Dem Himmel entgegen: Jelena Isinbajewa ist die Überfliegerin der Leichtathletik
Jelena Isinbajewa – Das Millionen-Dollar-Baby – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
14. Juni 2009 „Ich will eine gute Fee sein“, sagt Jelena Isinbajewa. „Die armen Waisenkinder sollen ihre Wünsche aufschreiben, und ich will sie ihnen erfüllen. Wie mit einem Zauberstab.“ Den Zauberstab, mit dem sie sich bisher ihre eigenen Wünsche erfüllte, packt die seit wenigen Tagen 27 Jahre alte Russin an diesem Sonntag wieder beim Istaf an, dem Auftakt der Golden League der Leichtathletik im Olympiastadion von Berlin.
Zu zwei Olympiasiegen, drei Weltmeisterschaften und 26 Weltrekorden hat er sie bisher getragen. Bald will sie ihre eigene Stiftung für Waisenkinder vorstellen, mit der sie vorerst ausschließlich in Russland wohltätig sein will.
Jelena Isinbajewa ist die Überfliegerin der Leichtathletik. Mit dem Wechsel vom Turnen zur Leichtathletik hat sie den Sprung raus aus Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad, in die Welt der Reichen und Schönen geschafft. Sie trainiert in Rieti und lebt in Monte Carlo. Im März war sie für eine Woche in Peking und traf ihren neuen Sponsor, den einstigen Turn-Olympiasieger Li Ning, der mit seinem Sportartikelunternehmen ähnlich ehrgeizige Ziele verfolgt wie sie im Sport: die Nummer eins zu werden in der Welt, neue Dimensionen zu erobern.
Höher dotiert als Lewis, Johnson und Bolt – Die Russin und ihr Zauberstab
Li Ning hat Jelena Isinbajewa zum Millionen-Dollar-Baby der Leichtathletik gemacht. Im Januar schloss er einen Vertrag mit ihr, der der Russin in den kommenden fünf Jahren, bis zur Weltmeisterschaft 2013 in Moskau, jeweils eineinhalb Millionen Dollar garantieren soll. „Damit haben wir sicher eine neue Dimension erreicht“, sagt Daniel Wessfeldt, der schwedische Manager von Jelena Isinbajewa. „So einen hohen Vertrag hat noch niemand in der Leichtathletik unterschrieben, nicht Carl Lewis, nicht Michael Johnson, nicht Usain Bolt.“
Extrem großer sportlicher Erfolg, gutes Aussehen und ihre Fähigkeit, als eine der wenigen russischen Athletinnen, sich in Englisch richtig gut auszudrücken, sagt Wessfeldt, habe sie qualifiziert für das Angebot. „Und ihr Lächeln. Die Sponsoren lieben es.“ Bei den Olympischen Spielen von Peking im vergangenen Jahr sorgte Jelena Isinbajewa, noch vor allen 51 chinesischen Olympiasiegern, für den Gipfel der Einschaltquoten. 260 Millionen Fernsehzuschauer soll sie allein in China gehabt haben, als sie ihre zweite Goldmedaille mit der Weltrekordhöhe von 5,05 Metern gewann.
„Ich will heiraten und Kinder haben“
„Wenn ich darüber nachgedacht habe, nach Peking Schluss zu machen, weil alles so anstrengend ist“, sagte sie nun in Berlin, „ist mit dem neuen Vertrag ein frischer Wind in mein Leben gekommen. Er hat mein Leben verändert. Jetzt habe ich neue Ziele. Der Vertrag hat meine Karriere verlängert.“ Selbst wenn sie nicht wirklich darüber nachgedacht haben mag, schon 2008 hinzuschmeißen, hat sie sich doch von ihrem Traum verabschiedet, 2012 in London zum dritten Mal Olympiasiegerin zu werden und vom Siegespodest in den Ruhestand zu treten.
