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06
02
2009

Christina Obergföll, 27, ist eine der wichtigsten deutschen Leichtathletinnen, so eine muss man beim Wort nehmen in dieser Sache, zumal sie in Offenburg lebt, am anderen Ende der Republik, und die Lage des Berliners Goldmann mit Abstand betrachten kann.

Der Fall Goldmann „Die Finger verbrannt“ – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung – Goldmann, der Brief, die Unterschriften: Diese Begriffe prägen eine heftige Debatte. Speerwerferin Christina Obergföll diskutiert, warum sie für den dopingbelasteten Trainer unterschrieben hat.

By GRR 0

Um den Sport geht es dann auch noch nach all den Fragen zu Osten und Vergangenheit, und Christina Obergföll, die Speerwerferin, wirkt plötzlich wieder ganz sicher. Von den Vorbereitungen auf die WM in Berlin redet sie, vom Trainingslager in Südafrika mit Norwegens Olympiasieger Andreas Thorkildsen, von ihren Zielen und inneren Kämpfen.

Sogar von der Krise der deutschen Leichtathletik, die selbst vor ihr nicht Halt macht, obwohl sie dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) als Bronze-Gewinnerin bei Olympia die einzige Medaille brachte.

"Der Etat der Ausrüster ist so, dass sie für die Leichtathletik weniger Geld haben", sagt Christina Obergföll, "momentan habe ich das Gefühl, dass ich sehr darunter leide, dass wir so schlecht abgeschnitten haben in Peking." Aber auch dieses Thema scheint ihr längst nicht so unangenehm zu sein wie die Diskussion zuvor um das umstrittenste Autogramm ihrer bisherigen Karriere. Ihre Unterschrift unter den Protestbrief für die Weiterbeschäftigung des dopingbelasteten, früheren DDR-Trainers Werner Goldmann.

"Ich stehe dazu"

Goldmann. Der Brief. Die Unterschriften. Das sind die Schlagworte zu einer langen Geschichte, die viel über die miserable Aufarbeitung des DDR-Staatsdopings erzählt, fast genauso viel über zu enge Athletenperspektiven, und die in Kurzfassung so geht: Vor den Spielen 2008 erklärte der frühere Kugelstoßer Gerd Jacobs, staatlich anerkanntes DDR-Dopingopfer und geständiger früherer Stasispitzel ("Ich war hochgradig beteiligt"), im ZDF, dass Werner Goldmann, damals Disziplintrainer im DLV, ihm zu DDR-Zeiten Dopingmittel verabreicht habe.

Goldmann dementierte, vor der Abreise nach Peking unterzeichnete er die Ehrenerklärung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), nie Dopingmittel weitergegeben zu haben. Eine DOSB-Kommission unter dem früheren Bundesverfassungsrichter Udo Steiner ermittelte, kam nach Olympia zu dem Schluss, Goldmanns Ehrenerklärung sei falsch, und empfahl, Goldmanns Vertrag nicht zu verlängern. Der DLV folgte, eine Gruppe von Werfern um den Goldmann-Schüler und Diskus-WM-Zweiten Robert Harting wollte das nicht hinnehmen und setzte den Protestbrief auf, den auch Obergföll unterschrieb.
 
Man kann den Athleten-Ärger in gewisser Weise verstehen: 20 Jahre nach der Wende lässt der Sport einen Trainer über seine DDR-Vergangenheit stürzen, dessen Dienste er jahrelang nutzte – diese Doppelmoral muss ein Athlet nicht sofort nachvollziehen. Ihr Brief allerdings ist so oberflächlich, dass darin von der Kompliziertheit des Themas DDR-Sport wenig mehr übrig bleibt als ein eigennütziges, widersprüchlich hingewinseltes Gnadengesuch.

"Hat im Rahmen dieses Verfahrens jemand einmal die Seite Mensch des Werner Goldmann betrachtet?", fragen die Autoren und bedenken mit keiner Silbe, ob nicht auch Goldmann einen Fehler gemacht hat. "Wird jedem ehemaligen Sportler ohne weiteres Glauben geschenkt, auch wenn es dafür keine Beweise gibt?"

Dopingopfer Jacobs steht da wie ein beliebiger Rufmörder. Die Autoren beklagen kritische Medienberichte zur Aufarbeitung ("Warum wird immer wieder Unruhe und Stress in die Vorbereitung der Sportler gebracht (…)?"). Und die Goldmann-Lüge stellen sie als natürlichen Umstand dar: "Wie kann der DOSB einem sportverrückten Trainer eine Ehrenerklärung vorlegen, von der man weiß, dass sie nicht erfüllt werden kann." Schreiben so glaubwürdige Vertreter des Antidopingkampfes?

Christina Obergföll, 27, ist eine der wichtigsten deutschen Leichtathletinnen, so eine muss man beim Wort nehmen in dieser Sache, zumal sie in Offenburg lebt, am anderen Ende der Republik, und die Lage des Berliners Goldmann mit Abstand betrachten kann. Aber das Thema liegt ihr nicht. Sie sitzt in Offenburg in einem Café, daneben ihr Trainer Werner Daniels, ringt um Antworten, rührt ratlos im Milchkaffee – und wirkt vor allem überfordert.

