"Es ist mir egal, was die Leute reden": Usain Bolt
Usain Bolt „Ich will eine Legende des Sports werden“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
11. Juni 2009 Usain Bolt Gespräch über Läufe, Tänze und seine Rolle als Retter der Leichtathletik .
Vor einem Jahr sind Sie in New York Ihren ersten Weltrekord, 9,72 Sekunden, gelaufen. Wie erinnern Sie sich daran?
Mein Trainer und ich hatten am Start gearbeitet. Ich wusste, wenn ich nicht schlechter starten würde als Tyson Gay, würde es ein gutes Rennen werden. Ich habe mich drauf gefreut. Es war klasse, dass die ganzen Jamaikaner aus New York da waren. Als ich gewonnen hatte, wusste ich erst gar nicht, dass es Weltrekord war – genauso wie in Peking. Als ich auf die Gegengerade kam, hörte ich den Stadionsprecher sagen, dass ich den Weltrekord hatte. Das war toll.
Ging es Ihnen darum, Ihre sehr guten Zeiten in Amerika zu bestätigen?
Ich wollte mich mit Tyson messen. Wenn ich ihn schlagen könnte, würde ich einer der großer Sprinter sein, zur Elite gehören. Er war der Weltmeister. Darauf war ich konzentriert: mich mit ihm zu messen.
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Waren Sie aufgeregt?
Nein, warum hätte ich aufgeregt sein sollen? Mein Vater rief an – wie in Peking auch – und sagte: „Wir machen uns alle Sorgen.“ Und ich sagte: „Worüber macht ihr euch Sorgen? Ich bin es, der läuft. Ihr sitzt vor dem Fernseher und guckt zu. Warum macht ihr euch Sorgen?“
Viele, die zuschauen, machen sich Sorgen. Sie sagen, kein Mensch kann ohne Doping 9,72 und schon gar nicht 9,69 Sekunden laufen. Was sagen Sie dazu?
Die Leute reden über alles und haben über alles ihre Meinung. Solange ich weiß, dass ich gut und sauber bin, mache ich mir keine Gedanken.
Carl Lewis, neun Mal Olympiasieger, sagt, er traue Ihren Leistungen nicht.
Ich hab's gehört. Aber wie gesagt: Es ist mir egal, was die Leute reden. Bei manchen habe ich das Gefühl, dass sie eifersüchtig darauf sind, dass jemand Erfolg hat. Wir werden so oft getestet . . .
Wie oft?
Dreißig, vierzig Mal im vergangenen Jahr, fünf, sechs Mal in diesem. Und sie lassen nicht locker. Sie kamen sogar, als ich meine Tante in Florida besuchte.
Ihr Landsmann Asafa Powell sagt, Doper stehlen den sauberen Athleten Geld und Verträge. Dafür gehörten sie ins Gefängnis. Wie sehen Sie das?
Man wird vom Sport ausgeschlossen, wenn man dopt. Das ist hart genug. Ich finde nicht, dass man jemanden dafür ins Gefängnis werfen sollte. Wenn man sie sperrt, denken andere zwei Mal nach, bevor sie dopen. Solange der Sport seine Regeln durchsetzt, ist es cool.
Gibt es Leute, von denen Sie wissen, dass sie dopen?
Echt nicht. Das Einzige, was ich über Doping weiß, habe ich aus dem Fernsehen. Ich habe noch nie gesehen, dass Leute es tun, niemand hat es mir angeboten.
Ato Boldon, vor zwölf Jahren Weltmeister über 200 Meter, sagt, technisch machten Sie fast alles falsch – und sind trotzdem der schnellste Mann der Welt. Soll man Sie in Ruhe lassen, oder arbeiten Sie an Defiziten?
Mein Trainer ist ganz entschieden für die zweite Version. Für den Anfang der Saison haben wir uns vorgenommen, am Start und an den ersten dreißig Metern zu arbeiten.
Sie sind zu groß für einen langen, tiefen Start.
Mein Trainer sagt, das könnten wir verbessern, und ich glaube ihm.
Glen Mills sagt auch, Sie hätten in Peking 9,54 Sekunden laufen können . . .
Seit wir zusammenarbeiten, ist so ziemlich alles wahr geworden, was er sagt.
Er sagte, Sie hätten diese Zeit laufen können. Meint er: Sie können?
Das meint er: Ich kann. Aber wer weiß. Vielleicht laufe ich eines Tages 9,4.
Was ist Mills' Anteil an Ihrem Erfolg?
