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08
01
2009

Was am Ende bei diesem Lauf herauskommt, und da wiederhole ich mich gerne, ist schlichtweg unfassbar. Es ist dem Verfasser auch nicht Ansätzen eine Veranstaltung bekannt, die eine derartige Leistungsdichte aufweist.

Die Samurais auf den Straßen – Ein Blick auf die japanische Straßenlaufszene im Herbst 2008 – Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Anfang Dezember bildet der Fukuoka-Marathon den Abschluss des Jahres der international hochkarätigen Marathonveranstaltungen. Dieser Lauf erlebte bereits die 62. Auflage, gehört damit zu den älteren Marathons und besteht übrigens genau so lange wie hierzulande der Paderborner Osterlauf. Schon früh stellte sich hier die japanische Elite der Männer den eingeladenen ausländischen Sportlern in einem Kräftemessen auf höchstem Niveau.

Nicht zufällig wurden bei dieser Veranstaltung zwei Weltrekorde aufgestellt: bereits 1967 unterbot Derek Clayton (AUS) mit 2:09:37 erstmals die 2:10 – Schallmauer im Marathon und 1981 lief sein Landsmann Rob de Castella 2:08:18. Durch die rasanten internationalen Entwicklungen in den letzten beiden Dekaden hat Fukuoka allerdings diese Spitzenstellung eingebüsst, aber ein hohes Niveau insb. in der Leistungsbreite hat dieser Elitelauf (Qualifikationszeit für die Teilnahme: 2:45 h) immer noch.

Dies galt auch für die Veranstaltung am 7. Dezember 2008, zu der u.a. Tesgaye Kebede (ETH), Felix Limo (KEN) und Jon Brown (CAN) als ausländische Teilnehmer eingeladen wurden. Insbesonder Kebede zeigte im Vorfeld bei seinem Sieg im Halbmarathon beim Great North Run im Oktober in Newcastle eine derart bestechende Form, dass die Entscheidung der Veranstalter, die Tempomacher auf ca. 1:04 für die erste Hälfte festzulegen, zunächst etwas verwunderte.

Zumal der 21jährige Äthiopier spätestens nach seinem Sieg im April 2008 beim Paris- Marathon in 2:06:40 und der Bronzemedaille bei Olympia in Beijing als eine der ganz großen Talente im Marathon gilt und schon derzeitig Zeiten im Bereich von 2:05 erwarten lässt. Die beeindruckende Vorstellung Kebedes mit neuem Streckenrekord von 2:06:10, der schnellsten jemals in Japan erzielten Zeit, bestätigt dies nachdrücklich. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre die Zeit mit einer adäquaten Tempogestaltung in der frühen Phase des Rennens noch hochkarätiger ausgefallen, hätte, aber der Äthiopier wurde bis zur 25km-Marke regelrecht
„ausgebremst“.

Erst nach dem Lauf, in dem Kebede nach eher bescheidenen 1:04:02 für die erste Hälfte durch eine gewaltige Temposteigerung bei 30km noch eine hervorragende Endzeit erzielte (der 5km- Abschnitt von 30 km nach 35 km wurde mit 14:17 zurückgelegt, das ist in der internationalen Szene bisher einmalig), wurden die Gründe für die scheinbar eigenwillige Entscheidung des Veranstalters klar.

Der Lauf wird nämlich von Asahi TV organisiert und erzielt im ganzen Land Einschaltquoten von einigen 10%, in Deutschland kann man von einem derartigen Interesse der Öffentlichkeit nur träumen. Damit aber zumindest in der ersten Phase des Laufs der Spannungsbogen erhalten bleibt, müssen möglichst viele Läufer der japanischen Elite in der Spitzengruppe präsent sein, was natürlich Konsequenzen für die anfängliche
Tempogestaltung hat.

In Gesprächen mit den erstklassigen Tempomachern (Jonathan Maiyo, Fabiano Joseph, John Kales) und deren Managern wurde diese Einschätzung bestätigt.

So blieb die Spitze bis gut 25km zusammen, aber der späte fulminante Antritt Kebedes blieb dann den japanischen Spitzenläufern aber nicht erspart, die aber in der Spitze noch ausgezeichnete Zeiten erzielten: Irifune 2:09:23, Fujiwara 2:09:47 und Sato 2:09:59. Doch im Land der aufgehenden Sonne sind die Ansprüche wesentlich höher als bei uns (Jahresbester: Falk Cierpinski 2:13:30), und der große Vorsprung des Äthiopiers von über drei Minuten wurde schon fast als nationale Schande empfunden.

