Einen Vorgeschmack auf die urwüchsige Begeisterung, die der 24 Jahre alte Berliner mit dem Gewinn einer Medaille auslösen will, gab „Shaggy“, wie ihn seine Freunde nennen, bei der WM in Osaka vor zwei Jahren.
Leichtathletik: Harting und Goldmann – Kein Wort über Doping – Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
09. Juni 2009 Ein bisschen Krawall mag Robert Harting ganz gern. Vierzig Eintrittskarten hat er für die Weltmeisterschaft im Berliner Olympiastadion gekauft, vierzig Tickets für Mittwoch, den 19. August, in der Ostkurve. Im Inneren des blauen Ovals will er, der Riese von 2,01 Meter, dann das Finale im Diskuswerfen bestreiten.
Von der Tribüne erwartet er dazu die Unterstützung von „Familie, Freunden und den ganz Bösen“, wie er sagt. „Ich hoffe, dass der Vierziger-Block dann die Sitze rausreißt und richtig auffällt.“
Einen Vorgeschmack auf die urwüchsige Begeisterung, die der 24 Jahre alte Berliner mit dem Gewinn einer Medaille auslösen will, gab „Shaggy“, wie ihn seine Freunde nennen, bei der WM in Osaka vor zwei Jahren. Da gewann er Silber mit einem Wurf von 66,68 Meter und zerriss vor lauter Freude sein Trikot auf der breiten Brust. Dem Jubel der Verbandsfunktionäre setzte er noch im Stadion die Forderung entgegen, der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) möge nun endlich seinem Trainer Werner Goldmann den Flug nach Japan bezahlen. Harting ging grimmig auf Konfrontationskurs, der Verband belohnte ihn gern.
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Zusammenarbeit nach "Zerwürfnis": Harting wird weiter von Werner Goldmann betreut
Seit fast einem Jahr allerdings stehen Harting und sein Trainer im Mittelpunkt einer Kontroverse, die den Athleten stärker belastet, als er erwartet hatte. Der „Fall Goldmann“ wurde akut, als der Trainer vor den Olympischen Spielen von Peking die Erklärung unterzeichnete, er habe nie im Leben mit Doping zu tun gehabt, das ZDF aber den ehemaligen Kugelstoßer Gerd Jacobs präsentierte, der bezeugte, als Jugendlicher anabole Steroide aus dessen Hand erhalten zu haben.
Goldmann, vor und nach dem Fall der Mauer Trainer der Kugelstoß-Legende Ulf Timmermann, verlor seine Stelle als Bundestrainer. Unbezahlt arbeitete er weiter mit Harting und klagte gleichzeitig auf Weiterbeschäftigung. Parallel zum Rechtsstreit brachte eine vom Verband eingesetzte Kommission ihn, der stets hartnäckig zum Thema Doping geschwiegen hatte, dazu, über die Pauschalerklärung hinaus, mit der fünf DDR-Trainer ihre Beteiligung am Doping-System der DDR einräumen, den Einzelfall Jacobs zuzugeben und zu bedauern.
Postwendend empfahl die Kommission, Goldmann wieder zu beschäftigen – was Deutscher Olympischer Sportbund und Leichtathletik-Verband noch nicht vollzogen haben (siehe: Sport-Kommentar: Deal für Doper und Empfehlung der Steiner-Kommission: Goldmann wieder Bundestrainer?). „Die beteiligten Personen wissen schon, was rauskommt“, orakelte Harting aber am Montag, als er mit Journalisten über seine Teilnahme am Istaf, dem Auftakt-Sportfest der Golden League am Sonntag im Olympiastadion, sprach.
Offenbar forderte Harting intensivere Betreuung
Solange die Zukunft des Trainers ungewiss war, belastete das Harting mehr und mehr. „Natürlich gab es ein Zerwürfnis“, verriet er nun. „Man kommt psychisch an seine Grenzen und hat einen Sportler, der Leistung einfordert“, sagte er über die Zwangslage seines Trainers und fuhr fort: „Vor zwei Wochen war das eine enorme Belastung; der Untergang von meiner Seite.“ Offenbar forderte er intensivere Betreuung, als sein 58 Jahre alter Trainer leisten konnte. Was für einen Unterschied das Votum der DLV-Kommission macht: „Jetzt sind wir wieder in der Lage anzugreifen“, sagt Harting. Selbst wenn Goldmann nicht wieder Bundestrainer werden würde, sei die Situation zwischen ihnen bereinigt. „Existenztechnisch“, sagt Harting, „wäre ein Nein des Verbandes natürlich schlecht. Aber uns belastet das nicht mehr.“
Doch nicht die Vergangenheit des Trainers im Doping-System des DDR-Sports der achtziger Jahre als vielmehr dessen mangelhafte Konzentration auf seinen Athleten heute scheinen zu den Spannungen geführt zu haben. Goldmann habe nie mit ihm über Doping und den DDR-Sport gesprochen, sagt der im Oktober 1984 in Cottbus geborene Harting. Als die Mauer fiel, war er gerade fünf Jahre alt. „Wir hatten schon vermutet, dass das aufgekocht wird, sobald man die Erklärung für den DOSB unterschreibt“, sagt er nun. „Aber dass es so eine krasse Wendung genommen hat, war eine Überraschung.“
„Alles gegessen“
Harting schimpft, dass das ZDF eine eigene Redaktion habe, die sich mit nichts anderem beschäftige als damit, solche Fälle auszubuddeln. „Das macht den Sport kaputt. Das brauchen wir nicht. Es bringt doch nichts, immer zurückzublicken.“ Reporter des Fernsehsenders, klagte er am Montag, hätten ihm schon bei der deutschen Meisterschaft in Nürnberg „Fangfragen“ gestellt, die sie für ihren Beitrag sechs Wochen später gebrauchten. Ralf Paniczek, Mitglied der elf Mitglieder starken, redaktionsübergreifenden Doping-Task Force des ZDF, widerspricht. „Unsere Arbeit ist wichtig, um den Sport zu retten und ihm eine Zukunft zu geben“, sagt er. „Wir verstehen uns als Partner des Sports und der Sportler, nicht als Gegner.“
Allzu tief mag Harting – seine Internet-Seite derharting.de hat er zur „Doping Free Zone“ erklärt – in das Thema nicht eindringen. „Das ist alles gegessen“, sagt er; ein klärendes Gespräch mit Goldmann erwarte er nicht. Irritationen auch nicht: „Im Kopf sind wir jetzt stärker als die ganze Sache.“
„Es bringt doch nichts, immer zurückzublicken”: Robert Harting hält nichts von der Diskussion über die Vergangenheit seines Trainers
Michael Reinsch, Berlin, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 9. Juni 2009