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18
09
2008

Endlich sitze ich wieder im Zug und studiere den Plan. Das glaube ich jetzt nicht: „Die Fahrscheine bitte!“ Heute ist Sonntag. Hallo, Marathontag! Da braucht es doch wohl keine Kontrolle.

Berlin-Marathon – Mein erster Marathon als Zuschauer – ein Beitrag von Achim Kuhlmann in RUNNERS WORLD

By GRR 0

Sieben mal habe ich bereits einen Marathon gefinisht, als Läufer. Und immer gaben mir meine Leute an der Strecke später zu verstehen, wie schwer es ist, einen Läufer im Feld auszumachen. Das wollte ich selbst einmal testen und fand mich 2007 beim Berlin-Marathon wieder, mein Bruder als Läufer, ich als Zuschauer.

„Gib alles. Jetzt bloß nicht schlappmachen, andere schaffen das doch auch.“ Nein nicht ihr auf der Straße mit den Startnummern seid gemeint – Die Anfeuerung gilt mir selbst, bei meinen ersten 42 km als Begleiter und Zuschauer.

Ihr auf der Straße ahnt gar nicht wie gut ihr es habt. Eure Strecke ist ausgeschildert. Ihr habt eine blaue Linie. Ihr braucht gar keine Schilder. Immer den 40 000 nach. Verlaufen unmöglich. Ich hingegen habe neben endlosen U-Bahnschächten und Rolltreppen immer mit der Angst zu kämpfen: Kommt er noch, ist er schon durch? Warte ich noch, kann das den ganzen Plan zerstören, wenn er doch schon durch ist. Der Plan: Mindestens 6x meinen Bruder an der Strecke an zu feuern. Berlin – Zuschauermarathon.

Für meinen Bruder war es der zweite Marathon, seine Zeiten konnte ich in etwa einschätzen. Daher begann ich meinen Marathon bewaffnet mit Straßen- und U+S-Bahnplan auf der Straße des 17. Juni hinter der Siegessäule. Hier, so war mir klar, würde ich ihn nicht entdecken, aber ich wollte wenigstens einmal die Spitze des Feldes auf mich zusprinten sehen. Dieses Tempo würde ich nicht einmal 100 m durchhalten.

Kaum füllt die Läufermasse die gesamte Straßenbreite, wird es auch schon Zeit, den zweiten Punkt anzusteuern. Ausgemacht war Nähe Alexanderplatz. Aber wo sieht man gut, wo kommt man schnell hin und wieder weg. Also Treppe rauf, rein in die S-Bahn Richtung Alex. Rolltreppe runter. Wo bitte geht es jetzt zur Rennstrecke? Rechts oder links aus dem Bahnhof raus? OK, ich glaub links.

Frage einen Polizisten. „Immer geradeaus. Det sehn Se dann schon.“ Völlig aus der Puste erreiche ich die Otto-Braun-Allee. Die Spitze ist gerade durch. So schnell ist mein Bruder gottlob nicht. Also warten. Warten. Wer da so alles mitläuft: Schottenröcke, Pippi Langstrumpf, ein Samurai, Pumuckel, Sebamed Flaschen… Sagte ich Sebamed Flaschen? Tatsächlich, eingepackt wie eine Litfasssäule. Aber jetzt, gut gelaunt, frisch wie der Morgen: mein Bruder.

Tipp Nr. 1: Merke dir markante Läufertypen, kurz bevor dein Favorit erscheint. Das hilft später ungemein.

Als nächstes war der Hermannplatz abgemacht. Wieder endlos lange Schächte, in der Hoffnung nicht den falschen Ausgang zu erwischen. Für einen waschechten Berliner wahrscheinlich kein Problem, aber woher soll ich wissen, aus welchem Ausgang ich auf die richtige Straßenseite gelange. Und schon ist es passiert. Falsche Seite. Also Straße queren, dass heißt, ein Stück mit der Masse „schwimmen“ und dann die Seite wechseln. Tausende von Bechern liegen auf der Straße und machen das Laufen zur Rutschpartie. Da kommt er! „Du siehst gut aus – weiter so! Du liegst gut in der Zeit“ Und schon ist er wieder weg.

Tipp Nr. 2: Unbedingt ausmachen, auf welcher Straßenseite man steht und wartet. In Berlin sind die Straßen sehr breit.

