Deutsche U 23-Juniorinnen überraschend Dritte – Starker Alexander Hahn knapp an U 20-Bronze vorbei – Bundestrainer Uhlemann zieht positives Fazit: Unsere Juniorinnen haben gezeigt, dass auch wir Cross laufen können!“
Kenias 10 km-As Hilda Kibet holt für die Niederlande die Goldmedaille bei den Frauen – Begeisternd: Sergey Lebid zum achten Mal Cross-Europameister
Mit einem eindrucksvollen Antritt bergan in der Schlussrunde machte Sergey Lebid alles klar zum achten Titelgewinn bei Cross-Europameisterschaften. Auf dem von Wettbewerb zu Wettbewerb schwerer werdenden Rundkurs im idyllisch gelegenen Park de Laeken in Brüssel spitzte sich bei den 15. SPAR European Cross-Country-Championships der Kampf um die europäische Crosskrone bis zum finalen Showdown zu, bei dem der 33jährige Ukrainer den 2006 im italienischen San Giorgio triumphierenden Briten Mo Farah auf dem Kräfte zehrenden Berganstück abschütteln konnte.
„Dies ist der Titel, für den ich so hart wie nie zuvor arbeiten musste. So einen Fight habe ich noch nie zuvor gesehen“. Während Sergey Lebid kurzerhand die Europas Cross-Titelkämpfe als „seine“ Meisterschaften deklarierte, gab es bei den Frauen mit dem Sieg der aus Kenia stammenden 10 km-Weltklasseläuferin Hilda Kibet einen Sieg für die Niederlande – und dies drei Jahre nach dem Triumph ihrer Cousine Lornah Kiplagat.
Erstmals ging der Deutsche Leichtathletik-Verband mit einem kompletten Team, das heißt, zumindest mit jeweils vier Athleten für die Mannschaftswertungen, bei Europameisterschaften an den Start. Und am Ende konnte der DLV-Trainerstab mit Detlef Uhlemann, Werner Grommisch und Lutz Zauber ein positives Fazit ziehen, schließlich gab es durch die U 23-Juniorinnen eine unerwartete Bronzemedaille, zudem waren die U 20-Juniorinnen als Fünfte und die U 20-Junioren als Sechster in Blickweite zu den Medaillenplätzen und besonders erfreulich durch Alexander Hahn (Vierter U 20), Heike Bienstein (Sechste U 23) und Florian Orth (Neunter U 20) drei „einstellige“ Platzierungen in den Einzelwertungen. „Wir haben in Brüssel nicht zuletzt durch unsere U 23-Juniorinnen gezeigt, dass wir auch Cross laufen können!
Es war eine absolut richtige Entscheidung, hier in allen Wettbewerben Mannschaften an den Start zu schicken!“
Geschlossene Mannschaftsleistung mit Bronze belohnt
Damit hätten selbst die kühnsten Optimisten nicht gerechnet: Die deutschen Juniorinnen mit Heike Bienstein, Ingalena Heuck, Julia Hiller und Katharina Becker holten im U 23-Wettbewerb über 6000 m überraschend mit 57 Punkten die Bronzemedaille hinter Groß-Britannien (24) und Russland (44). „Geil“ jubelten dann auch die U 23-Girls bei der Siegerehrung und durften von Belgiens 800 m-Legende Roger Moens die verdiente Bronzemedaille in Empfang nehmen. Schließlich hatten sie mit Irland (80), Spanien (135), Frankreich (137), Portugal (138) und Italien (152) allesamt sehr starke Crossnationen geschlagen.
Die Grundlage für diesen überraschenden Medaillengewinn legte die Dortmunderin Heike Bienstein, die als Sechste selbst ihre eigenen Erwartungen völlig übertreffen konnte. „Ich war vor zwei Jahren als Sechzigste eingelaufen. Das hat man dann immer noch im Hinterkopf. Da ich im Vorfeld wegen Eisenmangel etwas kürzer treten musste, hatte ich mich in Richtung Rang 20 orientiert. Aber dass es so gut laufen würde, das hätte ich nun wirklich nicht gedacht!“
Die 22jährige Studentin für Sportmanagement liebt das Crosslaufen. „Das ist meine Sache! Darauf freue ich mich das ganze Jahr über!“ Nach diesem überraschenden Erfolg sollte nun auch unter den Fittichen ihres Trainers Pierre Ayadi ihre neue Leistungsstärke im Sommer auf der Bahn und der Straße nachfolgen. „Wo es im Sommer hingehen wird, das weiß ich noch nicht. Ich laufe derzeit alles, von 5000 m bis zum Halbmarathon“.
