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13
09
2008

"Da muß ich aber tief und lange wühlen, bis ich da noch was finde" war die Antwort am Telefon von Günter Hallas. Es ging um ein Treffen des Siegers vom 1. Berliner Volksmarathon - so hieß dieser Lauf damals offiziell - vom 13. Oktober 1974 mit dem Veranstalter.

35 Jahre BERLIN-MARATHON – Eine Bewegung aus dem Grunewald in die City – Vom BERLINER VOLKSMARATHON zur World Marathon Majors – Geschichten und Anekdoten – Jörg Wenig und Horst Milde berichten – Folge V – Jutta von Haase und Günter Hallas die Champions von 1974

By GRR 0

Laufende Frauen beim Marathon das war im Jahr 1974 noch relativ ungewöhnlich. Von 244 Teilnehmern im Ziel des 1. BERLINER VOLKSMARATHON waren nur 9 Frauen. Jutta von Haase belegte mit 3:22:01 den 44. Rang im Gesamtergebnis des VOLKSMARATHON. Als erste Siegerin des BERLIN-MARATHON 1974 war sie allerdings schon vorher eine gestandene und erfolgreiche Mittelstrecklerin bei Z 88 (LG Süd).

In der Deutschlandhalle wurde sie 1970 Deutsche Hallenmeisterin über 1.500 m in 4:23,7, war mehrfache Deutsche Vizemeisterin über 800 m. Die BL sind über 800m 2:06,2 (1968) und über 1.500m 4:22,8 (1970), Marathon 2:53:43! (1983). Sie gewann 1976 auch den 3. BERLIN-MARATHON in 3:05:19. Sie ist Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Berlin, z. Zt. beurlaubt im Rahmen von Altersteilzeit.

Jahrelang wurde in den Siegerinnenlisten des BERLIN-MARATHON als 3-fache Siegerin geführt. Im Zuge des 30-jährigen Jubiläums fiel es auf, daß es “nur“ 2 Siege waren. Es führen damit weiter Uta Pippig (1990/Stuttgart und 1992 und 1995/SCC) und Renata Kokowska (POL) 1988, 1991 und 1993 die Siegerinnenliste mit jeweils 3 Siegen vor Jutta von Haase und Ursula Blaschke (SCC) mit jeweils 2 Siegen an.
 
Als Läuferin wurde ich wahrlich nicht geboren, jedenfalls nicht als eine, die in ferner Zukunft einmal lange Strecken würde bewältigen können. Wenn, dann eher als Sprinterin, war ich auf kurzen Strecken doch während meiner Schulzeit (aber nur bei Schulsportfesten) äußerst erfolgreich. Auch mein Weg zu den längeren Strecken führte zunächst über den Schulsport, nachdem ich in einem gemeinsamen 1000-m-Lauf mit den “Jungen“, diesen zunächst in respektvollem Abstand folgend, bis auf einen alle überholt hatte. Dies war meine “Geburt“ als Mittelstrecklerin. Das – gemessen an heutigen Verhältnissen – äußerst zaghafte Trainieren längerer Strecken brachte es immerhin mit sich, dass ich meine Spezialität, das Passlaufen, verlernte und mit Freude zahllose Runden auf der Aschenbahn drehte, vor allem aber den Grunewald als wunderbares Laufrevier entdeckte.
 
Als der Erste BERLINER VOLKSMARATHON am 13. Oktober 1974 stattfand, hatte ich nicht nur erfolgreiche Zeiten als Mittelstrecklerin hinter mir, sondern meine leichtathletische Laufbahn eigentlich beendet. Allerdings lief ich weiterhin, mit Freude um die Grunewald-Seen oder eben gerade dort, wo sich die Gelegenheit dafür bot. Im Wissen um meine sehr gute Ausdauer reizte es mich dann sehr, mich auf das Marathon-Abenteuer einzulassen, was auch deshalb als ungewöhnlich erschien, weil es für uns vom “schwachen Geschlecht“ damals keine Wettkämpfe über längere Strecken als 1 500 m gab.