„Ich will heiraten und Kinder haben“, hatte sie gesagt. „Drei, vier Jahre will ich mich nur um die Kinder kümmern.“ Wladimir Putin, der erste Sportfreund Russlands, und Valentin Balachnitschew, der Präsident des russischen Verbandes, dürften ihr klargemacht haben, dass sie das besser ein Jahr hinausschiebt, dass ein Abschied vor russischem Publikum noch viel schöner und dass auch 32 kein Alter ist.
„Zehn bis fünfzehn Weltrekorde will ich noch springen“
Auf glückliche Kinderaugen will die junge Frau in der Zwischenzeit nicht verzichten. Sponsor Li Ning unterstützt sie deshalb bei der Ausstattung ihrer Stiftung. „Sie behandeln mich wie eine Königin“, hat Jelena Isinbajewa erfahren, als sie im März in Peking ihre neue Sport- und Freizeitkleidung abholte, wo der Sponsor mit ihr Foto-Shootings und Videoaufnahmen machte. „Bei aller Höflichkeit sind die Chinesen sehr hart“, sagt sie. „Sie lieben nur Sieger; wer Zweiter wird, ist in China ein Verlierer.“
Sie hat den Sprung in die Welt der Reichen und Schönen geschafft
Li Ning hat deshalb auch üppige Erfolgsprämien in den Vertrag aufgenommen – und Jelena Isinbajewa macht kein Geheimnis daraus, dass sie diese reichlich einfordern will. „Zehn bis fünfzehn Weltrekorde will ich noch springen“, kündigt sie. „Wenn ich zurücktrete, soll der Weltrekord für hundert Jahre unerreichbar sein.“ 5,20 Meter hält sie für eine in den nächsten Jahren erreichbare Höhe, sagen sie und ihr Trainer Witali Petrow – steigert sie ihren aktuellen Weltrekord zentimeterweise in diese Dimension, sind fünfzehn Prämien drin. „Und bei den Hallen-Wettbewerben ist noch mehr Luft drin“, sagt die Springerin. Bei ihrem Abschied von der Wintersaison im Februar in Prag weinte sie bitterlich, als sie am neuen Weltrekord von 5,01 Metern scheiterte – da wäre die erste Prämie von Li Ning fällig gewesen.
Zeit, zu neuen Höhen aufzubrechen
Wessfeldt sieht weitere Gelegenheiten, die sich aus dem neuen Vertrag ergeben. „Die starke Präsenz von Jelena in China, so wie Li Ning sie plant“, sagt er am Samstag in Berlin, „wird fast unvermeidlich zu weiteren Verträgen mit chinesischen Sponsoren führen. Man muss doch nur gucken, was in der Welt passiert: Die chinesischen Unternehmen sind im Kommen.“ Jelena Isinbajewa ist bereit für diese Herausforderung.
Die Gold-Marie der Leichtathletik: „Zehn bis fünfzehn Weltrekorde will ich no…
Die Gold-Marie der Leichtathletik: „Zehn bis fünfzehn Weltrekorde will ich noch springen“
Die vergangene Saison war für sie, die einzige Stabhochspringerin, die je fünf Meter übersprungen hat, auch ein Comeback. Nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2005 in Helsinki wechselte sie zu Witali Petrow nach Italien, dem einstigen Trainer von Sergej Bubka, der einst den Stabhochsprung ebenso dominierte wie sie ihn heute. „Ich brauchte zwei Jahre, um mich an die neuen Stäbe zu gewöhnen und seine Technik vollständig zu verstehen“, sagt sie. „Ich gewann zwar weiterhin, aber mit schlechten Höhen.“ Der Olympiasieg und der Weltrekord von Peking waren deshalb auch etwas ganz Besonderes: „Emotional fast wichtiger als meine erste Goldmedaille. Ich war durch ein Tief gegangen.“
Zeit, zu neuen Höhen aufzubrechen mit dem Zauberstab.
Michael Reinsch, Berlin in der Frankfruter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 14. Juni 2009
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