Alles. Er hat mich genommen, als ich verletzt war, und in kleinen Schritten zu dem Champion gemacht, der ich jetzt bin.
Er sagt, das Beste komme noch. Was meint er?
Jedes Mal, wenn ich glaube, ich hätte etwas besonders gut gemacht, winkt er ab und sagt: Du hast noch viel Arbeit vor dir.
Sie machen Witze!
Nein, nach jedem Rennen denke ich, ich hätte den perfekten Lauf gemacht. Nach dem Weltrekord in New York habe ich gesagt: „Hast du das gesehen, Coach, das war jetzt ein wirklich gutes Rennen!“ Er sagt: „Das war nicht gut.“ Und fängt an, alle Fehler aufzuzählen!
War er in Peking zufrieden?
Den Start fand er nicht schlecht. Aber den Rest! Jedes Mal, wenn ich etwas erreicht habe, sagt er, woran ich noch arbeiten muss.
Hat der Erfolg Ihr Leben verändert?
Ich darf nicht mehr so viel Spaß haben. Ich glaube, es war eine deutsche Zeitung: Sie hat ein Foto von mir beim Tanzen gebracht und eine Riesengeschichte draus gemacht. Also musste ich damit aufhören. Die Leute hier in Jamaika haben angefangen darüber zu reden.
Und die Geschichte mit dem Marihuana?
Das war noch schlimmer. Ich will da gar nicht mehr drüber sprechen.
Aber haben Sie mal Marihuana geraucht?
Als ich jünger war, ein Mal. Ich weiß gar nicht mehr, wie es war. Wenn man hier lebt, rollt man einfach ein Papierchen und probiert es aus. Niemand in meiner Familie raucht – und auch von meinen Freunden niemand. Ich halte mich fern von Leuten, die rauchen. Selbst wenn du nicht rauchst, kannst du von dem Rauch einen positiven Doping-Test bekommen.
Für viele Jamaikaner sind Sie ein Held.
Ich höre das immer wieder: „Ich will der nächste Usain Bolt sein.“ Sogar von Mädchen!
Sie stehen dafür, dass man die Insel nicht verlassen muss für den Erfolg.
Viele Kids gehen nach Amerika, um etwas zu werden. Ich habe ein Problem damit, wie häufig sie dort starten müssen. Wenn sie ein Stipendium haben, müssen sie rennen. Ich finde sogar, dass hier auf Jamaika manche Trainer übertreiben. Aber in Übersee packen sie die Läufer so hart an – wenn sie Profis werden, sind sie erledigt. In Jamaika müssen sie nicht jedes Wochenende starten, sondern können trainieren. Veronika Campbell hat das durchgestanden, weil sie einen Vertrag bekommen hat. Sie war immer verletzt. Erst als sie ihre Schule selbst bezahlen konnte, musste sie nicht ständig rennen. Shelly-Ann Fraser ist hier geblieben und Olympiasiegerin geworden.
Sie wirken am Start völlig entspannt. Waren Sie immer so gelassen?
Die Junioren-Weltmeisterschaft 2002 hat mich zu dem gemacht, der ich bin. Das Finale ist bis heute das härteste Rennen, das ich erlebt habe. Das war das Schwerste: vor meinen Leuten zu laufen. Alle erwarteten den Sieg von mir.
Sie waren fünfzehn, die Meisterschaft fand in Kingston statt, und Jamaika hatte noch nichts gewonnen.
Das einzige, was du in einer solchen Situation im Kopf hast, ist, dass du für sie gewinnen musst. Du musst einfach dein Bestes geben. Wenn du später vor Millionen von Fremden rennst, ist das eine Leichtigkeit. Niemand von denen kennt dich!
Sie sollen damals geweint haben, bevor Sie in 20,66 Sekunden siegten. Stimmt das?
Es war irre. Das war eine wichtige Erfahrung. Wenn ich seit diesem Rennen irgendwo hin fahre und vor vielen Zuschauern laufe, ey, das ist alles viel leichter, als das durchzustehen und zu siegen. Wenn ich woanders starte, sitzen meine Leute vor dem Fernseher. Das macht mir keinen Druck.
Sie wollen nicht mal wissen, auf wen Sie in den Vorläufen treffen. Warum?
Weil es egal ist. Warum soll ich wissen, wie sie heißen und was ihre Bestleistung ist? Im Rennen geht es nur um dich und die sieben anderen Typen. Sie sind da, um mich zu schlagen. Ich bin dort, um sie zu schlagen. Der Beste wird gewinnen, deshalb ist es einerlei, wer in welchem Lauf ist.
