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20
05
2009

Nordic Walking Symposium am 28. März 2009 im Sportzentrum Kamen-Kaiserau

Nordic Walking im Verständnis der Vereine und Verbände: Vortrag Dr. Wastl beim Nordic Walking Symposium in Kamen-Kaiserau

By GRR 0

Die Sportvereine und Sportverbände verlieren zunehmend ihr Organisationsmonopol in Sachen Sport. Dies gilt insbesondere für neu aufkommende, im Trend liegende Sportarten. Auch die Trendsportart Nordic Walking kann hier als Beispiel dienen, wenn man die Genese und Erfolge anderer „Sportorganisationen" auf diesem Sektor betrachtet.

Als Grund hierfür kann ausgeführt werden, dass mit der Ausdifferenzierung des Gesundheits-, des Spaß- und des Erlebnismotivs im Sport eine veränderte Nachfrage nach organisatorischen Settings des Sportengagements einher geht. Trends wirken sich somit auch auf den Sport aus.

Will man die Sportart oder Disziplin Nordic Walking aus dem Verständnis der Sportverbände sehen, wird man sich zunächst mit der Bedeutung von Trendsportarten auseinandersetzen müssen, bevor dann folgende Fragen zum Angebot von Trendsportarten gestellt werden.

  • müssen die Sportvereine und Sportverbände auf die veränderte Sportnachfrage und damit auf Trendsportarten reagieren?
  • Öffentlichkeit (für jedermann offen, massenmediale Kommunikation)
  • Kollektivität (eine Vielzahl von Personen sind aktiv oder passiv beteiligt)
  • Verdichtung von Themen (nicht zusammenhängende Themen werden miteinander verbunden und in eine neue Sportart integriert)
  • Fristigkeit (5 – 10 Jahre, glockenförmige Kurve, kontinuierliche Wechsel)
  • können die Sportvereine und Sportverbände auf  die veränderte Sportnachfrage reagieren und Trendsportarten angemessen anbieten?
  • Welche Chancen und Grenzen ergeben sich bei der Aufnahme von Trendsportarten für den in Verbänden und Vereinen organisierten Sport?

1. Zum Verständnis und zur Bedeutung von Trendsportarten

Trotz der offensichtlichen Heterogenität und Vielfalt der innovativen Bewegungsformen lassen sich drei Bereiche des Trendsports unterscheiden. Neben den Risikosportarten (Frreclimbing, Canyoning u. a.) und den Funsportarten (Streetball, Kitesurfing u. a.) sind dies die Fitnesspraktiken (Aerobic, Spinning u. a.), denen auch Nordic Walking zuzurechnen ist.

Nach Schildmacher (1998) zeichnen sich alle diese Trendsportarten aus durch:

  • Öffentlichkeit (für jedermann offen, massenmediale Kommunikation)
  • Kollektivität (eine Vielzahl von Personen sind aktiv oder passiv beteiligt)
  • Verdichtung von Themen (nicht zusammenhängende Themen werden miteinander verbunden und in   eine neue Sportart integriert)
  • Fristigkeit (5 – 10 Jahre, glockenförmige Kurve, kontinuierliche Wechsel)

Nach Angaben des Deutschen Nordic Walking Verbands betreiben derzeit ca. 2 Mio. Menschen die Sportart Nordic Walking. In Deutschland soll es inzwischen mehr als 15.000 Nordic Walking-Instruktoren geben.

Die Entstehung und Verbreiterung von Nordic Walking lässt sich in folgenden Schritten darstellen:

  • in den 50er Jahren bauten Skilangläufer den „Skigang" ins Sommertraining ein
  • Mitte der 90er Jahre kam es zu ersten Aktivitäten durch finnische Profisportler, Mediziner und die Sportindustrie
  • 1992 wurde in der amerikanischen Fachliteratur das Pole Walking (Pole = Skistock) vorgestellt. Darunter verstand man Walking mit modifizierten Skistöcken zur Unterstützung der typischen Langlauf-Armbewegung.
  • im Frühjahr 1997 prägten Marketingstrategen den Begriff „Nordic Walking"
  • über Skandinavien, USA und Japan kam Nordic Walking nach Mitteleuropa und nach Deutschland
  • inzwischen wird Nordic Walking von verschiedensten Sport-, Gesundheits- und Freizeitorganisationen (Non-Profit, For-Profit) angeboten
  • der Anteil an informell Nordic-Walking-Betreibenden ist sehr hoch 

