Was ist Inszenierung und was Wirklichkeit? Bei Usain Bolt kann man sich nie sicher sein.
Man nehme Usain – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung – In Manchester beginnt seine Saison auf einer ungewöhnlichen Strecke.
Trotz Eskapaden steht Olympiaheld Usain Bolt unter dem Schutz der Leichtathletik-Werbung. In Manchester beginnt seine Saison auf einer ungewöhnlichen Strecke.
Es ist Donnerstagnachmittag und David Hart hat schon eine ganze Weile Fragen zu dem Wettlauf-Spektakel der Great-Run-Serie diesen Sonntag beantwortet, das stilprägend sein soll für den Rest der Leichtathletik-Welt. David Hart ist Pressesprecher des Sport-Veranstalters Nova International und bestreitet dieser Tage die Öffentlichkeitsarbeit für ein Ereignis, das es so noch nicht gegeben hat.
Ein 150-Meter-Rennen mit der prominentesten Besetzung, die sich derzeit im olympischen Kernsport denken lässt: Usain Bolt, Jamaikas Dreifach-Olympiasieger und Sprintweltrekordler, rennt, es ist seine Europa-Premiere 2009. "Wir wollten die Leichtathletik aus ihrem traditionellen Stadion-Umfeld herausholen", hat Hart gesagt, nun bekommt seine Rede einen leicht konspirativen Ton. "Sie sind der Erste, dem ich es sage."
Und dann verkündet er bedeutungsvoll: "Usain Bolt ist in Manchester. Er ist gelandet." Die Luxusfüße seiner Majestät beschreiten in diesen Minuten schon britischen Boden. David Hart sagt: "Das ist eine sehr gute Nachricht."
Diese Ehrfurcht ist Teil eines groß angelegten Millionenspiels, das eine ganze Branche als Chance im Kampf gegen ihre Krise versteht und fast schon schicksalhaft verbunden ist mit dem 22-jährigen Schnellläufer Usain Bolt aus Trelawny, der mittlerweile ein geschätztes Jahreseinkommen von zehn Millionen Dollar vorweist. Bolts fulminante Saison 2008 mit den Olympia-Weltrekorden über 100 (9,69), 200 (19,30) und 4×100 (37,10) Meter wirkt mittlerweile nur noch wie der Prolog zu einer noch größeren Geschichte.
Die Pause zwischen den Leichtathletik-Jahren hat die Lobby jedenfalls damit zugebracht, das Profil der Marke Bolt zu schärfen und die Aufmerksamkeit zu nutzen, die so ein schnellster Mensch der Welt mit sich bringt. Bolt hat noch nicht viele Rennen gehabt im WM-Jahr. Die engen Hallen der Wintersaison sind für einen Sprinter seiner Körpergröße (1,96 Meter) kein guter Ort, und im Formaufbau für den Sommer würde es wenig Sinn ergeben, wenn sein Trainer Glen Mills schon viel mehr Starts zugelassen hätte als zwei 400-Meter-Versuche im Februar (46,35 und 45,54 Sekunden), Staffeleinsätze und den 100-Meter-Einstand in Kingston im März (9,93).
Fortsetzung der Komödie
Trotzdem ist kaum eine Woche ohne Bolt-Geschichte vergangen. Spekulationen um weitere Weltrekorde und Traumgagen kursierten, hymnische Betrachtungen, bunte Geschichten. Internationale Journalisten durften sich in Kingston von Bolts Lebenswandel überzeugen. Und so fand die Komödie von Peking ihre Fortsetzung, als Bolt sich nicht nur als Goldsammler vorstellte, sondern auch als Lebemann, der vor dem Pekinger 100-Meter-Finale vergisst, seine Schuhe zu binden, und seine Olympia-Diät vor allem mit Hühner-Nuggets bestreitet.
In den Berichten bekommt ein bodenständiger Bolt Profil, der alles mag, was junge Leute eben so mögen: Computerspiele, Fast Food, Partys. Leistungsdenken und strenge Trainingsfron verschwinden hinter dem Klischee der jamaikanischen Lockerheit. Auf so jemanden hat die Leichtathletik gewartet: auf ein Idol, das wie die lässigen Helden des Actionsports den Spaß der Jugend betont. Doch was ist dabei Inszenierung und was Wirklichkeit?
Ganz ohne Pannen läuft die Vermarktung nicht. Der Dopingverdacht zu Bolts Fabelzeiten ist dabei nicht das Problem. Der lässt sich bequem aussitzen mit dem Verweis auf das Kontrollsystem, das mit seinen nicht durchgängig fortschrittlichen Methoden natürlich auch bei Bolt regelmäßig vorbeischaut. Nein, ausgerechnet seine Leichtigkeit bringt Bolt bisweilen in Schwierigkeiten.
Bild am Sonntag hat er erzählt, er habe in seiner Jugend gekifft, und das damit erklärt, dass der Joint ein Teil jamaikanischer Jugendkultur sei: "Auf Jamaika lernst du schon als Kind, wie man die Dinger baut."
Wenig später gab sein Manager Norman Peart eine offizielle Entschuldigung Bolts heraus nebst Plädoyer gegen jede Art von Drogen. Und vorvergangene Woche setzte Bolt seinen BMW mit zwei jungen Damen an Bord auf regennasser Straße in den Graben. Als er ausstieg, trat Bolt in einen Dornbusch, sonst blieb er unversehrt. Aber der Wagen ist Schrott. Und sein Image? Bolt behauptet: "Ich bin nicht zu schnell gefahren."
Solange er sich dabei nicht ernsthaft verletzt, kann sich Usain Bolt solche Eskapaden leisten. Er scheint unter dem Schutz der Leichtathletik-Werbung zu stehen. Bolt ist einfach zu gut fürs Geschäft, und deswegen beschäftigte die Veranstalter in Manchester nach dem Unfall auch vor allem die Sorge: Kann Bolt rennen? Bekommt BBC2 seine Attraktion für die Live-Übertragung am Sonntag? Oder wird der Medienansturm auf das Innenstadtrennen, der nach der Verkündung seiner Teilnahme Ende März losbrach, hinfällig?
David Hart sagt: "Es wäre auch ohne Bolt ein phantastisches Ereignis." Aber bei weitem nicht mehr so schillernd, klar. Usain Bolt wird gebraucht im großen Sportkino.
Ihm darf nichts passieren.
Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Freitag, dem 15. Mai 2009