Gibt es auf der Bahn Macht- und Konzentrationsspiele?
Das hat, glaube ich, mit den Tagen von Maurice Greene aufgehört. Der erste und einzige, der mal etwas gesagt hat, war Walter Dix. Im Halbfinale in Peking bin ich vor dem Ziel ausgetrudelt. Hinterher ging er an mir vorbei und sagte: „Im Finale wird's kein Jogging geben!“ Und ich dachte nur: „Was?“ Das war echt lustig.
Und die Posen, die Sie vor und nach so einem Lauf einnehmen? Wollen Sie damit die Gegner beeinflussen?
Nein. Das bin nur ich, wie ich ich bin. Sie können das schon auf den Bändern von der Junioren-Weltmeisterschaft sehen, wie ich das Publikum begrüße: Ich, wie ich ich bin.
War es schwer, sich für diese Saison zu motivieren nach all den Erfolgen?
Es ist komisch, ich habe das erst gemerkt, als es losging mit dem Training. Nach Peking habe ich mich gut gefühlt. Aber als es hieß, heute ist Training, war es irgendwie unangenehm. Ich habe mit dem Vater eines Freundes gesprochen, und er hat mich gefragt, was ich erreichen will. Ich sagte: „Ich will Olympiasieger werden, Weltmeister, Commonwealth-Champion.“ Er fragte: „Was willst du, wenn du all das erreicht hast?“ Und ich war sprachlos. Er sagte: „Du musst dir Ziele setzen, die wirklich schwer zu erreichen sind.“ Er hat recht. Wenn man sich solche Ziele setzt, arbeitet man extra hart dafür, wirklich Großes zu erreichen.
Was wollen Sie erreichen?
Mein Ziel ist, mich zu einer Legende des Sports zu machen. Dazu muss ich jedes Jahr der Beste sein. Es geht nicht, dass ich ein Jahr gut bin, dann zwei Jahre weg und im vierten zurückkomme. Du musst immer an der Spitze stehen.
Würden Sie die 100 und die 400 Meter laufen bei einer großen Meisterschaft, um eine Legende zu werden? Niemand hat sie zugleich gewonnen.
Vielleicht. Alles ist möglich. Die beiden Strecken sind so weit auseinander, und das Training dafür ist total verschieden, deshalb hat es wohl noch niemand versucht. Wenn mein Training gut läuft, vielleicht probieren wir irgendwas aus.
Eine andere Möglichkeit wären 100, 200 Meter und beide Staffeln.
Das hatten wir für Peking geplant. Aber unsere 4 × 400-Meter-Staffel war nicht gut genug. Mein Trainer hat gesagt: „Wir wollen uns nicht die drei Goldmedaillen und die drei Weltrekorde verderben.“ Da haben wir's gelassen.
Wer sind für Sie Legenden des Sports?
Ganz entschieden die Fußballspieler Maradona und Pelé.
Der Präsident des Welt-Leichtathletikverbandes, Lamine Diack, sagt, Sie seien der Retter der Leichtathletik. Spüren Sie eine Verantwortung für Ihren Sport?
Ja, ich bin gern verantwortlich dafür, die Leichtathletik zurückzubringen. Das ist nicht schwer, eigentlich macht es Spaß. Ich muss einfach ich sein, wie ich bin.
Werden Sie je 800 Meter versuchen?
Nein. Nein. Das ist verrückt!
Werden Sie die 400 Meter vor den Olympischen Spielen von London 2012 angehen?
Mein Trainer sagt, wenn alles gut läuft, warum sollen wir es nicht vorher probieren. Er denkt daran, sie im nächsten Jahr einzubauen.
Wollen Sie?
Ich wollte es. Aber dann habe ich das Programm unserer 400-Meter-Läufer gesehen. Ich würde gern noch mal drüber nachdenken.
Das würde Sie zu einer Legende machen.
Jetzt wenden Sie meine eigenen Worte gegen mich!
Wie heißen Ihre Tänze von Peking? Gully Creeper?
Das war der eine. Und Nuh Linga.
Werden wir bei der Weltmeisterschaft im August in Berlin neue sehen?
Voraussichtlich.
Üben Sie?
Ja, muss ich zugeben. Wenn ich nicht auf Jamaika bin, rufen meine Freunde an und sagen: „Guck dir dies und das mal auf Youtube an.“ Mein Bruder schickt mir die neueste Musik per E-Mail.
Das Gespräch führte Michael Reinsch. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Donnersttag, dem 11. Juni 2009