Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung spricht Hermens über seine Zusammenarbeit mit verurteilten und verdächtigen Trainern und Wissenschaftlern.
Im Gespräch: Jos Hermens – „Ich war und bin nicht Teil eines Doping-Rings“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
29. Oktober 2008 Der ehemalige Langstreckenläufer Jos Hermens ist einer der einflussreichsten Manager der Leichtathletik. Mit seinem Unternehmen Global Sports Communications vertritt der 58 Jahre alte Niederländer fast 100 Athleten, unter ihnen sechs Olympiasieger von Peking.
Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung spricht Hermens über seine Zusammenarbeit mit verurteilten und verdächtigen Trainern und Wissenschaftlern.
Sie waren, als Haile Gebrselassie seinen Marathon-Weltrekord verbesserte, zum ersten Mal seit Jahren wieder in Berlin. Hatten Sie Deutschland wegen der Strafanzeige gemieden?
Nein. Im vergangenen Jahr hatte ich das Flugzeug verpasst; ich kam von unserem Sportfest in Schanghai. Ich meide Deutschland nicht. Ich fliege regelmäßig ab Düsseldorf und bin noch nie verhaftet worden. Außerdem war ich schon beim Istaf.
Gegen Sie liegt eine Strafanzeige des Deutschen Leichtathletik-Verbandes bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg vor, weil Sie Dopingmittel in Verkehr gebracht haben sollen.
Diese Strafanzeige ist nie erstattet worden. Mein Rechtsanwalt Reinhard Rauball sagt immer, dass er nichts Neues höre. Da kommt nichts mehr, sagt er. Es gibt ja auch nichts.
Die Korrespondenz von Thomas Springstein, der in Magdeburg wegen Dopings von Minderjährigen verurteilt worden ist, enthält Ihren Namen. Der Arzt Miguel Angel Peraita …
Ich kenne ihn. Er hat mich bei der Hallen-Europameisterschaft in Valencia angesprochen, 1998, und eine Leistungsdiagnostik aus Blut und Speichel und Urin angeboten. Für Afrikaner war das nichts. Aber Thomas war immer an Neuem interessiert. Ich habe die beiden bekanntgemacht. Ob es bei dieser Diagnostik und alternativer Medizin mit Homöopathie und mit Kräutern geblieben ist oder ob er die Grenze zum Doping überschritten hat, liegt in seiner Verantwortung, nicht in meiner.
Ich habe zu Thomas immer gesagt: Vergiss die DDR, vergiss Doping; die Zeit ist vorbei. In deutschen Zeitungen stand, Hermens sei Teil eines Dopingsystems. Das stimmt nicht. Für so etwas hätte ich gar keine Zeit, selbst wenn ich wollte.
Peraita schrieb in einer E-Mail mit seinen Geschäftsbedingungen an Springstein, wenn er eine neue Athletin einführen wolle, solle er sich an Sie, Jos Hermens, wenden. Sie machten dann einen Kontakt zum Commercial Director seiner Praxis, einem gewissen Bart.
Peraita wollte sich auf die Medizin konzentrieren. Um Flüge zu buchen und Ähnliches, hatte er einen Manager. Das war ein Australier, der sehr gut Spanisch sprach. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Arzt nicht auch noch die Abrechnungen machen will. Müller-Wohlfahrt macht das auch nicht. Ich kenne keine einzige von diesen E-Mails, die zitiert werden. Ich bin nicht angeklagt. Als die Anzeige kam, litt ich an Burnout-Syndrom und musste eine Pause machen.
Hatten Sie Rechnungen von Peraita bezahlt?
Ich glaube schon.
Sie glaubten, dabei ginge es um Homöopathie und alternative Medizin?
