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25
09
2008

Schnell werden Rücktrittsforderungen laut. Das beliebteste Argument am Stammtisch der Leichtathletik: „Wenn ein Fußballtrainer keinen Erfolg mit seiner Mannschaft hat, wird er doch auch gefeuert.“

STARTSCHUSS – Die Keimzellen des Erfolgs – Der Kommentar von Christian Ermert in „leichtathletik“

By GRR 0

Vom Cheftrainer zum Sportdirektor – was zunächst nach einer Beförderung klingt, ist in Wirklichkeit eine Beschneidung des Aufgabengebietes. Jürgen Mallow hat im letzten Jahr vor der Rente keine weitere Sprosse auf der Karriereleiter erklommen, sondern wurde ein Stück weit aufs Abstellgleis geschoben.

Ausschlaggebend dafür dürfte weniger das mit nur einer Bronzemedaille historisch schlechte Olympia-Abschneiden der deutschen Athleten in Peking gewesen sein, sondern vielmehr seine Erklärungsversuche dafür, die am vorletzten Tag der Spiele von Peking zu einem verbalen Gefühlsaubruch gegen den Ehrenpräsidenten seines Verbandes, die Geldgeber im Bundesinnenministerium und DOSB und auch gegen einige Athleten eskalierten.

Diese Wutrede muss er voll auf seine Kappe nehmen, für das fast medaillenlose Abschneiden der Athleten in Peking ist er dagegen viel weniger verantwortlich, als die breite Öffentlichkeit gemeinhin annimmt. Das Ritual ist bei Olympia, WM oder EM immer das gleiche: Läuft es gut, werden Athleten und ihre Trainer für die Medaillen gefeiert. Läuft es insgesamt schlecht für Deutschlands Leichtathleten, sind nicht Athleten und Heimtrainer schuld, sondern die Verbandsspitze mit Cheftrainer, Präsident oder Sportdirektor.

Schnell werden Rücktrittsforderungen laut. Das beliebteste Argument am Stammtisch der Leichtathletik: „Wenn ein Fußballtrainer keinen Erfolg mit seiner Mannschaft hat, wird er doch auch gefeuert.“ Dabei haben die Verbandsoberen vom Präsidenten über den Cheftrainer bis zu den einzelnen Disziplintrainer viel weniger Einfluss auf die Athleten als beispielsweise ein Fußballbundestrainer, der sein Team wenigstens einige Wochen im Jahr eigenverantwortlich führen kann.

In der Leichtathletik ist das ganz anders: Da werden die besten Athleten selbstverständlich auch bei den Höhepunkten von ihren Heimtrainern betreut. So ziemlich alle deutschen Medaillen der jüngeren Vergangenheit wurden von Athleten gewonnen, die über lange Zeit sehr eng mit ihren Heimtrainern zusammenarbeiten: Christina Obergföll und Werner Daniels, Steffi Nerius und Helge Zöllkau, Danny Ecker und Leszek Klima, Robert Harting und Werner Goldmann, Betty Heidler und Michael Deyhle, Kirsten Bolm und Rüdiger Harksen, Ariane Friedrich und Günter Eisinger, Franka Dietzsch und Dieter Kollark, Nadine Kleinert und Klaus Schneider – das sind nur einige der Gespanne, die zuletzt für die deutschen Erfolge in der Leichtathletik gesorgt haben. Der DLV hat bis zu den Weltmeisterschaften in Berlin die Aufgabe, für diese Keimzellen des Erfolgs Rahmenbedingungen zu schaffen, um bei der WM 2009 das Optimum herauszuholen.

Nicht mehr und nicht weniger. Dass dazu Beratung und Motivation gehören muss, sanfter Druck erlaubt ist und Meinungsverschiedenheiten ausgefochten werden müssen – keine Frage. Diese Aufgaben können die beiden neuen Cheftrainer Rüdiger Harksen und Herbert Czingon gemeinsam mit Jürgen Mallow besser lösen als Mallow allein. Sie haben bis zuletzt in Mannheim und Mainz erfolgreich am Athleten gearbeitet, bei Mallow ist das schon viel länger her.

Von der neuen Führungsstruktur des Leistungssport im DLV sind zwar keine Wunder zu erwarten, aber zu mehr Erfolg als in Peking sollten die Veränderungen allemal führen.

Christian Ermert in "leichtathletik" – Nr. 39 vom 24 . September 2008 

https://www.markenverlag.de/index/46/62/LEICHTATHLETIK/Aktuelle-Ausgabe

author: GRR

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