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11
04
2009

Das Motto des London-2012-Chefs: "Catch the moment"

Adliger Kämpfer für den Sport – Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

 „Lassen Sie sich von niemandem einreden, die Leichtathletik sei tot“, sagt Sebastian Coe. „Sie wissen, wen ich meine.“ Lord Coe, Olympiasieger bei den Boykott-Spielen von Moskau 1980 und Los Angeles 1984, kann auch mit 52 Jahren seine Position wie einst auf der Bahn mit Ellbogen- und Schultereinsatz behaupten. Dieser Rempler galt Helmut Digel, dem ehemaligen Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Digel hat Alarm geschlagen, weil er die Leichtathletik in der Krise sieht.

Auch Coe, Vizepräsident des Welt-Leichtathletikverbandes (IAAF), Mitglied des britischen Oberhauses und Vorsitzender des Organisationskomitees der Olympischen Spiele in London 2012, gibt sich überzeugt, an der Verankerung seines Sports in Schulen und an ihrer zeitgemäßen Präsentation arbeiten zu müssen. Doch vor allem ist die Lösung heute dieselbe wie damals, als er noch kurze Hosen trug: schnell rennen. „Zweifel und Sorgen bekommen die Oberhand, wenn eine Sportart keine Erfolge hat“, sagt er. „Aber seien Sie sicher: die deutsche Leichtathletik ist stark.“
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Der britische Mittelstreckler: Immer mit Ellbogen- und Schultereinsatz

Coe war Anfang März dabei, als das deutsche Team bei der Hallen-Europameisterschaft in Turin drei Titel und zehn Medaillen gewann. Auch er freute sich über den Weitsprung seines Namensvetters Bayer von 8,71 Meter. Für ihn gibt es bei solch außergewöhnlichen Resultaten nur einen Rat: „Catch the moment!“

Als bei den Olympischen Spielen in Peking im vergangenen Jahr Usain Bolt hintereinander zu drei Olympiasiegen und drei Weltrekorden sprintete, rief Coe sofort Manager und Verbandsfunktionäre zusammen. „Wir wussten, dass wir diesen Burschen in einige Schlüsselmärkte bringen mussten“, erinnert er sich. „Wir haben uns gesagt: Da kommen große Gelegenheiten auf uns zu. Wie wollen wir sie nutzen?“ Bolt erschien in amerikanischen Talkshows, ließ sich bei Empfängen von Kingston bis Monte Carlo ehren. Nach den Vorstellungen von Coe kann der jamaikanische Wunderknabe gar nicht groß genug dargestellt werden: „Wir brauchen Athleten, neben denen der Rest der Welt wie Zwerge wirkt.“

 Zugleich weiß er, dass er Kinder und Jugendliche im Internet zu erreichen versuchen muss. „Wir werden, schon mit den Olympischen Spielen, die Rolle zu nutzen versuchen, die soziale Netzwerke heute spielen“, kündigt er an. Und er will dafür sorgen, dass die Schulen den Jüngsten Beine machen. „Laufen, Springen und Werfen gehören neben Turnen und Schwimmen zur sportlichen Alphabetisierung“, sagt er. „Wir haben zu lange vergessen, unsere Präsenz im Schulsport zu sichern.“

Zweifel, die mit so fabelhaften Leistungen wie denen von Bolt einhergehen, respektiert Coe. „Die Leute haben das Recht, Fragen zu stellen. Nach all dem, was in den vergangenen zehn Jahren passiert ist.“ Fast 28 Jahre ist es her, dass Coe in Baden-Baden als erster Athlet vor dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) sprechen durfte. „4:40 Minuten“, erinnert er sich an seine Rede – als wäre es eine Bestzeit. „Und ich habe über Doping gesprochen.“ Vor allem ging es damals aber um die Ehrlichkeit, den Amateurparagraphen abzuschaffen.

Das nächste Rennen von Sebastian Coe geht gegen Sergej Bubka

Auch an seiner Leistung von damals hätte man zweifeln können, sagt Coe, als wäre das eine absurde Vorstellung. „In dem einen Jahr bin ich Dritter der Europameisterschaft, und im nächsten halte ich drei Weltrekorde, von denen einer achtzehn Jahre bestehen bleibt.“ Seine 1:41,73 Minuten über 800 Meter und seine 2:12,18 Minuten über 1000 Meter von 1981 sind bis heute nur von je einem einzigen Läufer, von Wilson Kipketer und von Noah Ngeny, unterboten worden. Über die Meile ist Coe mit 3:47,33 Minuten noch der zehntschnellste Läufer.

Lord Coe: Olympiasieger bei den Boykott-Spielen

Der Lord spricht gern und leidenschaftlich von Sport und Sportlern. Offenbar kommt er zu selten dazu. In seinem Büro jedenfalls, von dem aus er mit gigantischen Bauprojekten und mit einem Etat von knapp zehn Milliarden Euro Olympia an der Themse vorbereitet, erinnert er sich mit einem Schild an den Kern seines Geschäfts: „It’s sport, stupid!“ Es sei kein Gigantismus, Olympia zur Stadtentwicklung zu nutzen, so wie London es mit dem Osten tut, sagt er. „Es ist die einzige Art, wie man es tun kann. Wir können doch nicht von Kommunen erwarten, das alles für nur 16 Tage Sport zu bezahlen.“

Coes nächstes Rennen wird 2011 entschieden. Dann steht, ein Jahr vor den Olympischen Spielen, wohl die Wahl des Nachfolgers von IAAF-Präsident Lamine Diack an. Die beiden Vizepräsidenten Sergej Bubka und Sebastian Coe, der ehemalige Stabhochspringer aus der Ukraine und der geadelte Läufer aus England, sind die Favoriten. Für diesen Wettbewerb gibt es keinen Startschuss und keine offensichtlichen Rempeleien.

Ist er im Rennen? Coe behauptet: „Ich habe noch nicht im Geringsten darüber nachgedacht.“

Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 31. März 2009

author: GRR

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