Als ich mich zu einem der Vorbereitungs-Trainings-Läufe am Mommsenstadion einfand, war das Erstaunen bei den Veranstaltern wohl auch deshalb riesengroß. Ich erinnere mich an die fassungslose Frage des Laufenthusiasten Fritz “Bubi“ Orlowski (damals Trainer im SCC), ob es mein Ernst sei mitzulaufen. Das klang etwa so: “Jutta, Du???? Willst Du wirklich bei uns mitlaufen?“ Ich meinte, ich wolle es versuchen – geplant war ein Lauf von etwa 20 km. Als ich mich dann bis zum Ende dieses Laufs stets vorne aufhielt, hatte ich den Skeptiker überzeugt und genoss in der Folgezeit stets sein überaus freundliches Interesse an meinen Langlaufversuchen.

Der Marathon am 13. Oktober 1974 fand bei gewiss idealen Witterungsbedingungen statt – nicht zu warm und auch nicht zu kalt. Immerhin lief ich mit langen Hosen und einem langärmligen Sportpulli. Anders als bereits seit vielen Jahren, wo Tausende die Strecke säumen, fand der Lauf sozusagen an der Peripherie statt; Start und Ziel waren am Mommsenstadion, die nach meiner Erinnerung bis ca. zum Strandbad Wannsee führende Strecke war zweimal hin und zurück zu laufen. Die Zuschauer waren an wenigen Händen zu zählen, einzig im Start-/Zielbereich waren es mehrere Personen, die die Läuferinnen und Läufer aufmunterten und Mut für die zweite Hälfte zusprachen.

Ebenso unerfahren wie wohl die meisten Teilnehmer, ob und wie die lange Strecke zu bewältigen sei, ließ ich den Lauf “gemütlich“ beginnen. Erst nach der Hälfte meinte ich, mich von meinem freundlichen Mitläufer verabschieden zu sollen, der nun etwas langsamer laufen wollte, während ich eher das Gegenteil beabsichtigte. Dass dies gelang, zeigt die Endzeit von 3:22:01.

Ich war ganz gewiss sehr stolz über das Erreichte, war ich doch zuvor allenfalls – und das auch nur wenige Male – ca. 20 km gelaufen. Zur Belohnung gab es eine Siegerurkunde und ein vom Bezirksamt Charlottenburg gestiftetes Bronzebild – ein Foto zeigt meine Zufriedenheit. Dieses wie auch die Urkunde habe ich mir nun wieder angeschaut und freue mich daran. Das Foto zeigt auch meine – gemessen an heutigen Verhältnissen – total falsche Bekleidung (viel zu dick und schwer). Nu ja, es hat trotzdem Spaß gemacht und mich zur Wiederholungstäterin gemacht (auch mit wesentlich schnelleren Zeiten bei wiederum verhältnismäßig wenig Training).

Dass der Lauf mich nicht “ausreichend“ angestrengt hatte, zeigt mein weiterer Tagesablauf: Dem beeindruckenden Besuch der Industrieausstellung in den Messehallen (gibt es schon lange nicht mehr) am Nachmittag folgte am Abend ein Konzertbesuch in der Philharmonie. Von Müdigkeit bei dem sehr schönen Konzert immer noch keine Spur. Jedoch hatte ich mir insgesamt einen derart starken Muskelkater eingefangen, dass ich die Stufen vom Konzertsaal in das Foyer am Ende nur rückwärts hinunter gehen konnte. Heute wundert mich das nicht mehr. Bei den späteren Läufen ist mir das allerdings auch nicht wieder passiert.

Nachdem ich beim Ersten BERLINER VOLKSMARATHON, wie er offiziell genannt wurde, Blut geleckt hatte, nahm ich noch an etlichen Langstreckenwettkämpfen, darunter weiteren Marathonläufen, mit Erfolg teil. Davon ließe sich vieles erzählen. An den “Ersten“ denke ich mit der größten Freude zurück. Sportlich herausragender war aber mein Sieg in der Altersklasse W 40 mit 44 Jahren beim 10. BERLIN-MARATHON 1983 mit 2.53 Std..

