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01
07
2009

Heute gehören Läufe unterschiedlichster Länge in Städten zum alltäglichen Sportprogramm. Vor 83 Jahren allerdings, als der Berliner Athletik-Klub mit „Quer durch Berlin“ erstmalig einen Straßenlauf durch Stadtgebiete startete, gehörte viel Mut zu einer derartigen Veranstaltung.

Als der Kaiser Grünes Licht gab – Aus der frühen Geschichte der Straßenläufe in Berlin – 100 Jahre Berliner Leichtathletik-Verband – Gerd Steins vom Sportmuseum Berlin berichtet

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Der Berliner Leichtathletik-Verband (BLV) feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Am 15. November 1904 wurde der Verband Berliner Athletik-Vereine (VBAV) gegründet. Erster Vorsitzender war damals Otto Gronert vom SC Komet, Zweiter Vorsitzender wurde Paul Martin vom Charlottenburger SC 1902, dem heutigen SCC Berlin. Am 12. März 1905 veranstaltete der Verband seinen ersten Wettkampf, einen Crosslauf um den Hundekehlesee im Grunewald.

Anlässlich des Jubiläums ist geplant, dass im Rahmen der Berlin-Brandenburgischen Leichtathletik-Meisterschaften, die am 5. und 6. Juni im Stadion Bosestraße stattfinden, eine 48-seitige Festbroschüre herausgegeben wird. Sie kann dann auch über den BLV bezogen werden (Telefon: 030 – 305 72 50) und kostet voraussichtlich zwischen 3 und 4 Euro

Horst Milde

Heute gehören Läufe unterschiedlichster Länge in Städten zum alltäglichen Sportprogramm. Vor 83 Jahren allerdings, als der Berliner Athletik-Klub mit „Quer durch Berlin“ erstmalig einen Straßenlauf durch Stadtgebiete startete, gehörte viel Mut zu einer derartigen Veranstaltung. „Quer durch Berlin“ entwickelte sich rasch zu einem international renommierten Lauf- und Gehwettbewerb, der von 1921 bis 1957 fast immer auf dem 25 km langen Wendepunktkurs Poststadion – Lausitzer Platz ausgetragen wurde.

Großes öffentliches Interesse erzielten Geher und Läufer mit Distanzmärschen schon seit 1881: Fritz Käpernick lief die Distanz Berlin – Wien (ca. 600 km) in 92 Stunden. Otto Peitz ging 1893 von Berlin nach Wien (ca. 580 km) in 154:26 Stunden und Johannes Böge gewann 1896 den Distanzmarsch Dresden – Berlin (202 km) in 28:41! Seit 1894 fanden zudem öffentlich kaum beachtete Langläufe über 25,6 km von Potsdam nach Berlin statt; als Sieger sind uns überliefert, 1894: R. Werner vom SC Nord-West Berlin in 1:48:00 Stunden, 1895: Knospe vom SC Frankfurt 85 Berlin in 1:45:50 und 1896: Paul Badow vom Spandauer Radfahrer-Club Germania in 1:47:31.

Die herausragende Stellung Berlins im Langlauf zeigt sich darin, dass von den 33 ausgetragenen „Deutschen Marathonläufen“ beziehungsweise „Deutschen Marathon-Meisterschaften“ zwischen 1898 und 1942 allein 22 Läufe von Berliner Sportlern gewonnen wurden! Dieser sportlichen Erfolgsbilanz standen mitunter erhebliche Behinderungen seitens der „Ämter“ gegenüber. So verhängte der Amtsvorsteher des Forsthauses Grunewald gegen den Vorsitzenden des Berliner Athletik-Klubs eine Geldstrafe von fünf Mark, weil der Verein am „11. März 1906 von 3 3/4 – 4 1/4 Uhr mit ca. 90 Mitgliedern im Grunewald um den Hundekehlen See ein Wettlaufen veranstaltete, ohne im Besitz einer polizeilichen Bescheinigung zu sein“.

Was heute die Marathonläufe hinsichtlich breiter Aktivität und öffentlicher Resonanz sind, waren vor über 90 Jahren die Großstaffelläufe in den Städten. Die Reise Berliner Sportler und Funktionäre zu den Olympischen Spielen 1906 in Athen regte bekanntlich dazu an, in Berlin für 1908 Olympische Spiele zu veranstalten. Eine besondere Wirkung hinterließ bei Carl Diem der Marathonlauf, den er auch in Berlin verwirklichen wollte. Obwohl sich die Durchführung Olympischer Spiele 1908 in Berlin zerschlug, konnte aber doch ein „gestaffelter Marathonlauf“ in diesem Jahr veranstaltet werden.

Carl Diem berücksichtigte bei der Vorbereitung seines Marathonlaufs recht trickreich die bisher schlechten Erfahrungen mit den Berliner Behörden. Sein Unterfangen, einen Wettlauf durch die Straßen Berlins versuchen zu wollen, stufte er als wahnwitzig ein, zudem befürchtete er, dass der Anblick eines Marathonlaufes, wie er ihn in Athen erlebt hatte, nachteilige Wirkung auslösen würde.

Da man in der Öffentlichkeit bereits bei den harmlosen Waldläufen Zweifel am Verstande der Sportler und tiefstes Bedauern äußerte, dass man derartig gegen die „Gesundheit wütete“ und sich die „Lunge aus dem Hals lief“, benutzte Carl Diem einen Trick: „Ich verfiel also auf den Gedanken, zwar einen großen Lauf zu wagen, das Publikum aber zu betrügen, indem jedweder immer einen frischen Mann sehen sollte. Ich dachte an einen Groß-Staffellauf auf der Strecke von Potsdam nach Berlin, und zwar vom Potsdamer Stadtschloß bis zum Berliner Stadtschloß, einmal weil wir immer etwas für das Pompöse waren und einen großen Start- und Zielplatz haben wollten.“

Die Polizei lehnte das Gesuch um die Genehmigung des Laufes natürlich ab. Aufgrund des Bemühens einflussreicher Freunde und Fürsprecher, die beim kaiserlichen Hofe antichambrierten, genehmigte Kaiser Wilhelm II schließlich den Lauf von seinem Potsdamer Schloß zur Berliner Residenz. Allerdings hatte die Polizei erhebliche Einwände gegen den Start- und Zielpunkt, so dass man sich schließlich auf den Start an der Glienicker Brücke und das Ziel an der Siegessäule vor dem Reichstag einigte.

Die Besonderheit des Staffellaufes bestand aber darin, dass eine freie Form gewählt wurde. Jeder Verein konnte 50 Läufer für 25 km so einsetzen, wie er es für erfolgreich hielt. Der erste Lauf wurde am 14. Juni 1908 mit acht Mannschaften gestartet, und die Polizei war etwas überrascht, als statt der erwarteten 400 Läufer nur die acht Zielläufer an der Siegessäule ankamen!

Gerd Steins – Sportmuseum Berlin  – AIMS Marathon Museum of Running

Die Bilder stellte das Sportmuseum  Berlin freundlicherweise zur Verfügung.

author: GRR

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