Ja, natürlich. Ich habe den Test sogar selbst gemacht in Madrid, auf einer Maschine. Es ging nur um Gesundheit. Peraita hat Ernährungsberatung gemacht, er hat Allergien festgestellt, er hat die Balance zwischen Ruhe und Belastung definiert. Mir hat er Tropfen gegeben. Das waren keine Anabolika, sondern das war Homöopathie. Er hat auch Akupunktur angeboten, Chiropraktik, Osteopathie und sehr fortschrittliche Physiotherapie, ein ganzes Paket. In meiner Firma sind im Übrigen zwei Leute nur damit beschäftigt, Geld zu überweisen. Wir bezahlen Tausende von Rechnungen; Steuern, Flüge und so etwas. Wir kaufen sogar Traktoren und schicken sie nach Kenia, Baumaterial für Äthiopien.
Sie haben gedacht, Thomas Springstein und Grit Breuer nehmen nur legale Mittel?
Davon bin ich ausgegangen. Wir arbeiten mit mehr als zwanzig Trainern. Damals, das war die Zeit, da wusste jeder, dass in Amerika nicht richtig kontrolliert wird. Über die Psyche von Sportlern schreibt ihr Journalisten nie! Da ist jemand Europameister, und plötzlich kommt einer, den er immer geschlagen hat, und läuft ihm davon. Soll der Athlet sagen: Der ist vermutlich gedopt, warten wir mal ab, ob er in den nächsten Jahren erwischt wird?
Michael Johnson war, kaum hatte er aufgehört, nur noch halb so kräftig wie vorher. Es kann nicht sein, dass er sich das antrainiert hatte. Ich vertrete mehr als 100 Sportlerinnen und Sportler, ich rede mit deren Trainern. Selbstverständlich sprechen wir auch mal über das ein oder andere, was uns auffällt. Das heißt noch lange nicht, dass ich jemandem Doping empfehle.
Springstein hat doch daraus sicher kein Geheimnis gemacht.
Thomas hat oft gesagt: Siehst du das? So eine Leistung kann man nicht bringen ohne! Und ich habe auf die Afrikaner gezeigt, die nur mit Talent alles machen können. Darüber haben wir uns oft auseinandergesetzt. Ich war von Peraita beeindruckt. Er wusste Bescheid über Sachen wie Melatonin gegen Jetlag; in Amerika wird es frei verkauft. Mir hilft es sehr, wenn ich reise. Das hat mit Doping nichts zu tun. Genau wie Vitamine, Mineralien, alles Sachen, mit denen er sich sehr gut auskennt.
Deshalb habe ich Thomas Springstein mit ihm bekanntgemacht. Mit Anabolika dopen kann jeder, habe ich gesagt. Aber wenn du auf vielen Feldern ein zehntel Prozent gewinnst, gewinnst du insgesamt auch ein Prozent. Vielleicht war ich blauäugig.
Haben Sie wirklich geglaubt, dass Grit Breuer sauber läuft?
Ja. Geglaubt und gehofft. Natürlich hatte ich auch Diskussionen mit Thomas. Das fing damals bei Katrin Krabbe an.
Erklären Sie bitte, wie Sie 1992, bei der Verhandlung des ersten Dopingfalles Krabbe, in den Besitz von offiziellen Behältern kamen, die dieselben Nummern trugen wie die, in denen die Proben von Katrin Krabbe und Grit Breuer und Silke Möller transportiert worden waren. Die drei wurden deshalb freigesprochen.
Mein Rechtsanwalt ist damit gekommen. Er hat gesagt: Diese Sachen sind frei zu bekommen.
Ihr Rechtsanwalt war Reinhard Rauball. Emile Vrijman, Rechtsanwalt, war Vorsitzender der niederländischen Antidopingkommission. Als solcher hat er die Behälter beim Hersteller in Großbritannien bestellt.
Er hat gesagt, die Dinger seien überall zu bekommen. Sollte ich nein sagen?
Es war eine Manipulation. Sie waren nicht frei verfügbar.
So wie ich das verstanden habe, hätten das viele in der Fabrik bestellen können, auch Journalisten. Aber ich kenne den Ablauf nicht genau. Für mich war das ein juristischer Schachzug.