Wie viele Trendsportarten zeichnet sich auch Nordic Walking durch folgende Merkmale aus:

  • weniger formell und verbindlich organisiert
  • keinen institutionellen Zwängen erlegen
  • weniger normiert und reglementiert
  • mehr am unmittelbaren Erleben orientiert

Dabei kommen speziell im Nordic Walking die Trendentwicklungen

  • vom normierten zum unnormierten Sport (weniger normierte Techniken; geringe Reglementierung; offene Umgebungsbedingungen)
  • vom verbindlichen zum unverbindlichen Sport (freie Gestaltung der Trainingszeiten; Unverbindlichkeit sozialer Kontakte; keine institutionellen Zwänge) zum Vorschein.

Offen bleibt hierbei, inwieweit Nordic Walking eine eigenständige Sportart ist, oder ob es sich hier eher um eine Disziplin innerhalb einer Sportart (Leichtathletik, Skisport) handelt.

2. Grundlegende Fragen zum Angebot von Trendsportarten

In dem Zusammenhang mit den geschilderten Trendentwicklungen lassen sich folgende Fragen zum Angebot von Trendsportarten stellen:

     1. müssen die Sportvereine und Sportverbände auf die veränderte Sportnachfrage und damit auf    Trendsportarten reagieren?

     2. können die Sportvereine und Sportverbände überhaupt adäquat auf die veränderte Sportnachfrage reagieren und entsprechend Trendsportarten anbieten?

Zur 1. Frage:

Betrachtet man die idealtypischen Konstitutivmerkmale der Sportvereine, so zeigt sich, dass Sportvereine allein den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet sind und ihre Existenzberechtigung und Überlebensfähigkeit nicht zwingend davon abhängig ist, ob sie sämtliche in der Bevölkerung vorhandenen Sportbedürfnisse befriedigen. Dies bedeutet: wenn sich die Mitglieder nicht für Trendsportangebote in ihrem Verein interessieren, dann muss der Verein auch nicht sein Angebot entsprechend modifizieren. Selbst wenn Sportvereine Mitgliedswachstum als ein vorrangiges Organisationsziel definieren, müssen diese deshalb noch lange nicht auf die Trendsportnachfrage reagieren, denn dies ist kein sicherer Garant für mehr Mitglieder. Bisher zeigt eine Vielzahl von Untersuchungen, dass den Sportvereinen keine Mitgliederverluste entstehen, wenn sie nicht auf die Trendsportnachfrage reagieren. Ob dies allerdings auch für die Zukunft so sein wird, ist aufgrund des aufkommenden Wandels der Sportnachfrage eher unwahrscheinlich.

  • Es ist eine deutliche Abnahme der Bindung der Mitglieder an den Sportverein zu erwarten (Gründe: gewachsene Individualitätsprozesse, gestiegene Erlebnisrationalität, „Sporthopper", Reiz des Neuen)
  • Angesichts stagnierender Freizeitbudgets ist eine wachsende Konkurrenz unter den Sportorganisationen (Vereine, Fitnessstudios u. a.) zu erwarten (Gründe: weitere Zunahme an Sportarten, „Sieger- und Verlierersportarten")

In Anbetracht der aufgeführten Aspekte muss die Antwort auf die erste Frage „ja" heißen. Denn es wäre falsch, neu aufkommende Sportarten immer mehr und mehr und irgendwann ausschließlich einer kommerziellen Freizeitindustrie zu überlassen.

Sportvereine und Sportverbände müssen auf die veränderte Sportnachfrage und damit auf Trendsportarten reagieren, denn auch die traditionellen Sportverbände sollen möglichst viele Sinnrichtungen des Sporttreibens zur Geltung kommen lassen, indem ihre Angebote attraktiver und variabler gestaltet werden. Dies verlangt eine prinzipielle Offenheit gegenüber den vielfältigen Erscheinungsformen des Breitensports und bedeutet auch ggf. die Öffnung einengender Regeln und Normen. Eine der Möglichkeiten, sich offen und universell zu zeigen, ist sicherlich die Disziplin Nordic Walking.

