Diese Beispiele aus Kenia und dem Sudan scheinen zu bestätigen, dass der Wunsch nach Bildung wie ein Naturgesetz daher kommt.
Robert Hartmann – Die acht südsudanesischen Kindersoldaten auf Kip Keinos Farm – Kenia Teil III.
Mein drittes Beispiel führt zurück ins Jahr 2001, als Kip acht südsudanesische Kindersoldaten in seiner Farm aufnahm. Dazu war er am Telefon von Mitarbeitern von Unicef gebeten worden, und er zögerte nicht lange.
Statt verwahrloste Jungen anzutreffen, die sieben bis zehn Jahre alt waren, als sie in den Busch zogen, und die sich bis zu sechs Jahre im Krieg befanden, erlebte ich sie bei unserer ersten Begegnung als sehr offen, ja herzlich – und als diszipliniert. Als ich mich darüber wunderte, sagten sie, sie hätten ja in einer Befreiungsarmee gedient. Sie hätten ihre Ideale gehabt. Sie fanden durchaus viele Worte über ihre schrecklichen Erlebnisse. Wobei das große Farmgelände beim Herstellen einer neuen seelischen Balance bestimmt hilfreich war. Einen Psychologen habe ich natürlich nie gesehen.
Als mir kürzlich einer der jungen Männer erzählte, dass er nachts manchmal mit Albträumen aufwache und er deshalb unbedient für den Rest der Nacht das Licht anknipsen müsste, war mir klar, dass noch ein enormer unverdaute Rest auf ihren Seelen liegen musste.
Ich bin mir sicher, dass die acht Sudanesen zur jungen Elite gehörten, als sie für Kips Farm ausgewählt wurden. Einer, Jacob, war mit zehn schon der stellvertretende Anführer der Kindersoldaten gewesen, und diese Aura war auch sofort zu spüren. Als ein Vertrag zwischen den kriegsführenden nord- und südsudanesischen Parteien und der Unesco geschlossen wurde, dass Kinder nicht mehr Soldaten sein sollten, war er einer der ersten, der heftigen Widerstand gegen die anfangs unnachgiebigen alten Offizieren leistete.
Für die acht ist Kip mittlerweile der „Daddy“.
In Südsudan gingen die Kinder höchsten bis in die dritte Klasse. Der größte Wunsch der Jungen auf Kazi Mingi war nun die Bildung, das sagten mir alle. Am Anfang mussten sie sich in Kenia mit dem Siebenjährigen auf die gleiche Schulbank setzen, dabei war ihr Jüngster schon 15. Sie wurden genauso wie die Siebenjährigen von ihren kenianischen Lehrern geschlagen, wenn sie etwas ausgebrochen hatten. Als ich Abdulah einmal fragte, ob es ihm manchmal schwer falle, die Lippen zusammen zu pressen, antwortete er: „Während der Lehrer mich züchtigt, denke ich mir immer: ‚Ich könnte dich in einer Minute töten.’ Aber ich weiß, weshalb ich hier bin.“
Von den acht ist seit jetzt acht Jahren nur einer gewalttätig geworden, sodass er aussortiert werden musste.
Nach vier und fünf Jahren statt den üblichen acht Jahre hatten die Besten die Primary School schon hinter sich gebracht, und zurzeit befinden sich vier von ihnen im letzten Jahr der Secondary School. Die meisten möchten danach in den USA studieren, was von der Unesco finanziert wird. Ihre Ziele sind entweder das Lehramt oder Medizin, und alle wollen heimkehren, um ihr Land wieder aufzubauen. Lassen Sie es uns hoffen.
Zuletzt möchte ich von dem schmächtigen und wunderbaren Hashim Sudi erzählen, der jetzt 18 ist. Irgendwann trug er seinen Wunsch vor, auf die in Kenia berühmte St. Patrick’s Highschool von Iten gehen zu dürfen. Sie liegt 40 km von Kazi Mingi entfernt. Auf ihr unterrichtet seit 1976 der irische Bruder Colm O’Connell, und in seiner Freizeit trainiert er Lauftalente, unter anderen hatte er Wilson Kipketer, den 800-m-Weltrekordler mit Kips Hilfe entdeckt und geformt. Dort wollte Sudi unbedingt hin, und weil seine Zeugnisse hervorragend waren, durfte er gern kommen.
Es stimmt wirklich, dass Sudi an jedem Morgen von 4 Uhr an zwei Stunden lang lernt. Danach trainiert er noch vor dem Schulbeginn für seinen 1.500-m-Lauf. Nach dem Mittagessen läuft er ein zweites Mal, und abends beugt er sich erneut über seine Bücher. Als vor anderthalb Jahren die kenianischen Unruhen auf Iten übergriffen, ließ er sich nach Kampala, die Hauptstadt Ugandas, transferieren, wo er wieder seinen unverzichtbaren Frieden fand.
Er sagte mir, er sei immer wieder aufs Neue darüber so glücklich darüber, dass er keine Schüsse mehr hört und auch selbst nicht mehr schießen muss. Er sagte, dass er zwei Wünsche habe: bei einer großen Meisterschaft eine Medaille zu gewinnen und Arzt zu werden. Die Sache mit der Medaille ist wohl besonders schwierig, weil seine ersten Gegner aus Kenia kommen.
Diese Beispiele aus Kenia und dem Sudan scheinen zu bestätigen, dass der Wunsch nach Bildung wie ein Naturgesetz daher kommt. Es stimmt, und ich erhielt wieder die Bestätigung dafür, bei Mike, Kip und auch Sudi, dass der Mensch nicht allein von Brot lebt. Und dieser Wunsch ist wohl „inborn“, ganz tief drinnen geboren.
Afrika ist noch nicht verloren, und auch der Sport kann dabei seine Rolle spielen.
Robert Hartmann