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18
03
2009

Vergessene Rekorde – eine Ausstellung zur Leichtathletik-WM – Erinnerung an prominente jüdische Sportlerinnen soll wach gehalten werden – Hans Jürgen Wille berichtet

By GRR 0

Der heutigen Generation sagen Namen wie Lilli Henoch, Gretel Bergmann oder Martha Jacob wenig, wahrscheinlich sogar nichts. Doch das Erinnern an ihr Wirken und ihre unbeugsame Einstellung muss unbedingt wach und erhalten bleiben.

Es waren nämlich drei jüdische Frauen, die in den 20er und 30er Jahren die deutsche Leichtathletik befruchteten und ihr mit exzellenten Leistungen enormen Auftrieb gaben, später aber als Nicht-Arierinnen während der NS-Zeit wie viele Ihrer Leidensgenossen diskriminiert, verfolgt und teilweise sogar ermordet wurden.

Aus Anlass der 12. IAAF-Weltmeisterschaft in Berlin soll eine Ausstellung mit dem Titel „Vergessene Rekorde“ auf die damalige Situation und ihre schlimmen Auswüchse aufmerksam machen.

Der Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Sports der Universität Potsdam unter Leitung von Prof. Dr. Hans Joachim Teichler bereitet derzeit eine multimedial angelegte Dokumentation vor, die sich mit dem Geschehen von jüdischen Athletinnen während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus beschäftigt. „Einen großen finanziellen Beitrag liefert dabei die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung mit einem Fördervolumen von insgesamt 30.000 Euro“, erklärte erfreut der angesehene Sportwissenschaftler.

Außerdem konnten als Kooperationspartner das Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Uni Potsdam, sowohl das Jüdische als auch das Sportmuseum Berlin sowie das Institut für Judaistik an der Freien Universität  Berlin gewonnen werden.

Die Umsetzung des Projektes erfolgt im Rahmen eines wissenschaftlichen Praktikums für Studierende an der Hochschule Potsdam. Gesucht werden aber noch Zeitzeugen, Fotomaterial und interessante Utensilien.

Teil eins der Präsentation, die acht Wochen lang, vom 21. Juni bis 23. August im Centrum Judaicum in Berlin zu sehen sein wird, beschäftigt sich zunächst einmal generell mit dem Aufblühen der deutschen Leichtathletik ab dem Jahr 1920, wobei speziell dem Frauen-Bereich vielschichtige Beachtung geschenkt wird. Vor allem in den Großstädten verzeichnete er einen starken Zuwachs und gewann enorm an Bedeutung. So errang beispielsweise Lina Radke-Batschauer 1928 in Amsterdam die Goldmedaille über 800 Meter.

Im Focus des zweiten Kapitels sollen prominente jüdische Athletinnen stehen, die zu Aushängeschildern beziehungsweise Vorbildern in ihren Klubs avancierten, für die damalige Zeit sensationelle Leistungen vollbrachten und teilweise sogar auf den Titelblättern von Illustrierten auftauchten. Was unter anderem auf die beiden Berlinerinnen Lilli Henoch (BSC) und Martel Jacob (SCC) sowie Gretel Bergmann vom FV Ulm zutraf.

Der dritte Schwerpunkt beschreibt dann, wie jüdische Sportler ohne gesetzliche Grundlage mit Beginn der braunen Herrschaft 1933 aus ihren Vereinen ausgeschlossen beziehungsweise herausgedrängt wurden. Für kurze Zeit fanden sie in der rein-jüdischen Sportbewegung wie Makkabi oder dem Sportbund Schild  Zuflucht. Doch diese Auffangbecken oder auch Rückzugsräume hatte nicht allzu lange Bestand und wurden spätestens nach den Olympischen Spielen 1936 zerstört.

Am Beispiel von Gretel Bergmann, geboren 1914, lässt sich das gut nachvollziehen. Sie, die einst ihre Karriere im schwäbischen Laupheim begann und eine der besten deutschen Hochspringerinnen war, musste 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft ihren damaligen Verein FV Ulm verlassen.

Sie ging daraufhin nach London, wo sie ein Jahr später die britische Meisterschaft mit 1,55 m für sich entschied. Die Nazis, inzwischen auf die guten Leistungen aufmerksam geworden, drohten ihrer in Deutschland verbliebenen Familie (der Vater war Fabrikbesitzer) offen Repressalien und an verlangten die Rückkehr, um im Hinblick auf Olympia als weltoffenes, tolerantes Land dazustehen.

Gretel Bergmann tat wie ihr geheißen, allerdings widerwillig
. Sie stellte schließlich mit 1,60 m auch den deutschen Rekord ein, jener Höhe, mit der übrigens die Goldmedaille in Berlin (Ibolya Csak/Ungarn) wegging. Doch kurz vor Beginn der Spiele wurde ihr die Startberechtigung mit der fadenscheinigen Begründung entzogen, dass ihr Leistungsstand nicht ausreichend sei. Die Furcht vor dem Sieg einer Volljüdin war den Verantwortlichen zu groß.