Der für die Langstrecken verantwortliche Leiter des japanischen Leichtathletikverbands, Keisuke Sawaki, sprach offen von einer Krise,angesichts des Leistungsniveaus und des Fehlens etlicher einheimischer Topathleten eine kaum nachzuvollziehende Kritik.

Aber was den Straßenlauf anbetrifft, bewegen sich die Dinge in Japan in der Tat auf einem anderen Niveau als in unseren Landen. Schon beim Betreten eines Sportgeschäfts fällt sofort eine Auswahl an Sportschuhen für den Leistungsbereich ins Auge, die man in Deutschland in dieser Form auch in Spezialgeschäften vergeblich suchen wird. Dies wird aber sofort verständlich, wenn man realisiert, auf welchem Niveau und in welcher Leistungsbreite engagierte Breitensportler in Japan agieren. Dabei spielen die Langstreckenstaffeln, die sogeannten . „Ekiden“ (Wortstamm: Station + Übergabe), eine besondere Rolle, die in der Öffentlichkeit
große Beachtung finden.

Über das ganze Jahr verteilt finden diese Staffelläufe statt und reichen von etwa der Marathondistanz bis zu mehrtägigen Veranstaltungen. Und diese Events sind ein enormer Leistungsansporn für ungeahnte Läufermassen, was durch die Medien eine weitere Steigerung erfährt. Einer der populärsten Läufe ist der „Hakonen Ekiden“ zu Neujahr, der über zwei Tagesetappen von 108 km und 110 km von Tokyo nach Hakonen und zurück führt. Japanweit wird dieser Ekiden live im TV übertragen.

Das Angebot an diesen Staffelläufen ist in der Tat weit gefächert. Eine nette Idee war z.B. die Stafette von Grundschulen im Dezember, in der versucht wurde, den Berliner Weltrekord von Haile Gebrselassie über die
Marathondistanz zu unterbieten. Das Unternehmen scheiterte nur knapp, mobilisierte und motivierte aber eine erhebliche Anzahl von Schülern für den Laufsport.

Nur diese Mechanismen lassen zumindest in Ansätzen verstehen, auf welchem Leistungsniveau die Schüler von High Schools und im engagierten Breitensportbereich in Japan agieren. Während hierzulande die Breite an engagierten Hobbyläufern in den letzten 20 Jahren weitgehend verloren gegangen ist, hat sich dieser Trend in Japan fast in der gegensätzlichen Richtung entwickelt. Für einen Außenstehenden ist die Leistungsbereitschaft und –fähigkeit der japanischen Läufer hinter den in der Regel von Firmen unterstützten Profis schier unglaublich.

Einer von vielen Halbmarathons in der Nähe Tokyos weist eine Leistungsdichte auf, die auch für den Fachmann kaum nachzuvollziehen ist. In der Stadt Ageo findet dieser Lauf statt, der wegen der Qualifikation für den Hakonen-Ekiden auch viele High School Schüler anzieht und in der ungestümen Startphase fast schon an die Stierhatz im spanischen Pamplona erinnert. Was am Ende bei diesem Lauf herauskommt, und da wiederhole ich mich gerne, ist schlichtweg unfassbar. Es ist dem Verfasser auch nicht Ansätzen eine Veranstaltung bekannt, die eine derartige Leistungsdichte aufweist.

Horst Milde, der Vater des Berlin- Marathons, wies vor einiger Zeit auf die enorme Leistungsdichte beim etablierten Kyoto- Halbmarathon hin:  31. Kyoto Halbmarathon, Ageo stellt aber alles in den Schatten. Wenn in einem Halbmarathon ohne die absolute Spitze 200 Läufer unter 1:06:43 bleiben und sogar 410 unter 70 Minuten, dann kommt man in der Tat ins Staunen. Um die Diskussion zu konkretisieren werden in einer Tabelle die Daten aus Ageo mit repräsentativen Veranstaltungen in Deutschland verglichen: Der Berliner Halbmarathon und der Paderborner Osterlauf. Die Zahlen sprechen für sich!

Welches gewaltige Leistungsniveau (nicht nur) in Ageo vorliegt, wird auch im Vergleich mit der aktuellen DLV-Bestenliste für den Halbmarathon im Jahr 2008 deutlich. Während 100 Aktive in Ageo bei einer Zeit von 1:05:28 im Ziel waren, waren das in ganz Deutschland und im Jahr 2008 nur 2 Läufer, bei 1:06:43 sieht es mit 200 zu 10 kaum besser aus. Weitere Schlussfolgerungen und vor allem auch Gründe für diesen Status überlassen wir dem Leser.

Beobachtungen bei Reisen durch das Land legen aber nahe, dass die Problematik sicher nicht durch den Fokus auf den Laufsport allein zu ergründen ist.

