Was sie aus ihrem Studium und ihrer sportlichen Karriere gelernt hat, ist dies: Die Sportler brauchen mehr Beratung, Lebensberatung. „Der Blick über den Tellerrand fehlt zum Teil.“ Jungen Sportlern ihre Perspektiven aufzuzeigen, sei aber nicht nur Aufgabe der Universität, sondern auch der Trainer.
Sport und Studium – Freiflug ins richtige Leben – Wasserspringerin Ditte Kotzian studiert nebenbei. Und untersucht in ihrer Diplomarbeit, wie sich Spitzensport und Universität vertragen. Friedhard Teuffel im Tagesspiegel
In ihrer Diplomarbeit untersucht Ditte Kotzian gerade ein Stück ihrer eigenen Lebensgeschichte. Wie Studium und Spitzensport miteinander vereinbart werden können, das ist ihr Thema, und genau das hat Ditte Kotzians Leben in den vergangenen Jahren mitbestimmt: So viel trainieren zu können, dass sie beim Wasserspringen international vorne dabei ist und dennoch mit dem Studium vorankommt.
Das Ergebnis ihrer wissenschaftlichen Arbeit steht in einigen Wochen fest, aber an ihrem persönlichen Resultat besteht seit den Olympischen Spielen in Peking kein Zweifel. Wer kurz vor Studienabschluss eine Bronzemedaille im Synchronspringen gewinnt, der hat beides ausgezeichnet miteinander verknüpft.
Damit ist die 29 Jahre alte Berlinerin ein gutes Beispiel in einer ideologischen Auseinandersetzung. Die Theoretiker des Sports streiten, wie größtmöglicher Erfolg erreicht werden kann. Die einen glauben, dass es nur mit voller Konzentration geht. Machen es nicht die Chinesen so, alles in den Sport zu investieren, und haben sie nicht am meisten Erfolg? Kotzian sagt: „Vielleicht hätte ich den einen oder anderen Wettkampf besser gemacht, aber um so hohe Punktzahlen wie die chinesischen Springerinnen zu erreichen, hätte ich mir zwanzig Zentimeter aus meinem Körper herausschneiden müssen.“ Mit einer Größe von 1,77 Metern habe sie schließlich einen Nachteil gegenüber zierlichen Chinesinnen, die sich bei Schrauben und Saltos besser drehen. „Vor allem würde mir ohne Studium ein wichtiger Schritt in Richtung Zukunft fehlen“, sagt sie.
"Ich möchte keine Waffe in die Hand nehmen."
So ist Kotzian zur Fürsprecherin der anderen Richtung geworden. Duale Karriere nennt sie sich. Studium oder Beruf und Sport schaden einander nicht unbedingt, vielleicht ist gerade Kopfarbeit sinnvoll, um seinen Körper mehr belasten zu können. „Wenn man sich nicht weiterbildet, hört auch der Denkprozess beim Sport auf“, sagt Kotzian. Sie hätte sich auch gar nichts anderes vorstellen können. Eine Alternative wäre gewesen, sich ihre sportliche Karriere durch den Eintritt in die Bundeswehr absichern und bezahlen zu lassen. „Das kam für mich nicht in Frage, denn ich bin absoluter Kriegsgegner. Ich möchte keine Waffe in die Hand nehmen. Und ich wollte zur Uni.“
Gelandet ist sie an der Humboldt-Universität, wo so viele Spitzensportler wie an keiner anderen deutschen Hochschule studieren, 82 sind es, wenn man Bundeskaderathleten und Erstligaspieler in den Spielsportarten zusammenzählt. 40 von ihnen sind in einem Studiengang Sport eingeschrieben. Nicht immer können die Sportler ihre Prüfungen gemeinsam mit ihren Kommilitonen schreiben, weil sie dann gerade bei einem Wettkampf oder im Trainingslager sind. Sie sind auf Flexibilität angewiesen, etwa dass ihnen eigene Prüfungs- oder Abgabetermine für Hausarbeiten angeboten werden. „Es hängt oft von den Dozenten ab, wie flexibel die Bedingungen sind“, sagt Kotzian.
Jede Fakultät der Humboldt-Universität hat daher einen persönlichen Mentor ernannt, der zwischen studierenden Spitzensportlern und Dozenten vermitteln und den Sportlern helfen soll, ihr Studium zu organisieren. Wie die Arbeit dieser Mentoren klappt, das untersucht Kotzian in ihrer Diplomarbeit. „Die Uni muss es als Standortvorteil erkennen, dass an ihr Spitzensportler studieren. Als Spitzensportler repräsentiert man seine Uni und das ganze Land“, sagt Kotzian. „Uns werden doch keine Scheine geschenkt.“
Doch lieber Fotografie oder Archäologie?
Als Sportstudentin ist Kotzian mit ihren Wünschen auf wenig Widerstände gestoßen, finanzielle Unterstützung auf ihrem Weg bekam sie vor allem von der Sporthilfe. Sie selbst habe jedoch nicht alles richtig gemacht, findet sie. „Mit der Wahl meines Studienfaches habe ich es mir zu einfach gemacht, weil ich es vollkommen auf den Sport ausgerichtet habe“, sagt sie. Sie hatte sich für Sport und Englisch auf Lehramt entschieden, später wechselte sie noch einmal auf einen Diplomstudiengang Sportwissenschaft mit Schwerpunkt Leistungsmanagement und Marketing. „Ich fotografiere gerne, ich hätte auch etwas Kreatives studieren können mit Medien oder Archäologie.“ Das waren in der Schulzeit Studienwünsche von ihr. „Mit 19 denkt man einfach noch nicht so weit, da geht es vor allem um den Sport.“
So vielseitig ihr Leben sei und so viele Freiheiten es ihr lasse, auch für soziale Aktivitäten – einen Nachteil bringe dieses Leben dennoch mit sich. „Als Sportler hängt man der Entwicklung hinterher. Man ist die ganze Zeit mit frischen jungen Menschen zusammen, man ist so verspielt“, sagt sie. In dem Leben, was andere das richtige Leben nennen, sei sie noch gar nicht angekommen. Sie weiß noch nicht, ob und wie sie das, was sie im Sport erworben hat, die Zielstrebigkeit, die Disziplin, auch im Arbeitsleben anwenden kann.
"Der Blick über den Tellerrand fehlt."
Was sie aus ihrem Studium und ihrer sportlichen Karriere gelernt hat, ist dies: Die Sportler brauchen mehr Beratung, Lebensberatung. „Der Blick über den Tellerrand fehlt zum Teil.“ Jungen Sportlern ihre Perspektiven aufzuzeigen, sei aber nicht nur Aufgabe der Universität, sondern auch der Trainer. „Vom Trainer müsste mehr kommen, der hat auch eine pädagogische Funktion. Er müsste etwa die Athleten frühzeitig zum Nachdenken über ihren beruflichen Weg anregen und ihnen klar machen, dass Abitur und Ausbildung wichtig sind.“ Vielleicht wird sich diese Aussage auch in ihrer Diplomarbeit finden. Genau wie der Ratschlag, den Ditte Kotzian für junge Sportler hat: „Ihr könnt ein bis zwei Jahre nach der Schule nur Sport machen, aber dann entscheidet euch und bereitet die Karriere nach dem Sport vor. Manche sind auf einmal 27 und sagen: Oh Gott, ich habe außer Sport noch nichts für meine Zukunft gemacht.“
Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Sonntag, dem 11. Januar 2009