In der Tat ist der Altersdurchschnitt der Marathonläufer in den vergangenen 20 Jahren um zehn Jahre auf durchschnittlich 44 Jahre gestiegen.
Der Kopf will immer mehr, als der Körper kann – Der Trainer Herbert Steffny warnt vor übertriebenem Ehrgeiz bei Freizeitläufern und schlecht vorbereiteten Marathonstarts – Stefanie Keppler in der Stuttgarter Zeitung
Herbert Steffny ist der Mann, der Joschka Fischer fit für den Marathon gemacht hat. Der ehemalige Außenminister ist bisher der prominenteste Schützling des 54-jährigen Lauftrainers gewesen. ¸¸Um gesund zu sein und abzunehmen, muss man keine 42 Kilometer laufen", sagt Herbert Steffny im Gespräch mit Stefanie Keppler.
Herr Steffny, hat der Laufguru etwa auch gute Vorsätze fürs neue Jahr?
Ich gebe mir lebenslänglich. Mein Motto ist: fit bleiben bis ins hohe Alter. Das heißt in diesem Fall, fit bleiben für den Alltag und für das Leben. Ambitionierte Ziele spielen eine untergeordnete Rolle, etwa einen neuen Rekord aufzustellen oder einen Seniorentitel zu gewinnen. Auch wenn ich mit meinen bald 55 Jahren in eine neue Altersklasse wechsle.
Der sportliche Ehrgeiz hat bei Ihnen also keine Priorität. Im Gegensatz zu vielen Hobbysportlern. Sie kritisieren eine zunehmende Unvernunft im Laufsport. Alleine 2007 gab es acht Todesfälle bei Laufveranstaltungen. Was sind die Ursachen?
Der Trend geht dahin, dass immer mehr Freizeitläufer zum Laufen kommen. Nur wenige dieser Läufer sind in Vereinen organisiert, wo das Knowhow sitzt. Die Beweggründe der Läufer sind meist: Ich fühle mich zu dick, oder ich fühle mich zu alt. Häufig ging eine Lebenskrise voraus. Im Kopf haben sie alle den Marathon. Viele wollen sich etwas beweisen und einen Start übers Knie brechen. Doch die begleitenden Berater mit dem entsprechenden Laufwissen fehlen.
Werden die Läufer auch immer älter?
In der Tat ist der Altersdurchschnitt der Marathonläufer in den vergangenen 20 Jahren um zehn Jahre auf durchschnittlich 44 Jahre gestiegen. Da kommt der natürliche Altersprozess hinzu – vor allem aber die Unvernunft. Früher ist ein Läufer über den Verein in den Marathon über Jahre hineingewachsen. Heute ist das Hemd oft zu kurz. Ich habe schon die irrwitzigsten Dinge erlebt, zum Beispiel einen Mann, der sich sechs Wochen vor dem New-York-Marathon sein erstes Paar Laufschuhe gekauft hat, um endlich mit dem Training beginnen zu können.
Wie lange muss man trainieren, um sich an einen Marathon wagen zu können?
Erst einmal sollte man laufen lernen. Nach einigen Monaten Training kann man dann mal einen Volkslauf über sieben oder zehn Kilometer machen. Wenn das klappt, kann man sich auf einen Halbmarathon vorbereiten. Von null auf 42 Kilometer, wie das in einer TV-Serie propagiert wurde, halte ich gar nichts. Das ist gefährlich. Man sollte sehr demütig an einen Marathon herangehen.
Bücher und Zeitschriften suggerieren: Marathon laufen kann jeder.
Das ist ja das Gefährliche. Auch Läufer, die seit fünf Jahren laufen und gut trainiert sind, können physiologisch, mental und orthopädisch ungeeignet für den Marathon sein. Da rebelliert der Körper. Die Bruchstelle liegt bei Läufen über 25 Kilometer. Eine Marathonvorbereitung ohne diese langen Läufe ist unzureichend. Das Immunsystem und der Körper müssen sich langsam an diese Distanzen gewöhnen. Eine Vorbereitung von mindestens eineinhalb Jahren ist das Minimum.
Es kann und soll also nicht jeder Marathon laufen. Das hört sich wie ein Plädoyer für den Halbmarathon an.
Ja, um gesund zu sein und abzunehmen, muss man keine 42 Kilometer laufen. Den Halbmarathon kann man viel häufiger laufen: vier- bis fünfmal im Jahr. Es sind nicht so ungeheure Kilometerumfänge im Training erforderlich. Auf den ersten Halbmarathon sollte man sich etwa ein Jahr vorbereiten. Das Sinnvollste für einen Anfänger ist es, sich einem Lauftreff anzuschließen mit erfahrenen, vernünftigen Läufern. Denn der Kopf will immer mehr, als der Körper kann.
Die Teilnehmerzahlen im Marathon stagnieren, der Halbmarathon boomt.
Halbmarathon liegt im Trend, vor allem die City-Halbmarathonläufe wie jetzt am 22. Juni in Stuttgart. Im Halbmarathon gibt es enorme Zuwachszahlen, bis zu einem Drittel davon sind übrigens Frauen. Das weibliche Geschlecht ist beim Laufen sowieso das vernünftigere. Männer neigen viel eher dazu, sich zu überfordern.
Sie behaupten, dass regelmäßiges Laufen wie eine Verjüngungskur wirkt. Mit 70 Jahren sei man biologisch 20 Jahre jünger.
Das sind nicht meine persönlichen Erkenntnisse, sondern das ist wissenschaftlich nachgewiesen, vor allem was das Herz-Kreislauf-System angeht. Die Studien des Kölner Kardiologen und Biochemikers Wildor Hollmann haben gezeigt, dass regelmäßiges Fitnessjogging auch Demenzen verhindern kann. Man kann die Lebensuhr nicht unendlich verlängern, aber man kann die letzte Lebensphase mit einer höheren Lebensqualität anfüllen.
Wir Läufer müssen zwar auch sterben, aber wir fallen fitter in die Gruft.
Quelle: Stefanie Keppler – Stuttgarter Zeitung vom 19.01.2008