Gleichfalls beeindruckend sind Zahlen, die im September vom Tokyo-Marathon bekannt wurden. Während in Japan bisher die hochkarätigen Marathonläufe auf die Elite von Frauen oder Männer und die Leistungsklasse (typisch unter 2:45) beschränkt blieben, deutet sich jetzt unter dem Druck des großen internationalen Erfolgs der Trend zum Massenevent an.

Der Tokyo-Marathon hat diesen Schritt vor zwei Jahren vollzogen und berichtet zum Anmeldeschluss im September 2008 von 260 000 Anmeldungen für die insgesamt 30 000 zur Verfügung stehenden Startplätze im März 2009.

Neben dieser außergewöhnlichen Zahl ist sicher gleichfalls faszinierend, dass bereits in weniger als zwei Tagen nach Beginn des Anmeldetermins am 22. März 2008 im Prinzip alle Startplätze ausgebucht waren. Diesen Entwicklungen trägt auch der Tokyo Frauen-Marathon Rechnung, der im November zum letzten Mal als ein separater Lauf ausgetragen wurde und nun in den großen Lauf im März 2009 integriert wird. Die Organisatoren haben dabei große Ambitionen hinsichtlich des Leistungsniveaus und einer entsprechenden Breite und hoffen schon bald auf eine Aufnahme in den Kreis der Eliteliga der World Marathon Majors. Dieses Unterfangen erscheint nicht unrealistisch.

 

Läufer
bis
Aego
HM 2008
Berlin
HM 2007
Berlin
HM 2008
PB
HM 2007
PB
HM 2008
DLV
HM 2008
01:03:53
10
12
15
2
2
0
01:04:45
50
13 (1)
17
3
6
1
01:05:28
100
14 (2)
17
5
8
2
01:06:43
200
14 (2)
17
5
11
10
01:08:09
300
16 (3)
21 (2)
5
13 (1)
26
01:09:48
400
22 (5)
25 (2)
7 (1)
13 (1)
 
01:12:59
500
38 (8)
50 (9)
12 (5)
14 (1)
 

Tabelle: Vergleich von Finishern beim Ageo Halbmarathon 2008 mit Resultaten des Berlin Halbmarathons 2007 und 2008, des Halbmarathons beim Paderborner Osterlauf 2007 und 2008 sowie der DLV-Bestenliste für den Halbmarathon 2008. Die in Klammern aufgeführten Ziffern geben die Anzahl deutscher Teilnehmer an.

Der Herbst brachte in Japan auch mit den Namen großer Persönlichkeiten auf der Marathondistanz ins Rampenlicht. Im Oktober erklärte Naoko Takahashi nach mehreren Rückschlägen ihren Rücktritt vom Leistungssport. Unvergessen ihre beiden Läufe bei Berlin- Marathon, wo sie im September 2001 mit dem Weltrekord von 2:19:46 als erste Frau die Schallmauer von 2:20 h unterbot.

Noch am Anfang großer Taten steht dagegen Samuel Wanjiru. Der gebürtige Kenianer kam schon als Jugendlicher nach Japan (spricht fließend japanisch) und schloss sich dort einem Firmenteam auf Hokkaido und danach in der Nähe Fukuokas an. Er gilt spätestens nach seinem Halbmarathon-Weltrekord in Den Haag vor zwei Jahren in 58:33 und natürlich nach seinem beeindruckenden Olympiasieg in Beijing in 2:06:32 als einer der Läufer mit dem größten Zukunftspotential, der relativ behutsam von seinem Trainer, dem Olympiazweiten von Barcelona Koichi Morishita, an die Weltspitze herangeführt wurde.

Samuel war als Zuschauer beim Fukuoka-Marathon vor Ort, da er einen Start über den Halbmarathon im Februar in den Vereinigten Arabischen Emiraten vorzog. Er plant im April beim wieder herausragend besetzten London-Marathon Hailes Weltrekord anzugreifen und danach ggfs. sogar auf die WM in Berlin zu verzichten, um kurz danach an gleicher Stätte Jagd auf eine Zeit unter 2:03 zu machen. Und zum Jahresende 2009 – und damit schließt sich der Kreis unseres Exkurses über die japanische Laufszene – will er wieder beim Fukuoka-
Marathon starten, den er vor einem Jahr bei seinem Debut mit 2:06:39 in beeindruckender Manier gewann.

Detaillierte und aktuelle Informationen über die Laufszene in Japan finde sich auf der Homepage des Kanadiers Brett Larner unter: https://japanrunningnews.blogspot.com/ und auch auf der englischen Seite von German Road Races (GRR):

Japan Running News

 

Helmut Winter

author: GRR

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