Seit 1986 tummele ich mich nur noch als Zuschauerin an der Strecke, um teilnehmende Freundinnen und Freunde, überhaupt die Teilnehmer anzufeuern. Meine ganz zaghafte Überlegung, ob ich mal  die Zeit  zu einem ganz langsamen “Comeback“ nutzen sollte, habe ich fallen gelassen. 

PS: Jutta von Haase gewann übrigens auch den 3. BERLIN-MARATHON 1976 in 3:05:19. Das hat sie in der Eile ganz vergessen zu erwähnen!

 

Det kann doch nicht der Sieger sein ! … Wie Günter Hallas der Champion des 1. BERLIN-MARATHON wurde.

"Da muß ich aber tief und lange wühlen, bis ich da noch was finde" war die Antwort am Telefon von Günter Hallas. Es ging um ein Treffen des Siegers vom 1. Berliner Volksmarathon – so hieß dieser Lauf damals offiziell – vom 13. Oktober 1974 mit dem Veranstalter. Tatsächlich erschien dann Günter Hallas zum Treffen mit einem dicken Kuvert und vielen Erinnerungsstücken an seinen ersten Sieg, Zeitungsausschnitten, Bildern und in einer Plastiktüte die alten abgelatschten Puma-Schuhe von damals.

"Hat alles meine Frau gefunden" so sein kurzer Kommentar. Zu seiner eigenen Überraschung war die Sieger-Urkunde mit der Unterschrift des Veranstalters dabei – "die sehe ich jetzt nach 29 Jahren auch wieder zum ersten Mal". Auch ein Bild "nicht ganz scharf" war dabei. Es zeigt Günter Hallas auf der Straße vor dem Mommsenstadion, links winkt ihm Dieter Weiß zu, dahinter ein Läufer vom BSV 92.

"Das muß nach der ersten Runde sein, da lache ich noch" erinnert sich Günter Hallas, denn zum Schluß, da war nichts mehr mit Lachen. Günter Hallas (18.01.1942), geborener Spandauer, war Postzusteller und beim TSV Siemensstadt zu Hause, lief aber offiziell für die LG Nord. Zum Laufen kam er über Umwege, er wollte als Sechzehnjähriger das Sportabzeichen machen, scheiterte aber am 100 m Lauf. Erst als 18-Jähriger schaffte er dann das Sportabzeichen, weil er auf die 400 m ausweichen konnte. Herbert Pulver, das damalige Leichtathletik-Original vom TSV brachte ihn auf diesen Weg.

Er trainierte dann bei Helmut Klafki am Dienstag und Freitag – Sonntags lief er bei Volksläufen mit. "Ali" wie ihn auch seine Freunde wegen seines etwas dunkelhäutigen Aussehens nannten, lief als Vorbereitung auf den 1. Berliner Volksmarathon des SCC einmal vor dem Marathon 20 – 25 km, das war es dann. "Den Rest bis 42 km kannste auch noch so schaffen" war die optimistische Prognose für die Lauf-Premiere.

Er kam auf 50 Kilometer, max. 60 Kilometer die Woche (3-4 x die Woche "etwa 10 – 15 km Trainingseinheiten"). "Det haben mir die SCCer nie gegloobt" sagt er. Eingeladen hat er sie, immer mit ihm zu trainieren, aber gekommen ist keiner. Einmal ist er die Woche mal insgesamt 101 km gelaufen – "aber nur einmal und nie wieder".

Auf dem Startbild des 1. Berliner Volksmarathon in der Waldschulallee 80 ist Günter Hallas (Startnummer 37) nicht zu erkennen, das sollte sich schnell ändern, denn er lief bald an die Spitze. Ab Kilometer 10 lag er vorne, an der Verpflegungsständen lief er meistens vorbei "bloß keine Zeit verlieren, man muß ja weiterrennen" so sein Kommentar. Eine Salztablette habe er genommen mit einem Glas Wasser (gehörte 1974 zur offiziellen Verpflegung) – und warme Brühe im Ziel!.