Hat sich Ihre Haltung verändert?
Lange habe ich gesagt, Doping betrifft mich nur, wenn einer meiner Athleten positiv getestet wurde. Das hat sich im Laufe der Zeit geändert. Ich habe mir die Trainer und Leistungen genauer angeguckt. Aber auch vor zehn Jahren habe ich nicht gesagt: Dopt, Leute! Ich war nicht und ich bin nicht Teil eines Doping-Rings. Heute lehne ich die Zusammenarbeit mit Athleten ab, die mit zweifelhaften Trainern kommen. Aber ich kann nicht jeden verdächtigen, der eine gute Leistungsentwicklung hat.
Für Journalisten ist es einfach, moralisch zu sein. Meine Firma beschäftigt 20 Menschen; wenn ich einen Athleten wegschicke, verdient jemand anders Geld mit ihm, aber nicht meine Firma. Auch deshalb arbeite ich weniger mit Athleten und mehr als Veranstalter. Ich kann jedem in die Augen schauen und sagen: Ich habe nie absichtlich etwas mit Doping gemacht.
Viele Sportler und Trainer bewegen sich bewusst in einer Grauzone . . .
Spitzensport heißt, an die Grenze zu gehen. In jeder Hinsicht. Auch im Training. Deshalb verletzen sie sich. Spitzensport ist nicht gesund. Schauen Sie mal, wie viele Fußballspieler mit fünfzig noch gesund sind.
Ist es naiv, Doping zu bekämpfen?
Nein, wir sind auf einem guten Weg, seit sich die Wada etabliert. So lange, bis ein neues Balco auffliegt.
Wie haben Sie Peking gesehen?
Wie Usain Bolt seine Leistung gebracht hat, nicht mit dem besten Start, rennt er total locker achtzig Meter und geht mit dem Bremsfallschirm über die Ziellinie, und es ist Weltrekord: Es sah super aus, aber ich habe gesagt: Das macht mir Angst. Als ich dann mit vielen Leuten darüber sprach, hörte ich, dass auf Jamaika nach der Abschaffung der Sklaverei genau in dem Gebiet, aus dem er stammt, illegal Sklaven wie Vieh gezüchtet worden sein sollen.
Vielleicht ist es möglich, dass es Menschen mit überlegenen körperlichen Fähigkeiten gibt. Aber was soll man sagen? So viele Sprinter vorher waren gedopt, und er läuft schneller als jeder von ihnen. Aber er sieht nicht so aufgeblasen aus wie Ben Johnson und die anderen.
Und über Bolt hinaus?
Schauen Sie auf die Leistungen! Ich glaube, die Spiele waren die saubersten seit langem. Man hat gesehen, dass die Amerikaner strengere Kontrollen als normal befürchteten. Das System wirkt. Bis vor vier Jahren konnten amerikanische Athleten noch bei ihrem Verband anrufen, einen Code eingeben, dann haben sie erfahren, wann Dopingkontrollen geplant waren und wann Gelegenheit war, zu dopen. Ich fände es gut, wenn die Proben von Peking auf Cera nachkontrolliert würden.
Haben Sie als Läufer Erfahrungen mit Doping gemacht?
Ich war immer schneller gewesen als Lasse Viren. Okay, ich bin schlecht gelaufen bei den Olympischen Spielen von Montreal. Aber ich wusste, als er gewann, dass er Blutdoping macht. Dazu kamen die Läufer aus dem Ostblock. Sie dopten, und bevor sie ausreisten, wurde getestet, ob noch etwas nachweisbar war. Wir hatten solche Möglichkeiten nicht.
Wie reagierte der westdeutsche Sport der siebziger Jahre auf die Herausforderung durch die DDR?
Ich denke, die Antwort war Professor Klümper.
Das Gespräch führte Michael Reinsch, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch, dem 29. Oktober 2008