Steffi Nerius macht mit den Jugendlichen jetzt das, was auch gesunde Sportler tun: Aufwärmen mit Gymnastik, dann eine Laufeinheit mit Starts, 25- und 50-Meter-Läufen einzeln und gemeinsam.
Speerwerferin Steffi Nerius und der TSV Bayer 04 Leverkusen suchen junge Leichtathletik-Talente für den Behindertensport – J.P. Morgan fördert das Projekt im Rahmen des Corporate Challenge
Ein Samstag in der Leichtathletik-Halle des TSV Bayer 04 Leverkusen: Hier sieht man etwas, was zutiefst betroffen macht und doch auch ein wenig beglückt. Zehn junge Leute – Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene – mit Unterschenkel- oder auch Oberschenkelamputationen.
Sie sind zwischen neun und 23 Jahren alt. An diesem Wochenende sind sie gut gelaunt und optimistisch, denn Deutschlands beste Speerwerferin Steffi Nerius und Jörg Frischmann von der TSV-Geschäftsstelle Behindertensport haben sie zu einem Sichtungslehrgang eingeladen. „Wir wollen feststellen, ob sie beim Sport Spaß haben und was sie können“, erläutert Steffi Nerius. Ziel ist es, junge und begabte Behindertensportler zu finden, die langfristig auf die Paralympics vorbereitet werden können oder dem Sport anderweit verbunden bleiben.
Mit Steffi Nerius, die bei den Olympischen Spielen in Athen die Silbermedaille gewonnen hat, steht den jungen Sportlern nicht nur eine kompetente, sondern vor allem auch freundliche und ruhige, aber doch motivierende Trainerin zur Seite. Sie ist von Beruf Diplom-Sportlehrerin mit der Spezialisierung auf Rehabilitations- und Behindertensport und verfügt über eine vierjährige Erfahrung in einer Reha-Praxis. Vor einiger Zeit engagierte sie der TSV Bayer 04 Leverkusen als Trainerin für Nachwuchs in der Behinderten-Abteilung Leichtathletik.
Steffi Nerius macht mit den Jugendlichen jetzt das, was auch gesunde Sportler tun: Aufwärmen mit Gymnastik, dann eine Laufeinheit mit Starts, 25- und 50-Meter-Läufen einzeln und gemeinsam. Sie begutachtet die Technik jedes Aktiven, gibt Tipps und feuert an. Alle sind hundertprozentig bei der Sache und haben offensichtlich Freude an der Trainingseinheit.
Vanessa Low und Steffi Nerius im GedankenaustauschIns Auge fällt sofort Vanessa Low aus Ratzeburg, die doppeloberschenkelamputiert ist, aber unbedingt laufen will. Vanessa ist hübsch, blond und sportlich. Da ihre Oma in Leverkusen wohnt, ist sie bei der Trainingseinheit dabei. Sie trägt Laufprothesen aus Karbon wie man sie von dem Südafrikaner Oscar Pistorius kennt, der darum kämpfte, als Behindertensportler bei den „normalen“ Olympischen Spielen in Peking mitmachen zu dürfen. Es sind Leihfüße von der Firma Össur. Noch kämpft Vanessa mit ihrer Krankenkasse um die Kostenübernahme passender Sportorthesen.
Weiter dabei sind Christopher Hoffmann aus Solingen, 20 Jahre, unterarmamputiert und Sieger bei der Junioren-Weltmeisterschaft im Kugelstoßen. Marcus Rehm aus Stuttgart, ebenfalls 20 Jahre, wird jetzt seine Ausbildung zum Orthopädiemechaniker abschließen und sich dann im Raum Leverkusen eine Stelle suchen, um die guten sportlichen Bedingungen vor Ort zu nutzen. Er ist begabt für Laufen, Springen und den Mehrkampf. Christian Dahmen aus Leverkusen, 19 Jahre, machte bisher wenig Sport und interessiert sich für Sitz-Volleyball. Slawen Brud aus Köln, von Beruf Sport- und Fitness-Kaufmann, machte bisher nur Kraftsport und fängt mit der Leichtathletik gerade an. Sein Talent ist ebenso wie bei Marcus Rehm und David Behre aus Moers, der bei einem Eisenbahnunfall beide Unterschenkel verlor und nur dank seiner robusten Physis überlebte, offensichtlich.
Bei den Paralympics im Schwimmen ging der sehbehinderte Daniel Simon aus Darmstadt bereits an den Start. Er überlegt, zur Leichtathletik zu wechseln. Ein ebenfalls etablierter Athlet ist Heinrich Popow mit 23 Jahren, der im 100 Meter-Lauf von Peking die Silbermedaille bei den Oberschenkelamputierten gewonnen hat. Neu in diesem Kreis ist Christin Seitz aus Köln, die von dem Leverkusener Sichtungsprojekt gehört hat und auf eigene Initiative daran teilnimmt. Benjamin und Liebling aller ist der erst neun Jahre alte Philipp Wasserberg aus Alfter, der wegen einer Krebserkrankung oberschenkelamputiert ist und mit einer Alltagsprothese das Leichtathletik-Programm absolviert.
Gesunde und Behinderte treiben gleichzeitig Sport. Direkt neben der Laufbahn windet sich Stabhochspringer Danny Ecker, immerhin Fünfter bei Olympia, über die Latte. Und auch Diskuswerferin Franka Dietzsch ist in die Halle gekommen. „Die Kinder und Jugendlichen, die heute hier sind, wollen Gas geben“, sagt Jörg Frischmann. „Sie wollen das machen, was Nichtbehinderte auch machen – springen, laufen und werfen.“ Beim TSV Bayer 04 Leverkusen kümmert man sich um sie und schenkt ihnen dazu eine große Portion Lebensfreude.
J.P. Morgan fördert das Projekt im Rahmen des Corporate Challenge mit 10.000 Euro.