Zum Lachen war ihm auf der zweiten Runde überhaupt nicht mehr. In der Nähe des Auerbachtunnels (bei 39 km/40km) an der AVUS ging es ihm so schlecht, daß er sich an den Zaun hing und aufhören wollte. Ein einsamer Zuschauer ermunterte und überredete ihn dann noch, sein Vorsprung gegenüber dem Zweiten war so groß: "Das schaffste noch !"

Günter Hallas schaffte es tatsächlich noch, aber der Ausruf eines Zuschauers hat er heute noch im Ohr: "Det kann noch nicht der Sieger sein!" – so langsam und abgekämpft kam er nach 2:44:53 ins Ziel am Mommsenstadion vor Rudolf Breuer (SV Helios) 2: 46:43 3. Günter Olbrich (Polizei SV) 2:48:08 4. Dieter Daubermann 2:48:40 5. Dieter Sickert 2:49:01 6. Clifford Lewitz (USA) 2:49:42

Günter Hallas wurde beim 2. BERLIN-MARATHON im Jahr darauf nur Zehnter in 2:52:00 – "da war ich übertrainiert", erinnert er sich. Seine Startnummer ist die "425" als Mitglied des BERLIN-MARATHON-Jubilee-Clubs. Er liegt mit 32 Teilnahmen zusammen mit Wilfried Köhnke an zweiter Stelle der Rangliste des Jubilee-Clubs hinter Bernd Hübner (34 x). Einmal fehlte er beim BERLIN-MARATHON wegen Krankheit und einmal startete er zeitgleich beim Schwarzwald-Marathon.

Die Zahl von 35 Teilnahmen will er noch schaffen, "aber es fällt immer schwerer – 2002 bin ich noch 3:18:00 gelaufen – in diesem Jahr müßte 3:20:00 drin sein"! Er wiegt jetzt 61 kg, "damals 57/58 kg" – bei den Wettkämpfen habe er immer verhungert ausgesehen, deswegen wurde ihm empfohlen Eisbein zu essen und zwar insbesondere das Fett. Was er wohl auch dann gemacht hat – aber diese Hinweise sollten heute die Leser/Läufer nicht unbedingt als Trainings- oder Wettkampfempfehlung für heute ansehen.

Seine Bestzeiten sind über 10.000 m 33:00:00 (1976), Halbmarathon: 1:13:00 und 25 km 1:27:00, Marathon 2:35:00, seine beste Zeit beim BERLIN-MARATHON war 2:38:28. An 81 Marathonläufen beteiligte er sich, so u.a. in New York, Vancouver, Hawaii, Lissabon Hamburg und … Spandau. So außergewöhnlich ist sein Sieg 1974 beim BERLIN-MARATHON nun auch wieder nicht, er wurde auch Sieger beim Wolfsburg-Marathon und in Malmö (2:35:00).

Der ruhig und zurückhaltende "Ali" hat den Schalk schon im Nacken, wenn er von der Familie erzählt, die an der Strecke mit Frau, Kindern und Enkelin an die Strecke postiert sind und "den Opa" anfeuern, wobei die Ehefrau "mit Laufen überhaupt nichts am Hute hat", ihn aber zum Laufen schickt. "Renn mal, geh bloß mal ne Runde laufen, dann siehste wieder besser aus" sagt sie zu ihm, wenn ihm zu Hause die Decke auf den Kopf fällt.

Günter Hallas, der Champion von 1974, ist ein knorriger und gestandener Läufer von altem Schrot und Korn mit seinem ureigenem Humor und blitzenden Augen. Er kann Vorbild für die heutige Läufergeneration sein, wie man mit Laufen Beruf, Leben und Familie meistern kann – und dabei das Laufen auch nicht als todernste Angelegenheit ansieht.

Zeittabellen, Ernährungs- und Diäthinweise, Trainingslager, integrierte Laufschuhmodelle, Laufstrategien und wissenschaftliche Vorbereitungen auf den Lauftag X – das gehörte nicht in die Laufwelt von 1974 ff. 

 

Horst Milde und Jörg Wenig
 

 

 

author: GRR

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