Sprinter werden häufiger überprüft als Hochspringer, erfolgreiche Verbände wie die Jamaikas und Kenias, Russlands und der Vereinigten Staaten ziehen mehr Kontrollen auf sich als erfolglose
Leichtathletik-Dopingfahnder – Statt FBI-Agent Detektiv von Monte Carlo – Michael Reinsch, Monte Carlo, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
02. Dezember 2008 Dies ist das Ambiente, in dem Phil Marlowe heute die Füße auf den Schreibtisch legen und über seine Fälle nachdenken würde: ein schäbiges Büro im Schatten von Hochhäusern mit anderen schäbigen Büros, ein Computer, ein paar Fotos von Menschen und Tieren an einer Pinnwand, die auf dem Boden steht. Und Frustration nicht zu knapp. Im Büro von Jasmina Glad in der Avenue de Fontvieille am Stadtrand von Monte Carlo ist sie mit Händen zu greifen.
Jasmina Glad ist eine ehrgeizige und erfolgreiche Triathletin; auch deshalb hängt kein Zigarettenqualm in der Luft, und es steht auch kein Whiskey auf dem Tisch wie bei Raymond Chandlers Bild von einem Privatdetektiv. Einige Jahre lang war sie Doping Control Officer bei dem schwedischen Unternehmen IDTM. Sie reiste durch die Welt, suchte Athleten und nahm Proben. „Ich wäre gern beim FBI“, sagt sie.
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2000 Kontrollen im Jahr – keine davon zufällig
Doch weil sie aus Finnland stammt und nicht aus den Vereinigten Staaten, hat sie sich vom Welt-Leichtathletikverband IAAF als Chefermittlerin für dessen Medical and Antidoping Department verpflichten lassen. Offiziell ist sie Manager für „Out of competition controls“, Trainingskontrollen. Zweitausend davon ordnet die IAAF pro Jahr an, und keine einzige davon ist zufällig. Gerade hat der Verband seinen Testpool auf 450 Athleten verkleinert und die Testfrequenz damit erhöht.
Sprinter werden häufiger überprüft als Hochspringer, erfolgreiche Verbände wie die Jamaikas und Kenias, Russlands und der Vereinigten Staaten ziehen mehr Kontrollen auf sich als erfolglose. „Manchmal bestimmen wir sogar den Tag und die Uhrzeit der Kontrollen“, sagt Chris Butler, ein Kollege von Jasmina Glad.
Schlüsselfall Ben Johnson
Manchmal nämlich glauben sie zu wissen, dass ein Athlet dopt. Dann lassen sie ihn bis zu dreizehnmal kontrollieren, schlucken dreizehnmal das negative Resultat – und ordnen den vierzehnten Test an. In einem Fall, sie wollen ihn nicht identifizieren, war ihre Hartnäckigkeit erfolgreich. In vielen anderen nicht. „Wir können nur die Tests einsetzen, die wir haben“, sagt Jasmina Glad. „Das ist oft sehr, sehr enttäuschend.“
Als Schlüsselerlebnis nennt sie Ben Johnson, den Doping-Fall des Olympiasieger im Sprint von Seoul. Das war 1988, Jasmina Glad war zehn Jahre alt. Sie schaut inzwischen keine Sportsendungen mehr im Fernsehen. Wer schon vor dem Teenageralter desillusioniert war, käme sich dabei wohl naiv vor.
Drei Millionen Euro Budget
„Als ich hier vor vierzehn Jahren anfing“, erinnert sich ihr Chef, Gabriel Dollé, „waren meine Sekretärin und ich die Einzigen. Wir haben schnell erkannt, dass wir uns weniger um Medizin als vielmehr um Doping kümmern müssen.“ Heute hat der Elsässer Dollé einen Kollegen für Medizin und zehn für die Doping-Bekämpfung. Er verfügt über ein Budget von gut drei Millionen Euro, zusätzlich zu den Personalkosten.
Die IAAF macht kein Geheimnis daraus, dass sie sich Streitfälle vor dem obersten Gericht des Sports, dem CAS, bis zu eine weitere Million Euro pro Jahr kosten lässt. Gerade ficht sie die Sperren für die sieben russischen Leichtathletinnen an, die vor den Olympischen Spielen von Peking der Manipulation von Urinproben überführt wurden.
Der russische Verband datiert den Beginn der Sperren zurück
„Es ist inakzeptabel“, schimpft IAAF-Präsident Lamine Diack, „dass diese Athleten, die ernste und absichtliche Verstöße gegen unsere Antidoping-Regeln begangen haben, effektiv nur neun bis zehn Monate gesperrt werden und sie im Sommer 2009 wieder startberechtigt wären.“ Der russische Verband hatte den Beginn der Zweijahressperre auf April und Mai 2007 datiert, den Zeitpunkt des Regelverstoßes. Die IAAF will, dass die Sperre im August 2008 beginnt, und fordert einen Ausschluss von vier Jahren.