Trotz Handikaps mit einer Entzündung im Zehengrundgelenk und einem zweiwöchigen Alternativtraining lieferte Ingalena Heuck mit Rang 14 ein gutes Rennen ab, während sich Julia Hiller vorrangig für den Mannschaftserfolg als 17. durchkämpfte. „Das ist definitiv zu lang für mich“, so die 3000 m-Hindernismeisterin von 2007. Das erfolgreiche DLV-Quartett komplettierte Katharina Becker als 20.
Die Goldmedaille holte etwas überraschend die in den USA studierende Holländerin Susan Kuijken in 21:02 Minuten und mit deutlichem Vorsprung vor der exzellenten britischen Bergläuferin Susan Tunstall (21:10) und der Russin Zarudneva (21:24), während die Titelvertigerin Ancuta Bobocel nur als Fünfte in 21:43 einlief. Zeitgleich übrigens mit Heike Bienstein!
Alexander Hahn nach Klasserennen Vierter und doch nicht ganz zufrieden
„Als Chahdi, Moen und Carvalho in der Schlussrunde anzogen, konnte ich in diesem Moment nicht folgen. Ich bin zwar wieder etwas herangekommen, aber es hat nicht mehr ganz gereicht zum dritten Platz! Aber ich bin dennoch glücklich, Vierter geworden zu sein!“ freute sich Alexander Hahn, dem bei seinem dritten Start in der U 20-Klasse mit den Plätzen sieben, elf und nun vier ein überzeugender Abschluss in der Jugendklasse gelang. Couragiert hatte sich der Leverkusener immer wieder offensiv und kampffreudig an der Spitze gezeigt, ehe eine kleine Schwäche die sicherlich doch mögliche Medaille kostete.
Ein nicht minder feines Rennen lieferte Florian Orth ab, der in einem spannenden Finish gegen den Spanier Antonio Abadia auf der Ziellinie den Kürzeren zog und Neunter wurde. „Er hat den Überraschungsmoment genutzt, da konnte ich nicht mehr kontern“. Mit 93 Punkten wurde das durch den Ausfall des 3000 m-Meisters Richard Ringer geschwächte DLV-Team mit Alexander Hahn, Florian Orth, dem B-Jugendlichen Stefan Hendtke (36.) und Timo Göhler (44) hinter Frankreich (50), Norwegen (51), Groß-Britannien (52), Türkei (79) und Spanien (89) Sechster.
Stephanie Twell mit dem Hattrick
Zum Auftakt der 15. Cross-Europameisterschaften sorgte Stephanie Twell für den erwarteten Triumph, als sie nach San Giorgio (Italien) und Toro (Spanien) nun auch in Brüssel zum dritten Mal den Titel der U 20-Juniorinnen gewinnen konnte. Die 1500 m-Junioren-Weltmeisterin mit einer Steigerung auf 4:05,83 Minuten beherrschte die Konkurrenz nach Belieben – und diese kam ausschließlich durch ihre eigenen Teamkolleginnen! Denn Groß-Britannien demonstrierte in diesem Wettbewerb eine noch nie da gewesene Überlegenheit auf der schon von Beginn an matschigen Strecke mit den Plätzen 1 bis 6!
Mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung wurden die deutschen Läuferinnen mit Mira Glocker (19.), Carolin Aehling (20.), Corinna Harrer (23.), Mareike Schrulle (27.) und Anna Hahner (28.) hinter Groß-Britannien, der Ukraine (58 Punkte), Russland (62) und Irland (77) mit 89 Punkten Fünfter. „Das war ein klasse Auftritt“, freute sich Nachwuchs-Bundestrainer Lutz Zauber, „vor allem, wenn man mit dem Handikap, aus der ungünstigen Startbox 1 starten muss!“ Mit Rang 19 war Mira Glocker (LAV asics Tübingen die beste DLV-Starterin in der Einzelwertung, obwohl sie in der hektischen Vorstartphase ihr Renntrikot mit der Startnummer und dem integrierten Chip zusammen mit dem Trainingsanzug aus Versehen ausgezogen hatte.
