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10
03
2008

Was habe ich nur getan? Favorit Dayron Robles lief nach einem vermeintlichen Fehlstart einfach nicht weiter.

Leichtathletik – Das große Aber – Die Hallen-WM der Leichtathleten wird mehr von Fehlleistungen geprägt als von herausragenden Resultaten. Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Die Leistungen der Olympiasiegerin Jelena Isinbajewa aus Russland sind längst nicht mehr nur ein Fall für Sportberichterstatter, sondern auch einer für Theaterkritiker. Denn ihre Tänze und ihr Lachen sind Teil eines Rollenspiels, in dem das Publikum sie als unverzagte Stabhochsprung-Meisterin wahrnehmen soll.

In Wirklichkeit aber muss sie Zweifel haben. Sie geht jetzt ins dritte Jahr nach dem Wechsel zu Trainer Witali Petrow, und immer noch hinkt sie ihrem Anspruch hinterher, der sich nach ihrem Freiluftweltrekord von 5,01 Metern richtet. Auch bei der Hallen-WM in Valencia hat sie gewonnen, wie bei allen großen Meisterschaften seit 2004. Aber nur weil sie einen Versuch weniger hatte als Jennifer Stuzcinski aus den USA. 4,75 Meter – das ist für sie gar nichts. Und gerade weil sie so gut gelaunt war, wirkte es fast wie ein Hilferuf, als sie ihren Glücksbekundungen ein Aber anfügte, das sie aussprach, als müsse man es in Großbuchstaben setzen: "Ich bin glücklich, dass ich gewonnen habe, ABER: Ich bin ein bisschen enttäuscht über mein Ergebnis."

Immerhin hat sie damit den Tonfall der WM getroffen, die bis zu ihren letzten Entscheidungen am Sonntagabend zeitweise etwas beliebig wirkte. Es ist insgesamt wieder ganz nett anzuschauen gewesen, was sich so tat, ABER die größten Aufreger der Titelkämpfe waren letztlich zwei Geschichten, die weniger mit packenden Wettbewerben zu tun hatten als vielmehr mit Fehlleistungen.

Robles bleibt stehen

Der Glanz dieser WM ging von Chinas Hürdensprint-Olympiasieger Liu Xiang aus, und zwar nur von ihm, was auch nicht so geplant war. Dayron Robles aus Kuba, Favorit nach atemraubenden Vorstellungen in diesem Winter und vermeintlich Lius größte Bedrohung im Kampf um Olympia-Gold in Peking, war zwar das wichtigste Gesprächsthema, nachdem Liu Xiang das 60-Meter-Hürden-Finale in unaufdringlichen 7,46 Sekunden vor Allen Johnson (USA, 7,55) gewonnen hatte. Aber eben aus dem falschen Grund. Im Vorlauf hatte er sich von Liu Xiang irritieren lassen, der direkt neben ihm losschoss wie ein Blitz. Fehlstart, dachte Robles, und stoppte ab. Im Zweifel weiterlaufen, heißt es im Leichtathletenlatein, aber das hatte der 21-Jährige wohl vergessen und somit den Eindruck bestätigt, dass er noch etwas grün hinter den Ohren ist. Robles schlug die Hände über dem Kopf zusammen und verschwand.

Liu Xiang hingegen zeigte Gentleman-Qualitäten, nahm im Ziel Anteil, indem er Robles tröstend auf die Schultern klopfte. Nahm eine Teilschuld auf sich wegen seines explosiven Starts ("Ich glaube, das war meine schnellste Reaktionszeit überhaupt") und hing seinen Sieg etwas tiefer: "Weil Dayron nicht da war, hatte ich etwas Glück, schon mit 7,46 den Titel zu gewinnen." Er hätte den Vergleich mit Robles gerne gehabt.
Die Leichtathletik-Lobby, die sich gerne "Familie" nennt, versteht es ganz gut, sich als harmonische Gemeinschaft zu verkaufen. Das zeigte auch der Fall des britischen Sprinters Dwain Chambers. Was waren das für Diskussionen vor der WM über den früheren Kunden des US-Dopinglabors Balco.

Der britische Verband wollte ihn nicht mitnehmen wegen seiner Vergangenheit, die offiziell durch eine Zweijahressperre verbüßt war, und wegen seines dopingtestfreien Zwischenspiels beim American Football. Dann gewann Chambers über 60 Meter Silber in 6,54 Sekunden hinter Olusoji Fasuba (Nigeria/6,51), und die britischen Reihen schlossen sich, zumindest nach außen. Chambers empfing Ovationen und begann schon wenig später mit den Vorbereitungen auf seine sportliche Zukunft.

Bei einer Pressekonferenz für die britischen Sonntagszeitungen erzählte er noch einmal von seinem Weg in den Dopingsumpf ("Ich verlor, und ich dachte: Ich reiße mir doch nicht den Arsch auf."), allerdings weiterhin ohne konkretere Einblicke in Balcos Pharma-System zu geben. Stattdessen widerrief er seine Aussage in einem BBC-Interview vom vergangenen Mai, wonach man nur Olympiasieger werden könne, wenn die Doper einen schlechten Tag hätten. Im Grunde gab er wieder nur so viel Wahrheit preis, wie sein Geschäft verträgt. Am nächsten Tag sagte Kelly Sotherton, Fünfkampf-Zweite hinter Belgiens Hochsprung-Europameisterin Tia Hellebaut: "Das gesamte Team freut sich für ihn. Jeder.‘"

Chambers prüft Olympia-Klage

Aber der Ton dürfte sich wieder verschärfen. "Nichts ist geklärt", sagte Sotherton selbst. Der britische Leistungssportdirektor Dave Collins sagte: "Auf der persönlichen Ebene" freue er sich zwar für Chambers, aber er bleibe dabei, dass er statt des 29-jährigen lieber ein Talent zur WM gebracht hätte und dass sein Verband für längere Sperren eintrete. Die Zukunft? "Er ist an einer sehr schwierigen Stelle", findet Collins. Das wiederum will Chambers erst mal sehen. An diesem Montag prüft er mit seinem Anwalt, ob er gegen die Regel des britischen olympischen Komitees seinen Olympia-Start trotz Dopingvergangenheit einklagen soll. "Sobald wir glauben, da ist grünes Licht, um weiterzumachen, würde ich es mir überlegen", sagt Chambers.

So eine WM ist eben immer auch eine Messe des moralischen Widerspruchs. Die deutsche Stabhochsprung-Achte Anna Battke musste ihre Antidopingbekenntnisse vom Körper wischen, als passe das böse D-Wort nicht in diese schöne Halle. Und die Show ging weiter wie gehabt. Da waren die Zweifel. Da war das Schauspiel. Und beide fanden zusammen zu dem, was man in gewissen Kreisen Leichtathletik nennt.

Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Montag, dem 10 März 2008

 

author: GRR

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