Im darauffolgenden Jahr flüchtete die tief enttäuschte Athletin in die USA, heiratete dort den Arzt Dr. Bruno Lambert und nahm dessen Namen an. Sie wurde in den Staaten auch noch zweimal amerikanische Meisterin, lebt jetzt 94-Jährig in New York. „Wir haben Kontakt zur ihr und schreiben uns Mails. Auf meine Anfrage, ob sie nach Berlin zur Ausstellung kommen könnte, erteilte mir die alte Dame leider eine Absage, weil ihr die Reise zu beschwerlich sei“, meinte Teichler. „Dennoch versucht sie, uns ein paar Erinnerungsstücke zu überlassen.“

1999 bekam Gretel Bergmann, die jetzt Margaret Lambert heißt, in Frankfurt/Main den Georg von Opel-Preis für „Unvergessene Meister“ verliehen und war ein letztes Mal in Deutschland, obwohl sie eigentlich nie wieder in das Land ihrer Eltern zurückkehren wollte. („Ich werde nie vergessen, was geschehen ist“). Inzwischen tragen auch zwei Sportstätten ihren Namen, in Laupheim und Berlin, wo 1995 eine große Halle im Bezirk Wilmersdorf nach ihr benannt wurde.

Das Schicksal von Lilli Henoch nahm dagegen einen schlimmeren Verlauf. Die zehnfache Deutsche Meisterin zwischen 1922 und 1926 (Kugel, Diskus, Weitsprung und Staffel) sowie vierfache Weltrekordlerin wurde nach der Machtergreifung durch die Nazis aus dem berühmten Berliner SC ausgeschlossen.

Sie fand vorübergehend als Übungsleiterin beim jüdischen Turn- und Sportclub von 1895 eine neue Heimat und arbeitete auch als Sportlehrerin an einer jüdischen Schule. Doch damit war es 1938 auch vorbei. Vom Goldenen Adler zum gelben Stern, den die Juden während der Hitlerzeit tragen mussten, so beschreibt Martin Heinz Ehlert in einer Broschüre den Werdegang einer Frau, die Geschichte schrieb. Zunächst wurde sie mit dem Markenzeichen des Vereins für eine äußerst erfolgreiche Sportlerin geehrt, später dann gedemütigt und missachtet.

Am 5. September 1942, so berichten es Aufzeichnungen, wurde Lilli Henoch mit ihrer Mutter Rose Mendelsohn und vielen anderen Leidensgenossen angeblich zum Arbeitseinsatz nach Riga deportiert, wo sie nach Recherchen des Kölner Sporthistorikers Dr. Thomas Schnitzler jedoch schon wenige Tage später den Tod fand – wahrscheinlich durch Erschießen. Ihr zehn Jahre jüngerer Bruder Max, der ebenfalls ein talentierter Leichathlet war, aber nicht den gleichen Ehrgeiz zeigte, kam zuerst nach Auschwitz und später Buchenwald, wo er am 2. April 1945, also kurz vor Kriegsende, verstarb.

Welcher allgemeinen Wertschätzung sich Lilli Henoch noch heutzutage erfreut, geht schon daraus hervor, dass Berlin eine Straße, eine Halle, einen Sportplatz und ein Frauen-Sportfest nach ihr benannte. Am 8. August 2008 wurde der vielseitigen Athletin auch mit einem Stolperstein gedacht. Dieses kleine Mahnmal in der Teuchtlinger Straße 5, wo sie einige Zeit wohnte, soll ein Stein des Anstoßes zum Nachdenken sein, um das dunkle Kapitel deutscher Geschichte nicht zu vergessen.

Auch Margot Jacob (1911 – 1976), Deutsche Speerwurfmeisterin und Mitglied des SC Charlottenburg sowie Bar Kochba, emigrierte 1933 über Amsterdam nach Südafrika.

Ihr zu Ehren wurde im November 2006 im Mommsenstadion eine Tafel enthüllt, die folgenden Text beinhaltet: „Zum Gedenken an die jüdischen Sportlerinnen und Sportler im Sportclub Charlottenburg 1933 – 1945, die sich um das Ansehen des Vereins verdient gemacht haben und Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden sind. – Der SCC dankt Frau Hazel Shore, die uns im Andenken an ihre Mutter Martel Jacob die Anregung gab.“

Die Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen erklärte in diesem Zusammenhang: „Sowohl Wilmersdorf als auch Charlottenburg, zwei bedeutende Stadteile von Berlin, hatten in den 20er und 30er Jahren den höchsten Anteil jüdischer Mitbürger. Unter ihnen waren auch viele Sportler und Sportlerinnen. Ich freue mich sehr, dass jetzt ihrer gedacht wird. Nach der Pogromnacht 1938 wurden mehr als 50.000 Berliner Juden in Vernichtungslager verschleppt. Wir sind es nicht nur den Opfern schuldig, sondern auch uns selbst, dieses Verbrechen nicht zu vergessen.“

Recherchen zu anderen jüdischen Athletinnen haben ergeben, dass der SCC nach Aufnahme des Arierparagraphen 1933 in seine Satzung mehr als ein Drittel seiner Frauen-Abteilung verlor, wobei viele Namen nicht bekannt sind.

Mit der geplanten Ausstellung soll das den jüdischen Sportlerinnen gedacht werden. Wer nähere Auskünfte haben oder selbst einige Details zu dem Thema beisteuern will, der kann das telefonisch unter 0331/977-1738 oder -1164 tun.

Professor Teichler. „Wir sind für jegliche Hinweise dankbar, unseren Horizont zu erweitern.“

Hansjürgen Wille

author: GRR

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