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18
07
2009

In der gesamten Stadt war der dreifache Olympiasieger aus Jamaika plakatiert, die Zeitungen räumten ihm seitenweise Platz ein, und die Veranstalter machten ihm den Hof. „Jamaica“ stand auf den T-Shirts aller Helfer, „Jamaica“ stand auf ihren Kappen

Usain Bolt – Jamaikanische Party in Paris – Michael Reinsch, Paris, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

18. Juli 2009 Paris wollte eine karibische Party. Und nicht einmal Regen und Kälte haben 45.000 Besucher davon abgehalten, sie zu feiern. Schließlich war der Jamaikaner Usain Bolt ihr Gast. 9,79 Sekunden dauerte dessen Sprint am Freitagabend im Stade de France, und doch stellte er alle weiteren Leistungen des Golden-League-Sportfestes in den Schatten.

Nach getaner Arbeit – nur er, sein Landsmann Asafa Powell und der Amerikaner Tyson Gay liefen je schneller – ließ Bolt sich auf einer Ehrenrunde ausführlich bejubeln.

In der gesamten Stadt war der dreifache Olympiasieger aus Jamaika plakatiert, die Zeitungen räumten ihm seitenweise Platz ein, und die Veranstalter machten ihm den Hof. „Jamaica“ stand auf den T-Shirts aller Helfer, „Jamaica“ stand auf ihren Kappen. „Jamaica-Tribüne“ war ein Block an der Zielgeraden getauft, und den ganzen Abend spielte die Stadionregie jamaikanische Musik. Vor Bolts Auftritt lief über die Lautsprecheranlage des Stadions „We Will Rock You“ als Reggae.
 
Damit der 22-Jährige sich auch wirklich wie zu Hause fühlt, wenn er die Welt der Leichtathletik erschüttert und am besten noch seinen Weltrekord von 9,69 Sekunden dazu, hatte er aus Kingston seine Trainingspartner Daniel Bailey und Yohan Blake mitbringen dürfen. Der eine ist der schnellste Sprinter Antiguas, der andere der schnellste Teenager der Welt; auch sie werden von Bolts Trainer Glen Mills betreut. Schon vor dem Start zeigten der eine, indem er seinen Namen überdeutlich in die Fernsehkamera buchstabierte, der andere, indem er tanzend seine Goldketten fliegen ließ, was sie gelernt haben von ihrem Trainingspartner und Vorläufer.

„Ich will beweisen, dass die Olympiasiege kein Witz waren“

Auf den Bahnen rechts und links neben Bolt liefen der 22 Jahre alte Bailey in 9,91 und der drei Jahre jüngere Blake in 9,93 Sekunden auf die Plätze zwei und drei. Tänzerisch wie läuferisch hatte Bolt, allein schon mit seiner Pose des Bogenschützen, eindeutig die Nase vorn. „Die beiden wollten unbedingt mal mitkommen“, freute sich der Star. „Es war ein großer Spaß, dass wir zum ersten Mal gemeinsam gelaufen sind.“
 
Mit einem schwachen Start schien Bolt der Konkurrenz auf die Sprünge zu helfen, doch schon nach rund dreißig Metern hatte er sie eingeholt. Auf den folgenden sechzig, siebzig Metern trug ihn sein Sprint uneinholbar an die Spitze. Dabei wurde er getragen von einem anhaltenden Schrei des entfesselten Publikums. An dem Wochenende, an dem alle Welt sich an die Mondlandung vor vierzig Jahren erinnert, an ein Ereignis, das verwegene Träume schlagartig in Realität verwandelte, scheint es nicht ungewöhnlich, wenn auch die Leichtathletik abhebt vom Boden des Nachvollziehbaren.

Liegt das an den Zutaten, die so eine jamaikanische Party umnebelt, oder ist das Wirklichkeit? „Mir ist wichtig, der Welt zu zeigen, dass vergangenes Jahr kein Witz war“, sagte Bolt in Anspielung auf seine drei Goldmedaillen von Peking. „Deshalb werde ich sehr konzentriert zur WM fahren. Ich werde bereit sein, zu beweisen, dass die Olympiasiege kein Witz waren.“

„Wenn es ein guter Start gewesen wäre, wenn gutes Wetter …“

Bolt war in Regen und Kälte (und 0,2 Meter Gegenwind) nur zwei Hundertstelsekunden langsamer als Weltmeister Gay vor einer Woche in einer lauen Nacht von Rom (9,77 Sekunden). Wie bei seinen 19,59 Sekunden auf den verregneten 200 Metern von Lausanne (Gay hatte 19,58 vorgelegt) hat er bewiesen, dass er bereit ist für seine Mission Weltmeisterschaft und den direkten Vergleich. „Das war kein perfektes Rennen, aber mir reicht's“, sagte er gelassen und behauptete: „Ich bin bei 85 Prozent und habe noch allerhand Arbeit vor mir.“ 85 Prozent?

Man mag gar nicht über Grenzen oder Grenzenlosigkeit spekulieren, wenn zu einem besseren Start und guten Bedingungen auch noch eine signifikante Leistungssteigerung auf hundert Prozent Bolt kommen soll. Das will auch der Wunderläufer selbst nicht. „Ich bin keiner, der sagt: wenn“, wehrte er sich gegen Hochrechnungen, die immer mal wieder – auch von Trainer Mills befeuert – zu einer 100-Meter-Zeit unter 9,6 oder gar unter 9,5 Sekunden führen. „Wenn es ein guter Start gewesen wäre, wenn gutes Wetter gewesen wäre …

Man weiß nie, wie es ausgeht.“ Der Mann will beweisen, was alles möglich ist.

Michael Reinsch, Paris, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 18. Juli 2009 

author: GRR

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