An diesem Sonntag wird er feiern. Bei der Hallen-Weltmeisterschaft von Valencia steht sein hundertster Wettkampf seit Dortmund 1996 an, bei dem er 5,80 Meter und mehr überspringt.
Lobingers Knallergebnis – Michael Reinsch, Valencia, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – IAAF- Hallen-Weltmeisterschaften der Leichtathletik – Tim Lobinger: 99 Wettkämpfe über 5,80 Meter und mehr
Kürzlich musste Tim Lobinger ein Regal kaufen für seine Münchener Wohnung. Es galt, zweieinhalb Meter Trainings-Tagebücher unterzubringen. Fast jeden Tag, jedes Training und ganz bestimmt jeden seiner Wettkämpfe hat der 35 Jahre alte Rheinländer notiert, seit er vor 28 Jahren, als Siebenjähriger, mit dem Stabhochsprung und einer Bestleistung von 2,01 Metern begonnen hat.
An diesem Sonntag wird er feiern. Bei der Hallen-Weltmeisterschaft von Valencia steht sein hundertster Wettkampf seit Dortmund 1996 an, bei dem er 5,80 Meter und mehr überspringt. Den ersten Teil seiner Aufgabe hat er schon am Samstag erfüllt, als er in der Qualifikation 5,70 Meter schaffte. Das Finale beginnt Sonntag um 16 Uhr.
„Viva Valencia: Ich hole Gold“
„Ob ich eine Medaille gewinne oder nicht, ich habe allen Grund, den Abschluss der Hallensaison zu feiern“, sagt Lobinger. „Es ist mir schon mal schwerer gefallen, 5,80 Meter zu springen. In diesem Winter bin ich jetzt in vier Wettkämpfern hintereinander über 5,80 gesprungen.“ In Wirklichkeit will Lobinger natürlich nicht seinen Ausstand aus der Halle feiern, sondern einen Sieg.
Akribischer Athlet: zweieinhalb Meter Trainings-Tagebücher „Ein Knaller-Ergebnis fehlt mir noch“ Lautsprecher Lobinger: „Viva Valencia!“ Klare Ansage: “Ich hole Gold“ Er sorgt dafür, dass sich auch der Rest der Welt mit ihm beschäftigt Olympiastadion Berlin: Was wirklich zählt, sind Erfolge in den großen Stadien
„Ich hole Gold“, hatte er beim Einstand in die Hallensaison im Januar getönt, als ihm auf Anhieb 5,76 Meter gelangen: „Viva Valencia!“ Zehn Jahre ist es her, dass Lobinger dort bei der Hallen-Europameisterschaft international seinen Einstand gab: mit dem Titelgewinn vor seinen Mannschaftskameraden Michael Stolle und Danny Ecker. Und mit einem Sprung über 5,80 Meter.
Was wirklich zählt, sind Erfolge in den Stadien
„Die erste Medaille war etwas Besonderes, aber ich würde Valencia nicht als mein Wimbledon bezeichnen“, sagt Lobinger in Spanien. „Ein Knaller-Ergebnis fehlt mir noch. Eigentlich ist das für den Sommer geplant.“ Ausgerechnet Lobinger, der Lautsprecher der deutschen Leichtathletik, der sich nicht nur gern mit sich selbst beschäftigt, sondern zudem gern dafür zu sorgen scheint, dass auch der Rest der Welt sich mit ihm beschäftigt, relativiert mit dem Fokus auf die Olympischen Spiele von Peking und dem Wort vom „Knaller-Ergebnis“ tatsächlich seine größten Titel: neben dem von Valencia die Siege bei der Europameisterschaft von Wien 2002 und bei der Weltmeisterschaft von Birmingham 2003. Die Championate fanden alle im Saale statt, und das ist in der Welt der Leichtathletik zweitrangig. Was wirklich zählt, sind die Erfolge bei Wind und Wetter in den großen Stadien.
Lobinger, der als Profession Berufssportler nennt, hat mit der bislang schon erfolgreichen Indoor-Saison dieses Winters nicht nur ordentliche Arbeit abgeliefert, sondern sich geradezu ein Geschenk gemacht. Erst im Oktober ist er an beiden Leisten operiert worden, mancher Arzt hatte ihm eine Pause von mehreren Monaten prognostiziert. Und nun ist er beschwerdefrei und mitten im Anlauf auf die Olympischen Spiele. Endlich einmal, anders als in Atlanta, in Sydney und in Athen, will er, der sich in Deutschland zum Mittelpunkt des Stabhochsprungs gemacht hat, eine Medaille gewinnen.
„Sport kann dazu beitragen, sich zu öffnen“
Natürlich ist er ein hervorragender Springer. Aber für einen Großteil der Aufmerksamkeit, die ihm gilt, sorgt er mit nicht immer überlegten Sprüchen und Reflexen wie dem, dass er Kampfrichtern mal aus Wut den blanken Hintern zeigte oder einen Mannschaftskameraden beschimpfte, weil der ihn beim entscheidenden Wettkampf um einen hohen Jackpot besiegt hatte.
In Peking erwartet Lobinger ein Theaterspiel des Regimes, eine große Inszenierung. „Von der Realität Chinas werden wir vielleicht etwas beim Landeanflug aus dem Flugzeug sehen, aber dann nicht mehr“, sagt er. Aber er befürwortet die Vergabe der Spiele an das Land: „Sport kann dazu beitragen, sich zu öffnen und ehrlicher mit sich umzugehen.“
„Ich schöpfe Kraft aus anderen Quellen“
Als Traumziel beschreibt Lobinger 2009: „Bei der Weltmeisterschaft in Berlin zu starten, das würde eine Karriere abrunden, die 1993 in Stuttgart begonnen hat.“ Damals konnte er sich nicht für das Finale qualifizieren. 1997 kam er als Vierter einer WM-Medaille so nahe wie nie. Bald 37 Jahre alt wird Lobinger bei der Berliner Heim-Weltmeisterschaft sein, doch unter Erfolgsdruck will er sich nicht setzen.
„Wenn ich mit 5,30 Metern zufrieden bin, vielleicht springe ich dann weiter“, behauptet er. „Ich schöpfe Kraft aus anderen Quellen. Vor allem geht es mir um den Spaß am Stabhochsprung.“ Lobinger meint das ernst. Für die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in dem von ihm so geliebten Südafrika jedenfalls macht er keine Pläne. Die eigenen Höheflüge gehen vor.
Michael Reinsch, Valencia, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Sonnabend, dem 8. März 2008