Treffpunkt Nr. 3 sollte hinter den Yorckbrücken sein. Rein in den Bahnhof und gerade noch höre ich die Ansage „Richtung Ruhleben – zurückbleiben!“  Die nächste Bahn kommt in 10 Minuten. Das könnte zu spät sein. Sollte ich eine abgemachte Stelle überspringen? Nur die Ruhe. Endlich sitze ich wieder im Zug und studiere den Plan. Das glaube ich jetzt nicht: „Die Fahrscheine bitte!“ Heute ist Sonntag. Hallo, Marathontag! Da braucht es doch wohl keine Kontrolle.

Tipp Nr. 3: Unbedingt Tagesticket kaufen. Die kontrollieren sogar beim Marathon.

Kaum erreicht die Bahn die Yorckbrücken, hetze ich an die Strecke. Mir tun schon die Füße weh, schließlich habe ich meine Laufschuhe nicht an. Man versucht einen Punkt in der Masse zu fixieren, die sich wie ein endloser Bandwurm durch die Straße zieht. Augenjogging. Aber es klappt wieder einmal. Da kommt er: „Die Hälfte hast du gleich – super!“ Zu mehr reicht die Zeit nicht, schon ist er im Läuferheer verschunden.

Eigentlich wollte ich nun am wilden Eber stehen, dem absoluten Highlight jedes Läufers und Zuschauers. Doch als ich genauer auf den Plan schaue, sehe ich, dass es dort gar keine direkte U- oder S-Bahn Verbindung gibt. Man muss schon ein ganzes Stück laufen. Aber wem sage ich das? Ich entscheide mich gegen den wilden Eber und versuche mein Glück gleich am nächsten U-Bahnhof. Warten. Erst der Samurai, dann Pumuckel, dann Sebamed und dann mein Bruder. Läuft prima.

Diesmal laufe ich ein Stück mit ihm mit, gebe ihm ein paar Schluck Cola zu trinken und muss ihm leider sagen, dass ich kein Pflaster dabei habe, um eine  wunde Stelle zu verarzten. Woher soll ich so schnell Pflaster bekommen. Im U-Bahn Kiosk haben sie so etwas jedenfalls nicht.

Tipp Nr. 4: Für „seinen“ Läufer ein paar kleine Extras einpacken. Das baut bei Bedarf auf.

Da ich einige 100 m mitgelaufen bin, muss ich diese nun natürlich auch wieder zurück gehen. Die Sonne ist mittlerweile rausgekommen und mir wird warm. Keine Zeit verlieren. Nächster Halt: Wittenbergplatz. Langsam wird mir klar, wie viele Leute ich in der U-Bahn schon zum drittenmal gesehen habe. Am Wittenbergplatz ist km 35 erreicht. Ein Läufer bleibt einfach stehen, stützt die Hände auf die Knie und fragt mich: „Warum mache ich das?“ Ich würde gern mit ihm darüber diskutieren, aber ich glaube, so wirklich will er das gar nicht.

Auch ihm gebe ich einen Schluck Cola und sage nur: „Du schaffst das!“ Endlich ist auch mein Bruder in Sicht. Er macht einen erstaunlich guten Eindruck, ein Pflaster hat er Gott sei dank von einem Sanitäter bekommen.

Den krönenden Abschluss sollte nun noch der Zieleinlauf hinter dem Brandenburger Tor werden. Die Tribüne ist mittlerweile nicht mehr voll besetzt, wenn gleich nach wie vor tausende von Zuschauern ein Durchkommen kaum möglich machen. Wühle mich durch die Massen. Kurz vor dem Ziel werden Läufer noch interviewt und das Ganze auf eine Videowand übertragen. Eine Stimmung, die man kaum beschreiben kann.

Für einen Läufer aus den USA werden die Beach Boys eingespielt, für einen Italiener Adriano Celentano. So macht Marathon Spaß.  Und dann ist es geschafft, gemeinsam mit meinem Bruder überquere ich die Ziellinie, ich gebe noch einmal alles, schreie, klatsche, rufe … Ich bin fertig.

Und, ich fasse es nicht, ich habe mir eine Blase am linken Fuß gelaufen!

Tipp Nr. 5: Sich nach der Ankunft im Ziel zu verabreden, kann man völlig vergessen. Es sei denn, man spürt sich per Handy auf.

Achim Kuhlmann in RUNNERS WORLD

https://ratgeber-laufen.de/

Achim Kuhlmanns webpage

author: GRR

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