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01
11
2008

Zwar war es im Grunde damals auch dem Sportmuseum Berlin unmöglich, diese Aufgabe zu schultern; aber hier, an traditionsreichem Ort und am Austragungsort eines der wichtigsten und größten City-Marathons der Welt, stimmten die Voraussetzungen.

Laufen ist Museumsreif – In Berlin findet das „AIMS Marathon Museum of Running“ ein passendes Ambiente.Von Werner Sonntag – erschienen in RUNNERS WORLD 12/2004

By GRR 0

In der Beilage zum BERLIN-MARATHON 2004 hat die „Berliner Zeitung“ meine alten Brütting-Laufschuhe abgebildet. Für einen Beitrag über die Entwicklung des Laufschuhs hatte sich die Redaktion an das Sportmuseum Berlin gewandt.

Dort sind der EB Lydiard Road Runner und der EB Marathon im Magazin. Beide Paare der ersten spezifischen Langlaufschuhe habe ich vor einigen Jahren dem Berliner Sportmuseum geschenkt.

Denn was geschähe mit solchen Hinterlassenschaften alter Läufer? Die Erben finden unter allen möglichen Lauf-Devotionalien auch abgerissene Laufschuhe; wer will die noch tragen? Ab in den Container! Auf diese Weise wird Sportgeschichte entsorgt, und später weiß keiner mehr richtig, wie es war, und einer schreibt vom anderen ab, wie es gewesen sein könnte.

DIE ENTWICKLUNG DOKUMENTIEREN

Ursprünglich hatte ich vor, in Bad Arolsen ein Laufmuseum zu begründen; eine Ausstellung während einer Ausdauersportwoche mit Stellwänden – und den EB-Schuhen in der Vitrine – sollte den Kernbestand bilden. Zum Glück kam es anders; für uns reichlich blauäugige Initiatoren wäre die Last einer Dokumentation der Laufgeschichte bei weitem zu schwer gewesen.

Vor zehn Jahren trug die internationale Vereinigung der Marathon-Veranstalter, die Association of International Marathons and Road Races (AIMS), dank der Vermittlung ihres Direktoriumsmitglieds Horst Milde dem Sportmuseum Berlin an, als „AIMS Marathon-Museum of Running“ zu fungieren und damit die Entwicklung des Langstreckenlaufs zu dokumentieren.

 Der Sport hat es in der Museumslandschaft überaus schwer. Für alles Mögliche gibt es ein Museum, und nicht einmal eine Systematisierung kann vollständig sein. Jeder größere Ort hat sein Heimatmuseum, und so mancher Kulturbürgermeister betreibt auf Kosten der Steuerzahler seine lokale Galerie.

Wir haben unzählige Technik-, Auto- und Motorradmuseen, naturkundliche und historische Sammlungen, ein Zucker-, ein Schokoladenmuseum und viele Weinmuseen, wir haben museale Folterstätten und skurrile Sammlungen wie die von Nachttöpfen. Der Sport hängt zwischen allem.

Entrüstet wendet sich die „Kultur“ von verschwitzt gewesenen Sportlerleibchen als Museumsobjekten ab. Kunstbetrieb und Lebenswirklichkeit klaffen auseinander. Im Sport hingegen dominieren die messbaren Werte. Kultur wird dabei oftmals nur als Alibi-Funktion wahrgenommen. Diese Problematik zeigte sich schon sehr früh.
 
Insbesondere auf Betreiben von Erich Mindt, dem Gründer des ältesten deutschen Boxsportvereins, kam es 1924/25 zum Aufbau eines Museums für Leibesübungen in Berlin, des ersten Sportmuseums der Welt.

Vor dem hatten in Deutschland mehrere Sportausstellungen stattgefunden, auch bei den Hygieneausstellungen spielten Leibesübungen eine Rolle, und 1895 war in Freyburg an der Unstrut das Friedrich-Ludwig-Jahn-Museum eröffnet worden.