Aufregung gab es aber auch bei Mareike Schrulle, die über die Hälfte des Rennens mit nur einem Spike laufen musste. „Schade, dass wir bei den Mädchen keinen richtigen Überflieger haben, dann wäre hier auch schon wieder einmal eine Team-Medaille machbar!“
Baumeister und Co. enttäuscht
Während die U 23-Juniorinnen des DLV jubeln durften, zeigten sich die männlichen Kollegen deprimiert. Mit 222 Punkten lagen die Junioren als Elfter hinter dem gesteckten Ziel einer Top-10-Platzierung. „Ich weiß nicht, woran es gelegen hat. Die gute Form kann man nicht so schnell verlieren“, zeigte sich vor allem Thorsten Baumeister nach seinem 62. Rang sichtlich enttäuscht und ratlos zugleich. Und Flynn Schwiegelshohn, als 36. noch bester im DLV-Quartett, ergänzte: „Das war brutal hart. In dem Matsch ist man förmlich stecken geblieben!“
Während der für Belgien startende frühere Äthiopier Yeshetela Bekele nach der Streckenhälfte wegen einer Fußverletzung ausstieg, drückte der U20-Juniorenmeister von 2006, Andrea Lalli, mächtig auf das Tempo und konnte einem sicheren Sieg vor dem britischen Berglaufspezialisten Andy Vernon und dem Türken Selim Bayrak entgegen laufen.
Dennoch: Ernüchterung bei den Männern und Frauen
Für die deutschen (aktiven) Starter gab es nach dem erfreulichen Auftakt der Nachwuchs-Läufer mit zwei zehnten Mannschaftsplätzen die erwarteten Platzierungen bei doch merklichen Abstand zu den führenden europäischen Crossnationen. „Heute hat es sich gezeigt, dass wir bei den Männern und Frauen eine dünne Decke in der Spitze haben. Wenn uns einige Leute nicht zur Verfügung stehen, kann man nicht mehr erwarten. Uns fehlen natürlich auch die internationalen Vergleiche, um noch weiter nach vorne zu kommen. Der bei den Männern und Frauen angepeilte Platz acht ist machbar. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, komplette Mannschaften zur EM zu schicken. Wir haben zwar in Brüssel gesehen, dass die Trauben sehr hoch hängen. Wir müssen nur dran bleiben!“
Ohne eine einzige Spitzenplatzierung in den Einzelwertungen war natürlich ein besseres Resultat für die DLV-Athleten nicht zu erzielen. Nach einem mutigen Start von Sebastian Hallmann und Steffen Uliczka mussten beide merklich „Federn“ lassen und kamen letztlich auf den Rängen 33 und 46 ein. „Ich wollte natürlich schon weiter vorne mitlaufen. Aber ich bin einfach mit meinem Schritt nicht durch den Schlamm gekommen!“
Vor allem der 3000 m-Hindernismeister Steffen Uliczka haderte mit seinem Rennen: „Das war eine coole Strecke, deshalb bin ich einfach nur unglücklich mit dem Ergebnis. Es hat einfach nicht zu mehr gereicht. Es ist hart zu sehen, wenn Du innerhalb von nur einer Runde um 20 Plätze durchgereicht wirst. Aber das ist eben Cross!“ Mit Hallmann und Uliczka sowie Stephan Hohl (54.) und Jan Förster (59) reichten 192 Punkte in der Teamwertung zu Rang zehn.
