Und auch Ariane Friedrichs deutscher Rekord ist für viele vor allem deshalb anschaulich, weil sie noch jene schlanke Damen in Erinnerung haben, die einst niedriger sprangen, aber zur hohen Sportprominenz gehörten: die Olympiasiegerinnen Ulrike Meyfarth und Heike Henkel.
Chancen eines Sonntags – Olympischer Kernsport – Ein Kommentar von Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung
Paul und die Brandstifter? Ariane mit der Trägerrakete? Die Topleistungen von Biedermann und Friedrich könnten Schwimmen und Leichtathletik zu neuer Popularität verhelfen.
Deutscher Rekord für Ariane Friedrich im Hochsprung, Europarekord für Paul Biedermann über 200 Meter Freistil: Die Ausbeute eines Sonntags.
Die Scheinwelt des Sports ist derart weit, dass sich darin manche Namen einfach verlieren, und deswegen möge man den Fernsehfreunden verzeihen, dass sie zwar vermutlich die deutsche Biathlonstaffel von der Live-Übertragung aus Antholz im Winter 2005 auswendig aufsagen könnten oder die Ersatzviererkette von Arminia Bielefeld.
Aber ins Stottern geraten, wenn es um zwei Hochbegabte der olympischen Kernsportarten Schwimmen und Leichtathletik geht. Paul Biedermann? Ist das nicht der mit den Brandstiftern? Oder der Beispielname von den Mustervordrucken? Und diese Hochspringerin, die heißt wie diese Trägerrakete? Ariane Dingsbums … Friedrich, richtig. Die ist doch jetzt auch wer, nicht wahr. Die neue Heike Henkel.
Paul Biedermann und Ariane Friedrich sind nicht erst wer seit ihren fulminanten Auftritten vom Wochenende, die jeweils – Biedermanns 1:44,88 Minuten über 200 Meter Freistil und Friedrichs 2,06 Meter – den vorläufigen Höhepunkt ihres Schaffens markieren. Im vergangenen Jahr waren sie auch schon Athleten der Weltklasse. Er wurde Freistil-Europameister, Kurzbahnweltrekordler und zerschmetterte Michael Groß' deutschen 200-Meter-Rekord.
Sie sprang in Serie über 2,00 Meter, setzte Glanzpunkte bei den nationalen Meisterschaften und gewann beim Europacup mit 2,03 Metern. Das ist nur nicht so aufgefallen, weil ihre Tätigkeitsfelder schon lange nicht mehr zum Kanon der klassischen Fernsehsportarten gehören und sie beim Hauptmedienereignis Olympia als Fünfter und Siebte nur gut waren, nicht sehr gut.
Vielleicht ändern ihre jüngsten Coups etwas daran, was gerade dieses Jahr ein Gewinn wäre für ihre jeweiligen Verbände. Es ist für beide das WM-Jahr nach dem großen Olympia-Frust – da werden Siegertypen immer gebraucht. Und die Chancen stehen ganz gut, dass durch solche Sonntagsleistungen selbst im Mediensport-Deutschland wieder etwas mehr Interesse abfällt für globale Basissportarten wie Schwimmen und Leichtathletik, in denen Erfolg schwieriger zu kriegen ist als etwa in der kleinen, materialintensiven Spektakelwelt des Wintersports.
Schon im Frühjahr hat sich gezeigt, wie ein besonderer Leichtathletik-Erfolg die Republik aufmerken lassen kann. Der 8,71-Meter-Weitsprung des Bremer Hallen-Europameisters Sebastian Bayer schien fast jeden zu faszinieren, weil fast jeder im Schulsport schon mal selbst in die Sandgrube gehüpft ist. Biedermann steht in der Tradition des Olympiasiegers Groß, der bis heute als medaillengeschmückte Lichtgestalt gilt.
Und auch Ariane Friedrichs deutscher Rekord ist für viele vor allem deshalb anschaulich, weil sie noch jene schlanke Damen in Erinnerung haben, die einst niedriger sprangen, aber zur hohen Sportprominenz gehörten: die Olympiasiegerinnen Ulrike Meyfarth und Heike Henkel.
Welche Botschaft von dieser neuen Aufmerksamjeit ausgeht, ist allerdings auch klar. Nur das Außergewöhnliche zählt.
Gut zu sein allein reicht nicht vor einem Fernsehsportpublikum, dessen Gedächtnis nur die Namen der Erfolgreichen behält.
Ein Kommentar von Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Montag, dem 15. Juni 2009