Batman Bolt: der Jamaikaner flatterte auf den Schwingen des Erfolgs durch die Nacht von Peking
Weltleichtathlet Usain Bolt – Der Ferrari tankt bei McDonald’s – nachts – Michael Reinsch, Monte Carlo, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
So ist das Leben jetzt für Usain Bolt: Vormittags fährt er im Ferrari durch Monte Carlo, am Abend tanzt er bei einer Fernsehgala des Internationalen Leichtathletikverbandes (IAAF) vor fast achthundert Gästen im „Salle des Etoiles“ mit einer Reggaeband auf der Bühne. Und zwischendurch fragt Michael Johnson respektvoll: „Darf ich meinen 400-Meter-Weltrekord behalten?“
Bolt, der 22 Jahre alte Jamaikaner, ist trotzdem kein bisschen beeindruckt. „So hatte ich mir das vorgestellt, berühmt zu sein“, sagt er. Ob er nicht auch reich geworden sei durch seine Olympiasiege über 100 und 200 Meter sowie mit der Staffel, muss er sich fragen lassen. „Das Jahr hat mir gutgetan“, antwortet er da. „Sagen wir: Ich bin auf dem Weg.“
Neben Zauberfee Jelena Isinbajewa wie ein Schuljunge
Nach Monte Carlo war er via München gekommen, wo er ein Fahrsicherheitstraining für den BMW M3 absolvierte, den ihm ein Sponsor in der nächsten Woche nach Jamaika schickt. Anlass für die Reise ans Mittelmeer war die Ehrung als Leichtathlet des Jahres, welche die IAAF mit 100.000 Dollar dotiert. Als er am Sonntagabend, im Smoking und mit schwarzer Fliege, die Auszeichnung von Prinz Albert II. und IAAF-Präsident Lamine Diack empfing, wirkte der nicht nur wegen seiner 1,93 Meter Länge überlebensgroße Bolt geradezu bescheiden.
Mit ihm wurde nämlich Stabhochsprung-Olympiasiegerin Jelena Isinbajewa geehrt, die in diesem Jahr mit ihren Weltrekorden Nummer 23 und 24 die Bestleistung auf 5,05 Meter gesteigert hat. Sie habe „die Hälfte des Preisgeldes“, behauptete sie, für das mit geschliffenem Kristallglas besetzte weiße Kleid ausgegeben, das sie als athletisches Supergirl und glänzende Zauberfee zugleich wirken ließ.
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Der Reihe nach dankte sie auf der Bühne ihrem Trainer Witali Petrow, ihrem Sponsor, dem russischen Verbandspräsidenten Valentin Balachnitschew sowie Sergej Bubka, der einerseits Legende des Stabhochsprungs ist, andererseits die Hoffnungen osteuropäischer Sportpolitiker auf die Präsidentschaft in der Leichtathletik und im Internationalen Olympischen Komitee trägt. Die strategische Adresse der Russin kontrastierte lebhaft mit der schlichten Ansage von Bolt, die kaum mehr ausdrückte, als dass er stolz darauf sei, dass Mutter und Vater stolz auf ihn seien. Seine Eltern saßen selbstverständlich mit im Ballsaal.
„Er spricht von 9,52 Sekunden“
Manchmal sei es schwer, ein Vorbild zu sein, gestand Bolt in Monte Carlo, wo die hohe Dichte an Reichen und Schönen ihm relative Anonymität gewährte. Zu Hause in Jamaika werde er nicht nur ständig angesprochen, werde nicht nur jeder Schritt, den er tue, aufmerksam beobachtet, sondern er werde auch angebettelt, wo er gehe und stehe – und er gebe, gutherzig wie er sei, eigentlich immer etwas. Doch damit wird Schluss sein, sobald er dieser Tage heimkehrt nach Kingston – nicht mit der Mildtätigkeit, sondern mit dem Gehen und Stehen.
Weihnachten werde ihm Trainer Glen Mills wohl noch einen Tag freigeben, erwartet Bolt. Neujahr aber werde sicher durchgearbeitet, so viel sei aufzuholen an Training. Während der junge Mann sich immer noch berauschen kann am Rückblick auf Peking und auf seine Rekorde von 9,69 und 19,30 Sekunden – „Wenn ich die Videos sehe, läuft es mir immer noch kalt den Rücken runter, und ich staune immer noch, wenn ich meine hundert Meter sehe“ – hat Trainer Mills schon längst die Zukunft im Visier. „Er spricht von 9,52 Sekunden, die ich erreichen kann“, verrät Bolt.
Das frühe Austrudeln und der offene Schuh
Was alle Welt sah, waren sein mäßiger Start im Finale von Peking, das frühe Austrudeln und der offene Schuh – mehr Reserven als genug, bei den Weltmeisterschaften in Berlin, auf die seine Saisonplanung zielt, vielleicht ein paar Hundertstelsekunden herauszuholen. Was bis zum Wochenende niemand wusste, ist, dass Bolt auf dem Weg zum Weltrekord über 200 Meter, den er Johnson abnahm, eine Nacht durchmachte.
Um Mitternacht war er nach seinem ersten Olympiasieg ins Bett gegangen, doch dann alberte und lachte er mit dem Zehnkämpfer Maurice Smith, mit dem er das Zimmer teilte, Stunde um Stunde. „Um vier Uhr morgens sind wir zu McDonald’s gegangen“, verriet Bolt in Monte Carlo. Da war die Nacht zu Ende und der Tag mit den ersten Vorläufen über 200 Meter begann.
Für 60 Meter ist Bolt zu groß
Voraussichtlich wird der Weltrekord von Michael Johnson, den er 1999 bei den Weltmeisterschaften von Sevilla in 43,18 Sekunden aufstellte, zwanzig Jahre alt werden. „Ich werde meinen Trainer niemals bitten, die 400 Meter laufen zu dürfen“, sagte Bolt. Er scheint den Wechsel auf die Mittelstrecke, die die Besten im Sprint angehen, zu fürchten. Doch kürzer als 100 Meter darf er auch nicht laufen. „Ich habe meinen Trainer mal gefragt, ob ich in der Halle starten kann“, erzählte Bolt. „Da hat er mich nur angeguckt. Ich weiß, was das bedeutet.“
Für die 60 Meter und für enge Kurven ist Bolt einfach zu groß. Im August könnte er in Berlin trotz allen Zögerns sein Debüt auf der Stadionrunde geben – in der Staffel. Wenn Mills so entscheide, müsse er nur ein paar Trainingseinheiten einschieben, sagte Bolt. Der Mann ist so etwas wie ein menschlicher Ferrari. Bert Cameron, der jamaikanische Nationaltrainer, ist überzeugt, dass Bolt die 400 Meter in weniger als 43 Sekunden laufen kann.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 26. November 2008