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2009

Nicht nur Raum hat die deutsche Leichtathletik verloren, sondern auch Zeit. Im Fernsehen findet sie kaum noch statt. Das prominenteste deutsche Meeting, das Istaf im Berliner Olympiastadion, könnte 2009 zum letzten Mal als große Veranstaltung ausgetragen werden

Leichtathletik-Titelkämpfe -Die WM des Schicksals -Für das deutsche Team geht es im August im Berliner Olympiastadion nicht nur um Medaillen, sondern um den Stellenwert seiner Sportart – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel

By GRR 0

Olympische Spiele 1992 in Barcelona. Die Latte liegt auf 1,97 Meter. Das kann nur eine Zwischenhöhe sein für Heike Henkel, die beste Hochspringerin des Jahres. Sie läuft an – und scheitert. Einmal. Zweimal. „Schon nach dem ersten Fehlversuch war mir ganz schlecht.“ 31 Mal hat sie in diesem Jahr gewonnen, und ausgerechnet im wichtigsten Wettkampf würde sie vorzeitig ausscheiden? „Ich muss hier drüber“, sagt sie sich.

Der dritte Versuch klappt, und als sie auch noch über 2,02 Meter fliegt, ist Heike Henkel Olympiasiegerin.

Diese Geschichte hat Henkel vor einigen Tagen in Potsdam 18 Athleten des Junior-Eliteteams erzählt, den möglichen Olympiateilnehmern von 2012. Zum Ansporn, was alles möglich ist, wenn man will und an sich glaubt. Auch Jürgen Mallow hat sich die Geschichte gerne angehört, der Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Für ihn bedeutet sie noch etwas anderes: wie attraktiv seine Sportart ist. „Das ist doch das Spannende an der Leichtathletik: wenn es auf den dritten Versuch ankommt. Da braucht man keinen Zirkus drumherum“, sagt er und hofft, dass es viele genau dieser Momente auch bei den Weltmeisterschaften geben wird, im August im Berliner Olympiastadion.

Immer weniger Stadien für die Leichtathletik

In Berlin wird sich schließlich die Leichtathletik zu beweisen haben wie vielleicht noch nie zuvor in Deutschland. Sie muss sich dagegen wehren, dass sie nur von früheren Erfolgen lebt und vom Status, olympische Kernsportart zu sein – abgesehen davon, dass sie ohnehin unter der Dopingproblematik zu leiden hat. Diese WM wirkt daher wie ein schicksalhaftes Ereignis. Die deutsche Leichtathletik hat auch schon einiges verloren, und sie droht nach dieser WM noch mehr zu verlieren. Sie ist beispielsweise aus vielen Bahnen geworfen worden.

Abschied genommen hat die Leichtathletik zuletzt von der Laufbahn im Stuttgarter Stadion, dem Austragungsort der WM 1993, die wegen des begeisterungsfähigen Publikums Sportgeschichte geschrieben hat. Nach vielen Umbauten sind als Platz für die Leichtathletik gerade noch die Olympiastadien in Berlin und München übrig geblieben, in denen Weltmeisterschaften stattfinden können, und das Stadion in Nürnberg, das noch groß genug für eine Europameisterschaft ist.

Nicht nur Raum hat die deutsche Leichtathletik verloren, sondern auch Zeit. Im Fernsehen findet sie kaum noch statt. Das prominenteste deutsche Meeting, das Istaf im Berliner Olympiastadion, könnte 2009 zum letzten Mal als große Veranstaltung ausgetragen werden. Das hängt vor allem vom Fernsehen und von Sponsoren ab. Dabei wäre ein volles Stadion an den neun WM-Tagen hilfreich, 500 000 Tickets müssen sie dafür verkaufen, 170 000 sind es bislang.

Weniger Medaillen – weniger Trainerstellen

Vor allem aber läuft in der deutschen Leichtathletik das Kerngeschäft zurzeit nicht gut. Die Speerwerferin Christina Obergföll gewann bei den Olympischen Spielen in Peking Bronze – es war die einzige Medaille für die deutschen Leichtathleten. Machte Platz 37 im Leichtathletik-Medaillenspiegel. Es gibt zwar auch die Nationenwertung, in der die Zahl der Endkampfplätze zählt, und in der die Deutschen in Peking immerhin auf Platz sechs landeten. Doch der Eindruck war der des Misserfolgs. Darunter leidet nun die Nachwuchsförderung. „Nach Peking sind Trainerstellen auf Landesebene gestrichen worden“, sagt Mallow, „es ist das fünfte Jahr in Folge, dass wir in der Leichtathletik die Zukunft verspielen.“

DLV-Präsident Clemens Prokop hofft auf ein Gesetz der Serie: „Bei der WM 2005 haben wir fünf Medaillen gewonnen, 2007 sieben, da wären in Berlin neun fällig.“ Erreichen soll diesen Erfolg eine Mannschaft, die aus einigen Routiniers besteht, aber auch aus vielen Talenten. Sie sollten jedoch bei der WM nur an sich denken, sagt Mallow. „Es wäre nicht förderlich, wenn sich unsere Athleten im Wettkampf noch überlegen, dass von ihrer Leistung ein neuer Fernsehvertrag abhängt.“

Überzeugen wird nach seiner Ansicht die Sportart als Ganzes. „Die Leichtathletik ist spannend genug. Man muss sich nur auf sie einlassen.“

 Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Montag, dem 2. Januar 2009
 

author: GRR

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