Kürzlich erst ergab eine Umfrage des Sportinformationsdienstes, nur 18,1 Prozent der Befragten wüssten überhaupt, dass die WM in Berlin stattfinde. Und seit geraumer Zeit schon beklagen ausgerechnet jene die Ereigniswerbung, die ein vitaler Teil davon sein sollten.
17 Gesichter und ein Ärger – Die Werbung für die Leichtathletik-WM in Berlin ist Ansichtssache – Weitspringer Bayer nennt sie eine ¸¸Farce\“ – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung
München – Werner Daniels muss aufpassen, sonst schauen am Ende alle auf ein Ereignis, das in Tränen versinkt. Daniels ist Trainer und Spiritus Rector der Speerwerferin Christina Obergföll, die es nicht nur zur Olympia-Dritten und zweimaligen WM-Zweiten gebracht hat, sondern auch zur Imageträgerin der Leichtathletik in Deutschland.
Mit dem Terminkalender seiner Athletin verwaltet Daniels deswegen auch eine besondere Verantwortung für ihren Sport, gerade in diesem Jahr, da im August die WM in Berlin stattfindet. Christina Obergföll ist eines von "17 Gesichtern der WM", die Anfang März im Roten Rathaus vorgestellt wurden und seitdem der WM-Organisation als Werbeträger dienen. Daniels findet die Kampagne gut, seine Obergföll hat auch schon zwei Termine als WM-Gesicht wahrgenommen, nur den nächsten Anfang August wird das Gespann wohl absagen.
Wegen der sportlichen Berlin-Vorbereitung, "da habe ich lieber Sportschuhe an als Pumps", sagt Daniels. Schließlich soll eine WM-Medaille her, er kann nicht immer Rücksicht nehmen auf die Öffentlichkeitsarbeit, auch wenn er durchaus Bedarf sieht für mehr WM-Werbung. "Ich persönlich fand"s eher defensiv", sagt Werner Daniels.
Deutschland und seine nächste WM. Bisweilen entsteht der Eindruck, als kämen das Land und sein größtes Sportereignis 2009 nicht so richtig zusammen. Kürzlich erst ergab eine Umfrage des Sportinformationsdienstes, nur 18,1 Prozent der Befragten wüssten überhaupt, dass die WM in Berlin stattfinde. Und seit geraumer Zeit schon beklagen ausgerechnet jene die Ereigniswerbung, die ein vitaler Teil davon sein sollten.
Speerwurf-Europameisterin Steffi Nerius, auch eines von den 17 offiziellen WM-Gesichtern, hat Ende April gesagt: "Ich vermisse schon Werbung für Berlin." Und in Sport-Bild nennt Sebastian Bayer, Hallen-Europarekordler im Weitsprung mit 8,71 Metern, die Gesichter-Kampagne des WM-Organisationskomitees BOC eine "Farce" und schimpft: "Wir werden behandelt wie Karteileichen."
Allerdings erlebt diese WM-Werbung jeder anders. Die Verantwortlichen selbst finden sie gelungen, namentlich WM-Vermarkter Michael Mronz, der den WM-Bekanntheitsgrad von 18,1 Prozent einen "Sensationswert" nennt: "Vor der Handball-WM 2007 waren es acht Prozent." Und der sich außerdem "über eine dynamische Entwicklung bei den Kartenverkaufszahlen" freut: 230 000 seien schon abgesetzt. Die Bayer-Kritik findet er widersprüchlich. Der 17-Gesichter-Kampagne liegt der Gedanke zugrunde, dass die deutsche Leichtathletik arm an Hochprominenten ist.
Einen ganzen Pool von aktuellen Athleten formierte das BOC deswegen, um sie im Sinne der WM-Werbung als Interviewpartner zu vermitteln. Bayer etwa hatte Anfragen für Auftritte beim DFB-Pokal-Halbfinale und -Finale und sogar bei der jüngsten "Wetten, dass . . .?"-Sendung. Jedes Mal sagte er ab, "aus sportlichen Gründen", wie Bayers Managerin Esther Kölmel sagt; der "Wetten, dass. . .?"-Auftritt hätte sich tags vor seinem Istaf-Start ereignet.
Als Karteileiche bekommt man wohl eher selten die Chance, seinen Sport in der großen Samstagabend-Unterhaltung zu vertreten. Trotzdem sagt Esther Kölmel: "Wir finden es schade, dass wir so viele Weltklasse-Athleten haben und die sind nicht eingebunden in die Werbung." Dass Kölmel behauptet, "die ganzen 17 Athleten haben von der Aktion nichts mehr gehört", kann wiederum Obergföll-Trainer Daniels nicht bestätigen. Und auch nicht Günter Eisinger, Trainer und Manager der Weltklasse-Hochspringerin Ariane Friedrich: "Ich würde es genau umgekehrt sagen." Zu viele Anfragen.
Eisinger will Ariane Friedrich nicht zu sehr in die Gesichter-Kampagne eingespannt sehen, damit sie sich aufs Wesentliche konzentrieren kann. Über der Latte ist Ariane Friedrich nämlich die beste Werbeträgerin, findet Eisinger: Ihren deutschen Rekord von 2,06 Meter beim Istaf sieht er als "die beste Kampagne".
Es ist also gar nicht so einfach, mit Leichtathleten für eine WM zu werben. Sie sind so unterschiedlich, auch so unterschiedlich prominent, und während einer Saison kann sich vieles ändern: die WM-Gesichter Petra Lammert (Kugelstoßen) und André Niklaus (Zehnkampf) verpassen die WM wegen Verletzungen, dafür firmiert jetzt der Zehnkämpfer Michael Schrader als Medaillen-Hoffnung.
Und manche drückt vielleicht auch die Ehrenamtlichkeit, die mit dem Status eines WM-Gesichts verbunden ist. Es gibt keinen Ausgleich für das Engagement, "das sorgt für Unmut bei manchem", sagt Günter Eisinger, der damit aber nicht für seine Friedrich gesprochen haben will.
Und auch Esther Kölmel weist es von sich, dass es ihr und Sebastian Bayer ums Geld gehe.
Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Donnerstag, dem 2. Juli 2009