Eine ausführliche Darstellung der Sportmuseumsbestrebungen in Deutschland findet sich in den von Martina Behrendt und Gerd Steins redigierten „Sporthistorischen Blättern“ Nr. 7/8: „Sport(geschichte) in Museen und Archiven“.

An die Berliner Gründung im Ephraim-Palais im Nikolaiviertel erinnert seit 1994 eine Gedenktafel. Das Museum war zunächst im Alten Berliner Schloss am Lustgarten untergebracht und wurde dann in das so genannte Architektenhaus verlegt. Den Nazis war das junge Museum wegen der Kontakte zur Arbeitersportbewegung und der Tatsache, dass dem Förderverein Juden angehörten, reichlich suspekt.

Es wurde zu einer der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglichen Studiensammlung der Universität herabgestuft. Erich Mindts Eintritt in die NSDAP, aus der er später am liebsten ausgetreten wäre, konnte daran nichts ändern. Im Krieg wurden die Museumsbestände größtenteils zerstört und Erich Mindt, der nach der Ausbombung mit seiner Familie Zuflucht im Oderbruch gesucht hatte, von einem sowjetischen Soldaten ermordet.
 
Erst 1970 gelang es engagierten Sportveteranen in Ostberlin, wieder ein Sporthistorisches Kabinett zu gründen. Mitte der achtziger Jahre wurde ein zentrales Sportmuseum der DDR angestrebt. Im Westteil versuchte das 1976 gebildete „Forum für Sportgeschichte“, an die Tradition des zerschlagenen Museums für Leibesübungen anzuknüpfen. Beide Institutionen wurden 1990 zum Sportmuseum Berlin zusammengelegt, dem dann prompt die „Abwicklung“ drohte.

Nachdem das Sportmuseum der Stiftung Stadtmuseum unterstellt worden war, konnte es, wenn auch um den Preis der Abhängigkeit, als Regionalmuseum für den Sport in Berlin und Brandenburg erhalten werden. Solche Regionalmuseen gibt es in Leipzig (seit 1977), wo die 80.000 Objekte des DDR-Sports nach der Wiedervereinigung schleunigst in den Keller verbannt wurden, und, was man nur mit äußerster Mühe wahrnehmen kann, in Frankfurt am Main; unter den anderen sporthistorischen Initiativen in den Bundesländern hat sich das Niedersächsische Institut für Sportgeschichte zu Hoya einen guten Namen erworben.

EIN MUSEUMSKONZEPT
Sportpolitisch war offenbar gewollt, dass Köln, wo 1982 ein einschlägiger Verein gegründet wurde, der Sitz eines zentralen Sportmuseums, des 1999 eröffneten Deutschen Sport- und Olympiamuseums, werden sollte. Die beim Schokoladenmuseum in der Lagerhalle 10 des Rheinauhafens eingerichtete Präsentation muss jedoch Läufer enttäuschen.

Die Laufbewegung, die stärkste Sportbewegung, die Deutschland ebenso wie andere Länder jemals hervorgebracht hat, kommt hier schlicht nicht vor (mein Besuch liegt vier Jahre zurück). Ein Paar Boxhandschuhe sind museumsdidaktisch wichtiger als ein Paar Laufschuhe angesehen worden. Nach meinem Geschmack ist der Sport in der Dauerausstellung viel zu sehr personalisiert worden. Offenbar haben auch andere Besucher an dem Kölner Museumskonzept Kritik geübt. 

Mit der Übertragung der Aufgabe eines „AIMS-Marathon Museums of Running“ auf das Sportmuseum Berlin hat dieses für die Laufbewegung zentrale Bedeutung erlangt. Auch Sportarten, die für die Gesellschaft weniger relevant sind, haben ihr eigenes Spezialmuseum, zum Beispiel das Rugby-Museum in Heidelberg oder das Boxsport-Museum in Sagard auf Rügen.

