27-Minuten-Grenze über 10 000 m unterboten hatte, war da härter. „Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, was meine Leute tun oder nicht tun sollen. Auch wenn einige Leute sie angiften, na und?“ Laufen ist ihr Beruf, das ist ein Wert an sich in einem Land, in dem über die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt.

Am Mittwoch verließen überstürzt 18 Südkoreaner und zwei Schweizer nach einem über einmonatigen
Trainingsaufenthalt das Höhentrainingslager auf der Kazi-Mingi-Farm, eingerichtet von IOC und IAAF, dem
Weltdachverband der Leichtathleten. Aus dem Camp der Cross-Weltmeisterin Lorna Kiplagat (Niederlande) im
nahen Iten wurden derweil vom kleinen Flughafen bei Eldoret UA 15 ausländische Läufer ausgeflogen.

Aber in der geräumigen katholischen Diözesankirche in Eldoret sitzt der 23 Jahre alte Marathonläufer Paul
Thuo zusammen mit seinen Familienangehörigen immer noch fest. Er war im vorigen Mai in Bitterfeld
(Sachsen-Anhalt) über 42,15 km Zweiter hinter seinem Landsmann Isaak Kiplagat geworden. Auffällig wurden
sie dabei auch durch ihre freundliche offene Art.
Besonders der Organisator Peter Junge schloss sie in sein Herz. Jetzt läuft für Thuo eine der herzlichsten
Hilfsaktionen, die sich vorstellen lässt. Die beiden sollen so schnell wie irgend möglich nach Deutschland
fliegen, eine Hilfsaktion unter dem Stichwort „Sportler helfen Sportlern“ ist schon ins Leben gerufen worden, einschließlich ein Spendenkonto bei der Kreissparkasse. Der Landrat, der Bürgermeister, die Kirchengemeinden, der Sportverein, die örtlichen Medien helfen mit. Dabei soll der größte Teil der Spenden seinen schwer betroffenen Nachbarn zugute kommen.

Der junge Mann traut sich immer noch nicht nach Hause. „Von unserem kleinen Anwesen ist nur noch Asche übrig geblieben“, sagte er am 13. Tag im Kirchengebäude. „Die jungen Gangster sollen immer noch voller Hass durch unsere Gegend ziehen, wurde uns gesagt.“ Er ist wie der betrügerisch wiedergewählte Staatspräsident Kwai Kibaki ein Kikuyu.

Er war in Sippenhaft genommen worden.

Robert Hartmann

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Sonnabend, dem 12. Januar 2008

Robert Hartmann veröffentlicht Läufergeschichten aus Afrika – Das besondere Buch

Läufergeschichten

 

author: GRR

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