Zudem können Trendsportarten

  • dem Verein helfen, traditionelle Sportarten und den Wettkampfbetrieb auf Dauer zu sichern
  • neue Zielgruppen ansprechen und so auch Personen den Kontakt und ggf. den Eintritt in die Vereine ermöglichen, die sonst ferngeblieben wären
  • zielgruppenspezifisch den Mitgliederbestand verändern und ggf. vergrößern

Dies gilt auch für die Trendsportart Nordic Walking.

Zur 2. Frage:

Hier muss zunächst in Frage gestellt werden, ob sich Sportvereine schnell genug an gesellschaftliche Veränderungen anpassen können

Folgende von Breuer (2003) aufgeführten Aspekte erklären, dass die Sportvereine nur mit moderater Geschwindigkeit und damit langsamer als ihre „For-Profit-Konkurrenz" auf die veränderte Sportnachfrage reagieren können:

  • der organisatorische Veränderungsdruck ist nicht sehr hoch.
  • langsamere Entscheidungswege (Mitgliederversammlung …).
  • kaum Anreizsysteme zu einer schnellen Anpassung (Non-Profit …)
  • die in den Vereinen vorherrschende Orientierung nach Solidarität, Tradition und Kontinuität lässt wenig Flexibilität zu.
  • Sportvereine verfolgen mehrere Ziele auf einmal, die sich auch nicht selten widersprechen (Leistung, Gesundheit, Integration u. a.). Leitbilder könnten diese Zielkonflikte vermeiden helfen.
  • die Professionalisierung ehrenamtlichen Engagements hat seine Grenzen.

Wenn Sportvereine und Sportverbände auf die veränderte Sportnachfrage und damit auf Trendsportarten reagieren wollen, dann müssen sie sich neuen organisatorischen und strategischen Aufgaben stellen, wie dies Becker/Matlik (2003) fordern:

  • produktive und kreative Vorstandsarbeit
  • Bereitschaft zur Modernisierung
  • Solidarität der Abteilungen bzw. Arbeitsbereiche
  • Marktbeobachtung
  • Durchführung von Trendprojekten

Weiterhin muss angezweifelt werden, ob Sportvereine und -verbände angesichts ihrer spezifischen Organisationslogik überhaupt inhaltliche Angebote erbringen können, die dem Grundmuster der Trendsportnachfrage entsprechen.

Als  Grundmuster der Trendsportnachfrage können nach Breuer (2003) aufgeführt werden:

  • Erlebnisse (intensives Streben nach Erlebnissen)
  • Eigenständigkeit (selbständige Entscheidung über Zeit, Ort, Dauer und Art der Sportausübung)
  • Stilisierung (die betriebene Sportart ist zentraler Bestandteil des individuellen Lebensstils)
  • Distinktion (intentionale Abgrenzung von anderen Lebensstilgruppen)

Diese Grundmuster stehen im Widerspruch zu den idealtypischen Merkmalen des Sportvereins und können zur Folge haben, dass die Integration von Trendsportarten riskant sein kann, denn

  • die gegensätzlichen Philosophien können zu Konflikten führen
  • es kann zu Überforderungen des Ehrenamts kommen
  • zu schnelle Anpassung an kurzlebige Trends kann zu Fehlinvestitionen führen
  • ungeprüfte Argumente können zu Fehlschlüssen führen
  • Vorsicht vor „Trendhopping"

Trotz möglicher Risiken, denen sich die vereine und verbände jederzeit bewusst sein sollten, muss die Antwort auf die zweite Frage ebenfalls „ja" heißen, denn es wäre falsch, organisationslogistisch nicht zu reagieren und der „For-Profit-Konkurrenz" das Feld zu überlassen.

Um möglichen Konflikten aus dem Wege zu gehen, könnten in Anlehnung an Breuer (2003) dabei folgende Aspekte Berücksichtigung finden:

  • Sportvereine und -verbände sollten dann auf Trendsportarten reagieren, wenn dies mit ihrem Selbstverständnis als moderner Dienstleister oder als sozial engagierter Jugendsportanbieter einhergeht.
  • Es ist zu prüfen, ob die Organisationsstruktur eines Vereins einer solchen Angebotserweiterung stand hält.
  • Dabei gilt: je größer Erlebnisorientierung, Streben nach Eigenständigkeit und insbesondere Destinktion in der spezifischen Trendsportnachfrage ausgeprägt sind, desto riskanter ist die Trendsportübernahme für den Verein.