Freilich, ins öffentliche Bewusstsein hat es das Sportmuseum Berlin wohl nicht geschafft. Daran sah es sich vor allem durch den Mangel an einer Ausstellungsfläche gehindert. Erst jetzt geht die Zeit der Provisorien zuende. Der Anfang war damit gemacht worden, dass das Sportmuseum 1997 in das Deutsche Sportforum ziehen konnte, das drei Jahre zuvor von den britischen Alliierten freigegeben worden war, nur wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem bereits 1930 der Schöpfer des Olympiageländes, Werner March, einen Neubau für das Museum für Leibesübungen vorgesehen hatte.

Noch immer sind allerdings Museumsobjekte in zwei Außendepots gelagert. In den nächsten Wochen jedoch wird sich der letzte der 15 Umzüge seit 1990 vollziehen. Im Schwimmhaus in der Nachbarschaft sind Erdgeschoss und Untergeschoss für Arbeits- und Depoträume ausgebaut worden; der gesamte Museumsbestand kann nun zusammengeführt und die wertvolle Negativsammlung .des Sportfotografen Heinrich von der Becke klimatisiert untergebracht werden.

Noch immer fehlt freilich die Fläche für eine ständige Ausstellung, also gerade das, was ein Museum vor allem ausmacht. Hier ist jedoch ein Synergieeffekt durch Hertha BSC zu erwarten.

Der Verein, der im Deutschen Sportforum seine Geschäftsstelle unterhält, möchte bis zur Fußballweltmeisterschaft 2006 ein Vereinsmuseum einrichten. Für Ausstellungszwecke bieten sich die drei nicht mehr normgerechten Turnhallen der ehemaligen Deutschen Turnschule im Sportforum an. Die Hälfte davon, etwa 2500 Quadratmeter, könnte dem Sportmuseum Berlin dienen.

Dann, mit der ständigen Ausstellung, würde auch eine Abteilung „AIMS“ eingerichtet und der Laufsport angemessen repräsentiert werden. Die laufenden Kosten der Ausstellung, so hofft Martina Behrendt, die Leiterin des Sportmuseums Berlin, könnten durch Eintrittskarten, möglicherweise ein Kombiticket für die Besichtigung des Stadions und des Museums, refinanziert werden; eine jährliche Besucherzahl von 100.000 scheint realistisch zu sein. Schließlich ist das restaurierte Olympiastadion seit dem 1. August bis zum BERLIN-MARATHON Ende September bereits von 50.000 Menschen besucht worden.

Für das gesamte Gelände ist nun der Weg gebahnt; im Juni hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport ein Leitkonzept für das Olympiagelände verabschiedet.

Das Deutsche Sportforum, während der Nazizeit und danach „Reichssportfeld“, wird fortan als Olympiapark Berlin wirtschaftlich und touristisch vermarktet. Der Boxpromoter Sauerland und der American Football Club „Berlin Thunder“ haben beispielsweise ihren Sitz hierher verlagert. Nach dem Leitkonzept wird dem Gesamtensemble eine besondere historische, landschaftliche und architektonische Bedeutung zugemessen. Ein öffentlich zugängliches Sportmuseum fände damit sein optimales Ambiente. Für die weitere Entwicklung sollten wir uns aufgerufen fühlen, dem „AIMS Marathon Museum of Running“ Exponate und Archivalien zu überlassen.

Die Ausschreibung zum 1. Schwarzwaldmarathon zum Beispiel dokumentiert, dass 1968 zum ersten Mal auf der Welt ganz offiziell Frauen Marathon laufen durften. Dieses Beispiel zeigt auch, dass scheinbar belanglose Objekte bereits innerhalb einer einzigen Generation museumswürdig werden können.

Werner Sonntag

In den USA gibt es die Distance Running Hall of Fame, die in der Tradition anderer Halls of Fame 1998 in Uticah (Staat New York) gegründet wurde. Solche „Ruhmeshallen“ gibt es schon länger für American Football, Baseball, Eishockey, aber auch für Rock ’n’ Roll.
www.RUNNERSWORLD.de

Werner Sonntag sei Dank

Werner Sonntag sei gedankt, dass er in RUNNERS WORLD 12/2004 auf das Sportmuseum Berlin hinweist. Tatsächlich wurde am 6./7. Dezember 1994 beim 9. Weltkongress von AIMS in Macau (Association of International Marathons and Road Races) beschlossen dem Sportmuseum Berlin diesen Titel zu verleihen und eine bewährte Institution für die Dokumentation des weltweiten Laufsports zu beauftragen.

