Dabei ist die Sportart ausweislich des Ergebnisses von Peking – einer einzigen Bronzemedaille – schon auf dem Tiefpunkt.
Leichtathletik-Kommentar: Ungezügelter Lautsprecher – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Tim Lobinger liebt drastische Ausdrucksformen. Vor fünf Jahren überflog der Stabhochspringer beim Finale der Leichtathletiksaison in Monte Carlo erst 5,91 Meter, dann unterschritt er das Niveau der Veranstaltung, indem er im Jubel seine Hose runterzog. Bei den Olympischen Spielen in Peking in diesem Sommer kam er in der Qualifikation nicht so recht vom Boden weg, machte aber Schlagzeilen auf dem Boulevard mit Erzählungen von „Nur-Sportlern“ und „Hormonmenschen“, die im Olympischen Dorf mit offener Hose herumliefen.
Wenn Lobinger nun sagt, er ertrage seine Rolle als stiller Beobachter nicht mehr, darf man gespannt sein. Was hat Lobinger je ohne Kommentar beobachtet? Diesmal hat er erfahren müssen, dass der Verband ihn aus dem Top-Team in den B-Kader zurückstuft.
Weder Sensation noch himmelschreiendes Unrecht
Das ist schmerzhaft, aber selbst für Leute, die weniger vom Stabhochsprung verstehen als Lobinger, weder Sensation noch himmelschreiendes Unrecht. Der deutsche Meister ist 36 Jahre alt und hat beim Höhepunkt der Saison das Finale verpasst. Die Weltmeisterschaft 2009 in Berlin steht bevor, und Stabhochsprung ist eine der raren leichtathletischen Disziplinen, in denen sich Nachwuchs drängt, noch dazu erfolgreicher.
Lobinger ruft allen Ernstes zur Revolution auf: „Wir sind die Athleten!“ Dabei beruft er sich auf eine Vielzahl von Sportlern, insbesondere jungen. Sie bleiben allerdings anonym – angeblich wegen ihrer Abhängigkeit vom Verband. Umso deutlicher übt Lobinger Kritik am DLV und seiner Führung: Den einstigen Cheftrainer Jürgen Mallow beschreibt er als unfähig zur Kommunikation, dessen Nachfolger Herbert Czingon und Rüdiger Harksen als brave Mitläufer.
Der Stabhochsprung ist schon auf dem Tiefpunkt
So gehe die Leichtathletik in Deutschland in Rekordzeit zu Boden, prognostiziert Lobinger auf seiner Website. Dabei ist die Sportart ausweislich des Ergebnisses von Peking – einer einzigen Bronzemedaille – schon auf dem Tiefpunkt.
Es ist nicht wirklich ersichtlich, dass Tim Lobinger als Verstärker einer breiten Stimmung oder gar vieler Stimmen wirkt. Vielmehr bestätigt der Wutausbruch den Eindruck, den Lobinger immer wieder mit großer Lust erweckt: den des ungezügelten Lautsprechers.
Wenn er doch auch im Wettkampf so in die Luft ginge!
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 15. Oktober 2008