Die Leistungsträger sind nicht so konstant wie viele der Weltstars. Die deutschen Leichtathleten bei einem internationalen Saisonhöhepunkt zu beobachten ist wie eine gepflegte Partie Roulette
Der Bodenbelag also – Die deutschen Leichtathleten zeigten sich bei der IAAF Hallen-WM in Valenica besonders störanfällig – Susanne Rohlfing im Tagesspiegel
Als es vorbei und das Debakel nicht mehr zu verhindern war, wollte Jürgen Mallow es nicht zu nah an sich heranlassen. Zum ersten Mal seit der Einführung von Hallen-Weltmeisterschaften im Jahr 1985 waren die deutschen Leichtathleten ohne Medaillen geblieben, und ihr Cheftrainer sagte: „Mir wird das Abendessen trotzdem schmecken, und ich werde deshalb heute Nacht auch nicht schlecht schlafen.“
Ein Fehlstart ins Olympiajahr? „Nein“, sagt Mallow, „da gibt es keine Verbindung.“ Er sei zuversichtlich, dass sein Team in Peking „in etwa“ das Ergebnis der letzten Weltmeisterschaft in Osaka erreichen könne. Zweimal Gold, zweimal Silber und dreimal Bronze also.
Dafür spricht, dass fünf dieser sieben Medaillen mit Speer, Diskus oder Hammer errungen wurden, in Disziplinen also, die in der Halle nicht ausgetragen werden. Dafür spricht auch, dass die Deutschen vor der WM in Japan beim Europacup in Malaga ebenfalls ein Debakel erlebten, das sich im Nachhinein nicht als der Beginn einer neuen Talfahrt der deutschen Leichtathletik erwies. Fest steht aber, dass die DLV-Mannschaft auf ihre Werfer und auf gute Rahmenbedingungen angewiesen ist, denn die Mannschaft ist störanfällig.
Die Leistungsträger sind nicht so konstant wie viele der Weltstars. Die deutschen Leichtathleten bei einem internationalen Saisonhöhepunkt zu beobachten ist wie eine gepflegte Partie Roulette. Verlässlich ist gar nichts. Sichere Trümpfe wie die russische Stabhochspringerin Jelena Isinbajewa, den chinesischen Hürdensprinter Liu Xiang oder den amerikanischen Mehrkämpfer Brian Clay gibt es nicht.
Stefan Holm aus Schweden und Blanka Vlasic aus Kroatien ließen sich im Hochsprung nicht von einem chaotischen Ablauf und einem ungewöhnlichen Boden aus der Ruhe bringen. Völlig unbeeindruckt lieferten sie mit 2,36 und 2,03 Metern Weltklasseleistungen ab. Die Frankfurterin Ariane Friedrich hat mit mehreren Zwei-Meter-Sprüngen in diesem Jahr ihr Leistungsvermögen bewiesen, haderte in Valencia aber mit einer Rückenverletzung, mit einem Boden, der die Kraft nur ungenügend zurückgab und mit „irgendwelchen Typen“, die ihr ständig in den Weg gelaufen seien. Es waren die Weit- und die Stabhochspringer, die ihre Wettkämpfe zeitgleich absolvierten.
Kugelstoßerin Christina Schwanitz (Neckarsulm) und Stabhochspringer Tim Lobinger (München) strotzten im Vorfeld der Hallen-WM vor Selbstbewusstsein. Beide malten rosige Zukunftsvisionen. Die 22-Jährige träumte öffentlich von 23, der 35-Jährige von sechs Metern. Mit 18,54 Metern und Platz acht sowie 5,70 Metern und Platz fünf landeten beide auf dem Boden der Realität.
Jürgen Mallow verwies auf das jugendliche Alter vieler seiner Athleten. „Da brauchen wir noch etwas Geduld“, sagt der Bundestrainer. Es scheint, als habe er sich an die enorme Streubreite gewöhnt, mit der seine Athleten Leistungen abliefern. Hin und wieder kommen dabei schöne Erfolge heraus. Wie der Sieg von Mehrkämpfer André Niklaus bei der Hallen-WM vor zwei Jahren in Moskau oder der Triumph der Läufer Ulrike Maisch im Marathon und Jan Fitschen über 10 000 Meter bei der EM 2006 in Göteborg. So ist das beim Roulette auch. Wer lange genug auf seine Zahlen setzt, wird irgendwann gewinnen.
Susanne Rohlfing im Tagesspiegel vom Dienstag, dem 11.März .2008