Die großen Läufe weltweit übersenden ihr Material nach Berlin und bereichern so die schon umfangreiche Sammlung des Museums auf dem Gebiet des Laufsports – aber auch alle andere Sportarten und Disziplinen finden hier ihr zu Hause.

Die Sammlung von Sportmaterialien – und die Dokumentation – auf dem Gebiet des Sports ist ein ziemlich schwieriges „Geschäft“. Kein Aktiver, Athlet oder Funktionär – der im vollen Sportleben steht – versteht es, wenn er angesprochen wird, abgelegte Sportsachen, Urkunden, Medaillen, Bilder u.s.w. für ein Sportmuseum abzugeben.

Viele Sportler führen über ihr Sportleben oft pedantisch und systematisch Tagebuch und sammeln alles, ganze Keller sind voll mit tonnenschweren erkämpften Medaillen, Abzeichen, Bierkrügen, Tellern, Wimpeln, Urkunden, Bildern, Laufschuhen u.s.w. (je nach Sportart ließe sich das fortsetzen), aber keiner kommt auf die Idee, derartige Archivalien einem Sportmuseum zu überlassen, zu schenken oder leihweise zu übergeben.

Aufheben – und dem Sportmuseum Berlin überlassen

Spätestens wenn ein gewisses Alter erreicht ist, verstaubt alles, wird vergessen – und wenn der Sportler verstirbt, verschwindet alles in der Mülltonne.
Das ist keine Phantasie, sondern leider tagtäglich erlebte Geschichte.

Der Sport entsorgt seine eigene Geschichte – und keiner merkt es oder macht sich Gedanken darüber.
Beim Sportmuseum Berlin wird allerdings seit Jahren durch einige Unentwegte (“Verrückte“) gesammelt, „was das Zeug hält“
.

Von den unzähligen Werbefahrten des real,- BERLIN-MARATHON in den letzten Jahrzehnten im In- und Ausland kehren die Werber oft mit mehr Material zurück, als sie mitgenommen haben, denn der offizielle Auftrag des Race Director des BERLIN-MARATHON lautete:
„Alles mitbringen von den Sport- und Marathonmessen, was nicht niet- und nagelfest ist“ – und so findet sich manch völlig unbekannter Lauf im Sportmuseum Berlin wieder, der seine Ausschreibung auf irgendeinen Tisch abgelegt hatte.

Vieles könnte hier noch thematisch angefügt werden, was im letzten Augenblick vor der Müllabfuhr gerettet wurde, so der Inhalt von Kellern von verstorbenen Athleten mit wichtigen Archivalien, die Dokumentation der Sportredaktion einer Zeitung … … und, und, und …landete im Sportmuseum.

Sensibilisieren

Mit diesem Beitrag soll zumindest der Anfang gemacht werden, alle diejenigen zu sensibilisieren, die mit Sport aktiv oder passiv zu tun haben, ihre Dokumente nicht einfach in die Mülltonnen zu werden, damit schmeißt man seine eigene Sport-Geschichte in die Vergessenheit.

Horst Milde

Wir werden weiter an diesem wichtigen Thema dranbleiben, berichten und informieren. Wer sich direkt mit dem Sportmuseum Berlin in Verbindung setzen will, wichtige Sportmaterialien zur Verfügung stellen will, damit sie der Nachwelt erhalten bleiben:

Sportmuseum Berlin

AIMS Marathon-Museum of Running

Deutsches Sportforum
Hanns-Braun-Straße

14053 Berlin
Tel.: 030 / 305 83 00
Fax: 030/ 305 83 40
sportmuseum.berlin@t-online.de
 

author: GRR

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