Härte ist ein gutes Stichwort. Sie trainieren bis zu 220 Kilometer pro Woche. Wie kann man sich nur so quälen?
Interview: \“Neid muss man sich verdienen\“ – Sebastian Arlt in der Berliner Morgenpost – Marathonläuferin Irina Mikitenko (36) gilt als die Goldhoffnung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) bei der WM in Berlin (15. bis 23. August). –
Frau Mikitenko, es sind noch etwa sechs Wochen bis zum Beginn der Leichtathletik-WM in Berlin, noch gut sieben Wochen bis zu Ihrem Marathon-Lauf am 23. August – wie erleben Sie Ihren ganz persönlichen Countdown?
Irina Mikitenko:
Ich kann mich genau erinnern, da waren es noch Monate, alles war so weit weg, jetzt zähle ich die Wochen, bald sicher die Tage. Alles wird immer schneller, immer mehr, immer ernster. Aber ich bin froh, dass es bald losgeht – und ich freue mich auf Berlin.
Immer mehr, bezieht sich das aufs Training oder auf das Interesse auch der Medien?
Auf beides. Ich freue mich natürlich, wenn die Leute Interesse an der Leichtathletik, am Marathon und an mir haben. Durch die WM wird das Interesse an der Leichtathletik hier in Deutschland noch größer, was sehr gut ist. Das Wichtigste für mich ist aber, dass am 23. August alles optimal läuft.
Wobei Sie sich ja sehr rar machen. Momentan sind Sie gerade mal für ein paar Tage in Deutschland, um nach einem wochenlangen Trainingslager in St. Moritz dann bis zur WM gleich wieder dorthin zurück zu fahren. Neben der Höhenluft – ist das auch ein Selbstschutz?
Auf alle Fälle. Gerade vor der WM muss ich unbedingt meine Ruhe haben, um mich optimal vorbereiten zu können, da wird alles andere zur Nebensache.
In St. Moritz war es zuletzt wegen der Hochzeit von Boris Becker aber eher unruhig.
Gesehen habe ich davon nichts, wir haben nur dauernd Hubschrauber gehört. Zum Glück hat die Hochzeitsgesellschaft unsere Wege nicht gebraucht, wir konnten ungestört trainieren.
Sie sind die Favoritin auf den WM-Titel, wie stark ist der Druck?
Klar, auch ich werde nervöser. Aber ich muss cool bleiben und versuchen, das WM-Rennen als einen normalen Wettkampf zu sehen. Es bringt nichts, mich jetzt noch selbst unter Druck zu setzen.
Cool bleiben – klingt ganz einfach.
Na ja, wenn man dann im Fernsehen Bilder sieht und in der Zeitung von der Heim-WM liest, da bekommt man schon Gänsehaut.
Manche Sportler lesen deshalb erst gar keine Zeitung mehr.
In der letzten Woche vor dem Rennen sollte ich es vielleicht wirklich bleiben lassen.
Gerade hat die Britin Mara Yamauchi (Anm. d. Red.: Sie wurde beim London-Marathon im April 2009 hinter Mikitenko Zweite) wegen Verletzung ihren WM-Verzicht bekannt gegeben. Wieder eine Konkurrentin weniger.
Was heißt das schon? Vielleicht ist jetzt eine Konkurrentin weniger, aber vielleicht tauchen auf einmal zwei Junge auf, die man noch gar nicht kennt. Die Konkurrenz schläft nicht. Ich muss sehr gut vorbereitet sein, ich muss mich einzig und allein auf mich konzentrieren. Eigentlich ist es ganz einfach: Alles liegt in meiner Hand.
Härte ist ein gutes Stichwort. Sie trainieren bis zu 220 Kilometer pro Woche. Wie kann man sich nur so quälen?
Ich habe immer hart gearbeitet. Und es hat immer funktioniert, mit Disziplin und hartem Training erfolgreich zu sein. Mit 16 Jahren war ich zum ersten Mal bei einer Junioren-WM dabei.
Durch Erfolg lässt sich also alles leichter ertragen.
Ich denke schon. Man wird selbstbewusster, die Motivation wird noch größer. Du weißt: Es lohnt sich.
Auch finanziell: Sie haben von Ihren bisher vier Marathons, die Sie gelaufen sind, nicht nur drei gewonnen, sondern haben im November 2008 auch den Jackpot der World Marathon Majors in Höhe von 500 000 Dollar gewonnen. Hat sich dadurch für Sie viel verändert?
Meine Familie, mein Umfeld, mein Verein, Sponsoren, Leute, die ich lange kenne – das alles ist zum Glück gleich geblieben. Sicher kommen jetzt viele neue Leute auf einen zu. Aber ich finde: Lieber ein guter alter Freund als zehn Unbekannte, die nur aufgrund des Erfolges auf einmal da sind.
Haben Sie auch Neid erfahren?
Na ja, es gibt einen guten Spruch: Neid muss man sich auch verdienen. Damit kann ich gut umgehen.
Interview: Sebastian Arlt in der Berliner Morgenpost, Freitag, dem 3. Juli 2009