Bedingt durch eine Fußverletzung fehlten der cross-ambitionierten Susanne Hahn vier Wochen Vorbereitung, sodass die DLV-Frauen als Zehnte mit 165 Punkten im Rahmen ihrer Möglichkeiten blieben. „Das Ergebnis zeigt deutlich, was mit einer kurzen Vorbereitung möglich ist“, gestand die Saarbrückerin, die mit Platz 28 noch das beste Einzelresultat einbrachte. „Mir hat vor allem in der Schlussrunde etwas Stehvermögen gefehlt. Ob ich damit zur Cross-WM fahren kann, weiß ich natürlich nicht. Im Mittelpunkt des Trainings wird auf jeden Fall die Marathon-WM stehen. Und dafür muss ich im Frühjahr die Norm laufen!“ rückt Susanne Hahn die Prioritäten für die nächsten Trainingsmonate zurecht.
„Es war so hart, mehr ging einfach nicht!“ gestanden unisono Birte Bultmann und Julia Viellehner nach einem beinharten Rennen im knöcheltiefen Morast. „Ich denke, wir haben gut gekämpft“, zog Birte Bultmann zugleich ein erstes Fazit, die als 43. in ihrer letzten Saison als Leistungssportlerin einen zufrieden stellenden Abschluss ablieferte. Nicht unbedingt zufrieden zeigte sich hingegen Julia Viellehner, die gerne einige Plätze weiter nach vorne gelaufen wäre. „Aber es hat Spaß gemacht, und das ist im Cross das wichtigste“.
3000 m-Hindernis-Olympiasiegerin Galkina nur Zwölfte
Das über 8000 m führende Frauenrennen hatte schon zur Streckenhälfte die eigentliche Überraschung, als die als Mitfavoritin gestartete 3000 m-Hindernis-Olympiasiegerin Gulnara Galkina-Samitova aus einer fünfköpfigen Spitzengruppe zurückfiel und schließlich nur Zwölfte wurde. Dagegen drückte vor allem Hilda Kibet auf das Tempo, um die Konkurrenz mit den beiden Portugiesinnen Jessica Augusto und Ines Monteiro abzuschütteln. Dies gelang der 10 km-Weltklasseläuferin scheinbar in spielerischer Leichtigkeit („Ich wollte mich der Spurtstärke der Portugiesinnen entziehen“), so dass sie mit einer Laufzeit von 27:45 Minuten und einem Neun-Sekunden-Vorsprung nach der U 23-Juniorin Susan Kuijken den zweiten Einzeltitel für die Niederlande holen konnte.
Starkes Groß-Britannien
„Ich wollte gewinnen“, gestand ein sichtlich enttäuschter Mo Farah. Der aus Somalia stammende Brite hatte sich zusammen mit seinem für Schweden laufenden früheren Landsmann Mustafa Mohamed sechs Wochen lang in Äthiopien vorbereitet. „Ich habe alles versucht und weiß nicht, was ich hätte sonst noch anstellen sollen. Ich bin überrascht, wie stark Lebid im Finish war!“ Dabei schien zwei Runden vor dem Ende das Rennen gegen den ukrainischen Abonnementsmeister schon gelaufen zu sein, als er wenige Meter Rückstand auf die Dreiergruppe mit Farah, Mohamed und Spaniens Ayad Lamdassem hatte. „Ich dachte, das ist unsere Chance.
Als es in die letzte Runde ging und ich das Tempo machte, hatte ich nur einen Gedanken: I had to ‚kill’ him!“ Doch Sergey Lebid kehrte zurück mit einem furiosen Finale. „Ich bin enttäuscht, aber dennoch froh, eine Medaille gewonnen zu haben!“ bilanzierte Mo Farah. Apropos Bilanz. Beeindruckend stark präsentierte sich Groß-Britannien mit viermal Gold, dreimal Silber und einmal Bronze.
Für Hansjörg Wirz, den Präsidenten des Europäischen Leichtathletik-Verbandes, waren die 15. SPAR European Cross Countray Championships eine „glanzvolle Veranstaltung, die spektakulär und voller Dramatik“ war. „Wir haben erfreulich viele große Nationen gesehen, die sich im Cross wieder engagieren und Medaillen gewonnen haben“.
Und zog dabei sicherlich auch das Auftreten der deutschen Mittel- und Langstreckler mit ein, die nicht alleine durch die unerwartete Bronzemedaille der U 23-Juniorinnen auf sich aufmerksam machen konnten.
Wilfried Raatz