Sie berichtet, wie der Leipziger Kugelstoßer Peter Sack "und andere Athleten" ihr beim Kadertreffen Anfang Januar in Kienbaum den Brief vorlegten. "Ich habe mir den Brief durchgelesen und zum Peter gesagt, okay, ich finde das grundsätzlich in Ordnung. Ich bin mit Werner Goldmann mehrere Jahre zur gleichen Zeit ins Trainingslager gefahren. Ich kann nichts Negatives über ihn sagen. Und ich finde das auch schade, dass einem Verband nach 20 Jahren plötzlich einfällt, ihm den Vertrag nicht zu verlängern, obwohl er bis dato gut genug war." Sie wollte solidarisch sein. Ein paar Formulierungen fand sie nicht gut, aber für Diskussionen war keine Zeit. "Das war auch so ein bisschen zwischen Tür und Angel." Es soll keine Ausrede sein. "Jetzt habe ich da unterschrieben und stehe zu dem, was ich eben geäußert habe."

Das erste Echo auf den Brief hörte sie kaum, weil sie in Südafrika trainierte, erst nach der Rückkehr wurde ihr klar, dass dieser Freundschaftsdienst ihr Image belastet. In einem offenen Brief erklärten DOSB-Präsident Thomas Bach und DOSB-Generaldirektor Michael Vesper, dass Goldmann, in der DDR Trainer des nach Aktenlage staatlich gedopten Kugelstoß-Olympiasiegers Ulf Timmermann, mit einem Bekenntnis seinen Job hätte bewahren können. Steiners Kommission habe "ihm mehrere Brücken gebaut, über die Herr Goldmann aber leider nicht gehen wollte?, sagt der DOSB-Brief. Christina Obergföll sagt: "Das habe ich gar nicht so gewusst."

Sie sagt: "Es ging bei dem Brief hauptsächlich darum, Werner Goldmann irgendwie noch mal eine Chance zu eröffnen." Aber gehört zum Einsatz für Goldmann, nicht auch Verständnis für ein Dopingopfer wie Jacobs, der sein kaputtes Herz ersetzen lassen musste, während Goldmann seine Karriere nach der Wende fast unbehelligt weiterführte? Christina Obergföll überlegt. Es sei in dem Brief eben nur um den Trainer und dessen Job gegangen, deswegen hätten sie "Jacobs' Situation in diesem Fall außer Acht gelassen".

Daniels wirft ein: "Wenn man es so betrachtet, ist die Geschichte sehr vielschichtig." Aber müsste die beste deutsche Leichtathletin diese Geschichte nicht besser kennen? "Mag sein, ja", sagt Christina Obergföll, "aber ich habe eben primär das unterstützt, was ich schon gesagt habe. Zu allem anderen halte ich mich raus. Es ist nicht mein Thema."

Viele Athleten sind zu sehr mit sich und ihrem Sport beschäftigt, als dass sie tiefer einsteigen könnten in die weiten gesellschaftlichen Problemfelder ihres Gewerbes. Sie lassen sich vor allem von ihren Interessen leiten und von dem Unmut, den jede unerwünschte Veränderung mit sich bringt. "Ich glaube, dass da sehr viele Emotionen dahinterstecken", sagt Christina Obergföll zu dem Brief, "dass das teilweise ein bisschen zu heftig formuliert worden ist. Und dass man das den Athleten auch zugestehen muss."

Gespräche mit den anderen

Es klingt wie eine Kapitulation. Ein seitenlanger Brief als Gefühlsausbruch? Wollen Athleten nicht ernster genommen werden? Da schweigt Christina Obergföll. In ihr Schweigen hinein sagt Werner Daniels: "Man kann einen Brief, in dem es um die Weiterbeschäftigung des Trainers Werner Goldmann geht, nicht als eine Missachtung der gesamten Dopingproblematik oder der Dopingopfer deuten." Und schon ist man wieder am Anfang der Diskussion. Denn tatsächlich lässt der Brief genau diese Deutung zu.

Christina Obergföll fühlt sich in eine Ecke gedrängt, in die sie nicht wollte. "Ich habe mir an dem Thema ein bisschen die Finger verbrannt." Die Lehre daraus? "Dass man in Zukunft mehr überlegt, bevor man sagt, okay, ich unterschreibe das." Nächste Woche trifft sie in Kienbaum die anderen Athleten wieder, dann will sie mit ihnen noch einmal über die ganze Geschichte sprechen. Ansonsten soll das Thema fortan ruhen. "Ich habe gesagt, ich äußere mich dazu nicht mehr."

Und wenig später beginnt Christina Obergföll lebhaft, von den einfacheren Dingen ihres Werferinnenlebens zu erzählen.

Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Freitag, dem 6. Februar 2009

author: GRR

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