Hinsichtlich der Trendsportart Nordic Walking sollte gelten:

  • Sportvereine und -verbände sollten dann auf Nordic Walking reagieren, wenn die Bewegungsform originär der ihrer Sportart angelehnt ist.
  • In den Vereinen und Verbänden müssen Organisationsstrukturen geschaffen werden, die einer solchen Angebotserweiterung stand halten können.
  • Dem Streben nach Eigenständigkeit (freie Gestaltung der Trainingszeiten, Unverbindlichkeit sozialer Kontakte, keine institutionellen Zwänge) sollte nachgegeben werden.

Attraktiv und zeitnah müssen Sportangebote sein, um zufriedene Mitglieder zu haben und auf Dauer den Mitgliederbestand sichern zu können. Dies bedeutet, eine

  • Spezielle Angebotsorientierungen nach Lebensalter (von Kindern bis Senioren)
  • Spezielle Angebotsorientierungen nach Lebenslagen (von Herzsportgruppen über Behindertengruppen bis zu Rentnern und Migranten)
  • Spezielle Angebotsorientierungen nach Gesellschaftsgruppen (von Frauen über Familien  bis zu Randgruppen)
  • Spezielle Angebotsorientierungen nach Leistungsvermögen (von amateurhaften Freizeitmustern bis zu Sportlern nach dem Leistungsalter)
  1. Chancen und Grenzen des organisierten Sports bei der Aufnahme von Trendsportarten

Für die Sportvereine und -verbände können sich Chancen aber auch Grenzen des organisierten Sports ergeben, welche in der folgenden Abbildung in Anlehnung an Becker/Matlik (2003) zusam-mengefasst werden

Chancen:

  • Veränderung der Grundphilosophie
  • Zukunftssicherung
  • Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit
  • positives Image
  • Bindung der Mitglieder
  • Gewinnung neuer Zielgruppen
  • Absicherung der traditionellen Sportarten
  • Absicherung des Wettkampfbetriebs

 Grenzen:

  • Veränderung der Grundphilosophie
  • Überforderung des Ehrenamts
  • erforderliche Zukunftsvisionen
  • Kapazitäten
  • Akzeptanz

 Situation:

  • Größe
  • Mitarbeiterstruktur
  • Mitarbeiterkompetenz
  • Finanzlage

Als mögliche Maßnahmen der Dachorganisationen (Verbände) zur Unterstützung der Vereine lassen sich aufführen:

  • Abstimmung der Dachorganisationen untereinander
  • Dachorganisation als Dienstleister Unterstützung der Mitgliedsvereine, sich als engagierte und kompetente Anbieter und Partner präsentieren zu können.)
  • Initiierung und Unterstützung von Vereinsprojekten Ausgewählte Modellvorhaben, welche sowohl die individuellen Wünsche der Sport treibenden Menschen als auch die Grundsätze der Vereine berücksichtigen, werden konzipiert und an die Vereine und Kreise weitergegeben.
  • Multiplikation guter Projekte bzw. Umsetzungsbeispiele
  • Unterstützung bei der Evaluation  Zusammenn mit den Vereinen die breitensportlichen Angebote kontinuierlich   überprüfen und wo notwendig anpassen.
  • Qualifizierung und Fortbildung Die Qualifizierung von Mitarbeitern wird gewährleistet, indem Lehrgangsmaßnahmen konzipiert und umgesetzt werden.
  • Werbung und Öffentlichkeitsarbeit  Im Sinne der Profilbildung der Vereine werden Werbung und Öffentlichkeitsarbeit vorangetrieben.
  • Logistik stellen   z.B dieBegleitung und Unterstützung lokaler Breitensportaktivitäten, Lehrgangsverwaltung, Abzeichenvergabe u. a. 

Abschließend ist den Sportvereinen und -verbänden folgendes anzuraten:

  • sie müssen sich neuen Zielgruppen öffnen
  • sie dürfen jedoch ihre Grundidee nicht aufgeben und müssen weiterhin leistungskulturellen Werten  verpflichtet sein
  • sie müssen hinsichtlich ihrer Bedeutung für gesundheitliche und hedonistische Werte realistisch sein
  • sie sollten ihre Angebotsmodernisierung behutsam gestalten und dabei auch ihre Grenzen erkennen
  • sie benötigen untereinander ein besseres Organisations- und Kooperationskonzept, um sich gegenüber den kommerziellen Anbietern besser abgrenzen zu können

vr 

author: GRR

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