Die Läuferinnen Olga Jegorowa, Jelena Sobolewa, Julia Fomenko, Tatjana Tomaschowa, Swetlana Tscherkasowa sowie die Diskus- und die Hammerwerferinnen Darja Pischtschalnikowa und Gulfija Khanafejewa hätten nicht einfach gedopt, sondern sich schwerwiegende Manipulationen zuschulden kommen lassen.
Die Unauffälligkeit der Russinnen war auffällig
Die Überführung der Russinnen war eine kleine detektivische Meisterleistung und gilt als ein großer Schritt in eine neue Dimension der Doping-Bekämpfung. „Wir schauen nach Verhaltensmustern“, verrät Butler, ein Australier, „und versuchen sie zu entschlüsseln.“ Manchmal fallen Athleten auf, weil sie immer wieder an bestimmte Orte reisen oder zu bestimmten Zeitpunkten ihre Meldeadresse, die „whereabouts“, ändern, die online im Nachbarbüro von Jasmina Glad einlaufen. Manchmal alarmieren die Parameter von Blut- oder Urinproben die Fahnder.
In diesem Fall fiel die Unauffälligkeit auf: Alle Proben waren negativ, und die Kontrollen gingen viel zu glatt. Ausgerechnet die Russinnen, die bei der WM von Osaka 2007 14 von 16 Goldmedaillen ihrer Mannschaft gewannen, die im Mittelstreckenlauf an die Weltspitze schossen und sich rar machten bei Sportfesten, waren stets verfügbar. Üblicherweise liegt der Anteil der beim ersten Versuch verpassten Kontrollen bei einem Fünftel. Die Russinnen schienen auf die Tester zu warten.
„Die Trainingsproben stammten nicht vom Athleten“
Dollé und seine Ermittler sprechen nicht über Details. Doch erscheint plausibel, dass jemand, vielleicht aus einer Visa-Abteilung, die Athletinnen warnte. Sie bereiteten sich auf die Kontrollen vor, indem sie, wie schon 1991 Katrin Krabbe und Grit Breuer, in ihrem Körper „sauberen“ Urin deponierten und als ihren abgaben. Die Ermittler der IAAF arbeiteten mit Geduld und Spucke.
Sie ließen die DNA aus Trainingsproben, die sie 2007 in Russland erhalten hatten, mit Wettkampfproben von 2008 abgleichen und nahmen zur Absicherung Proben aus dem Mund. „In jedem Fall passte der Speichelabstrich zur DNA der Wettkampf-, aber nicht zur Trainingsprobe“, sagt Butler. „Das beweist, dass die Wettkampfprobe vom Athleten stammt, die Trainingsprobe nicht.“ Kurz vor Eröffnung der Olympischen Spiele sperrte die IAAF die Russinnen.
Im kommenden Jahr soll der Blutpass kommen
Die Fahnder brauchten nicht nur deshalb so lange, weil sie ihren Fall juristisch und wissenschaftlich absicherten. Sie hielten ihr Vorgehen auch lange geheim, weil sie weitere Doper zu erwischen hofften. Alles deutet auf ein System hin. Falle ein Athlet auf, sagt Jasmina Glad, richte sich ihre Aufmerksamkeit selbstverständlich auf dessen Trainingsgruppe und auf Sportler, die derselbe Manager vertritt.
Mit dem DNA-Abgleich ist die IAAF nicht am Ende ihrer Möglichkeiten. Im kommenden Jahr will sie den Blutpass einführen. Bis zur WM im August soll jeder Topathlet acht Blutproben geben. Auffälligkeiten sollen nicht mehr nur Kontrollen nach sich ziehen, sondern Doping-Sperren. Ski- und Radsportverband wollen diesen Indizienbeweis in Musterprozessen etablieren.
Der Nette und die Misstrauische
Inoffiziell arbeiten die Fahnder aus der Avenue de Fontvieille schon seit fünf Jahren mit Langzeitprofilen von Blut- und Steroidwerten. Butler widerspricht den Vorwürfen des Wissenschaftlers Bengt Saltin, die IAAF ignoriere Auffälligkeiten bei Langläufern: „Es gibt nicht viele abnorme Profile.“
Butler ist in der klassischen Aufteilung des Ermittlerteams der Nette. „Es wäre schön, wenn es einen Beweis dafür gäbe, dass jemand sauber ist“, sagt er. Jasmina Glad ist das personifizierte Misstrauen. „Ich will sie alle kriegen“ sagt sie, „die, die betrügen.“ Sie wirkt, als würde sie lieber heute als morgen aufbrechen, um das zu tun, was Privatdetektive tun: beschatten, überwachen, durchsuchen. Doping-Fahnder arbeiten anders.
Jasmina Glad bleibt Athleten auf den Fersen, ohne ihr Büro zu verlassen.
Michael Reinsch, Monte Carlo, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 2 November 2008