Allerdings war der allzu sagenhafte Sprinter Bolt gar nicht der interessanteste Mann an diesem IAAF-Medientag. Der Hürdensprint-Weltmeister Liu Xiang aus Shanghai stahl ihm die Show, der große Verlierer der Olympischen Spiele in Peking.
Vor der Kür des Welt-Leichtathleten – Echte und tragische Helden – Ganz China hat geweint, als Goldhoffnung Liu Xiang aufgeben musste. Gemeinsam mit anderen Athleten hat er sich nun zum ersten Mal nach dem Olympia-Drama der Öffentlichkeit gezeigt. Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung
Usain Bolt aus Jamaika hatte auch eine Nachricht mitgebracht in den Salon Lacoste des monegassischen Luxus-Hotels Fairmont, wobei nicht ganz klar war, ob er seine Erörterungen zum Thema 400 Meter schon als harte Neuigkeit betrachtete, sondern als unverbindlichen Ausblick auf die Zukunft. Nachdem Bolt bei den vergangenen Olympischen Spielen in Peking die Weltrekorde über 100 Meter (9,69 Sekunden), 200 Meter (19,30) und in der Sprintstaffel (37,10) verbessert hat, sucht die Leichtatik-Szene nach neuen Herausforderungen für ihn.
Die 400 Meter erscheinen dabei als wahrscheinlichste Zusatzaufgabe, und bei der Pressekonferenz des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF vor dessen Gala am Sonntag mit der Kür des Weltleichtathleten 2008 in Monte Carlo hat Usain Bolt dann auch gesagt, 2010 könnte die Stadionrunde für ihn ein Betätigungsfeld sein. In Absprache mit Trainer Glen Mills natürlich, den er allerdings nicht dazu drängen wird, ihn auf die anstrengende Langsprintstrecke zu schicken. "Ich würde mich meinem Trainer nie von mir aus für die 400 Meter anbieten", sagte Usain Bolt.
Allerdings war der allzu sagenhafte Sprinter Bolt gar nicht der interessanteste Mann an diesem IAAF-Medientag. Der Hürdensprint-Weltmeister Liu Xiang aus Shanghai stahl ihm die Show, der große Verlierer der Olympischen Spiele in Peking.
Als einzige Goldhoffnung des Gastgeberlandes im olympischen Kernsport war Liu Xiang im August in Peking angetreten, keinen Erfolg sehnten die Chinesen so sehr herbei wie den ihres strahlenden Idols Liu Xiang. Und dann? Wegen Achillessehnenschmerzen musste er seinen Start abbrechen und ließ die gesamte riesige Sportnation in Trauer zurück.
Sein Auftritt in Monaco war sein erster öffentlicher seit den Spielen, wenn man einmal davon absieht, dass er kurz nach dem Ausscheiden eine Entschuldigung an das chinesische Volk gerichtet hatte. Seit Wochen lautet die spannende Frage: Wie geht es weiter mit der Karriere dieses globalen Chinesen?
Bei der Antwort schienen sich Liu Xiang und sein Trainer Sun Haiping nicht ganz einig zu sein. Nach zahlreichen Untersuchungen sind die beiden immerhin zu der Erkenntnis gelangt, dass eine Operation nicht mehr zu vermeiden ist.
Sie wird laut Sun Haiping Mitte Dezember in Houston/Texas stattfinden, anschließend wird Liu Xiang bis zu fünf Monate zur Rehabilitation in den Vereinigten Staaten bleiben. Danach sieht Sun Haiping durchaus Chancen auf eine Teilnahme bei den Weltmeisterschaften 2009 in Berlin. "Er hat jeden Tag trainiert, er ist abgesehen von der Achillessehne in guter Form. Wenn die Situation gut ist, kann er sehr bald wieder auf der Bahn sein", sagte Sun Haiping.
Liu Xiang selbst klang etwas skeptischer. Die Schmerzen an der Achillessehne trage er schon seit Jahren mit sich herum, lange habe er gedacht, sie ignorieren zu können. Noch bei seinem Einmarsch ins Pekinger Nationalstadion zu seinem ersten Vorlauf sei er zuversichtlich gewesen, obwohl davor schon ein Team von drei Physiotherapeuten seine wehe Ferse fieberhaft behandelt hatte ("Ich wollte den Leuten hallo sagen, ich wollte den Wettkampf machen").
Im Stadion war der Schmerz dann doch so stark, dass Liu Xiang nach einem Fehlstart in den Katakomben verschwand und nicht mehr zurückkehrte auf die olympische Bühne. Seither ist sein Training eingeschränkt. "Ich kann keine Spikes tragen", sagt er. Nach der Operation in den USA erwartet er eine sechsmonatige Aufbau-Phase, ehe er wieder in Sprintschuhen üben kann. Auf die Frage, ob die bevorstehende WM-Saison für ihn damit schon abgehakt sei, sagte Liu Xiang: "Wahrscheinlich." Es wirkte, als sei der Trainer zuversichtlicher als der Sportler.
Immerhin, Liu Xiang machte einen gefassten Eindruck. Er sprach sehr leise und über einen Dolmetscher, aber das hat er auch schon gemacht, als er in der Blüte seines Schaffens stand. Er stellte heraus, dass sein Pekinger Aussteigen eine enorme Enttäuschung für ihn gewesen sei ("Vielleicht können Sie sich das vorstellen. Bei Olympischen Spielen zu Hause zu starten, bedeutet einem Atheten viel").
Aber er schien durchaus seinen Frieden gemacht zu haben mit dem Geschehen. "Vielleicht haben alle Leute mehr von mir erwartet, als ich tun kann", sagte Liu Xiang, dennoch: "Ich sollte im Reinen sein mit dem, was passiert ist. Es ist normal und fair, dass man Siege und Niederlagen erlebt." In der Tat hatte Liu Xiang vor den Spielen in Peking vor allem Siege erlebt als Olympiaisieger von 2004, Weltrekordler 2006 (12,88 Sekunden), Weltmeister 2007 und Hallen-Weltmeister 2008. Das Aus von Peking war seine erste große Niederlage im Sport.
Es ist dem Hürdensprinter Liu allerdings auch sehr wichtig gewesen, sein Scheitern nicht dem enormen Erwartungsdruck zuzuschreiben, der vor Olympia auf ihm lastete, weil alle in ihm das Gesicht der Spiele sahen. "Jeder chinesische Athlet hatte in Peking den Druck", sagte er, "ich habe den Druck schon vor vier Jahren gespürt."
Der Schmerz liegt nur in der Achillessehne, nicht im Kopf, so wollte auch Trainer Sun Haiping die Situation verstanden wissen. Liu Xiang sei doch vorher auch immer mit dem Druck zurechtgekommen: "Er ist ein sehr starker Athlet im Kopf." In dieser Frage waren sich Sun Haiping und sein weltberühmter Athlet wieder einig.
Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Sonnabend, dem 22. November 2008
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