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29
07
2009

Beim ISTAF im West-Berliner Olympiastadion lief sie über 1000 m in 2:31,95 Minuten Weltrekord.

Ulrike Bruns – Vom Weltrekord über 1000 m zum Frauen-Lauftreff in Potsdam – Der läuferische Rückblick – Teil V

By GRR 0

Am 15. August beginnen die 12. Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Berlin. Es ist das größte Sportereignis auf deutschem Boden in diesem Jahr und der Saisonhöhepunkt eines Sports, der die Extreme bündelt. Die Leichtathletik mit ihren 47 Disziplinen gilt immer noch als der wichtigste Kernsport des olympischen Programms. Kein anderer Sport bringt Sieger aus so vielen verschiedenen Ländern hervor wie sie. Andererseits leidet sie besonders unter den Phänomenen der Moderne wie Kommerzialisierung oder Doping. 

German Road Races (GRR) wird in loser Reihenfolge über einige ehemalige  Aushängeschilder der deutschen Leichtathletik berichten, um "Appetit" auf die 12. IAAF Weltmeisterschaften der Leichtathletik zu machen!

 „Ihr müßt verrückt sein, ein Haus zu bauen", hatte Trainer Bernd Dießner 1985 zu Ulrike und Jürgen Bruns gesagt. Die beiden ließen sich zu DDR-Zeiten nicht beirren, beantragten die Steine, die dann auch zwei Jahre später kamen.

Doch Familie Bruns wohnte inzwischen längst im Haus am Stadtrand von Potsdam. Sie hatten sich die Materialien selbst besorgt. Und das ging erheblich schneller. Diese Episode sagt viel über die Einstellung von Jürgen und Ulrike Bruns, sowohl im sportlichen als auch im beruflichen und privaten Bereich.

Die beiden sind nicht im Strom mitgeschwommen, wenn sie es nicht für richtig hielten. „Und wir haben immer den Blick nach vorne gerichtet", berichtet Jürgen Bruns, der das Talent seiner späteren Frau einst selbst entdeckte.

„Bis zum Alter von 13 Jahren war ich am Sport nicht besonders interessiert", sagt Ulrike Bruns, die dann für die Schule beim „Cross der Jugend" starten mußte, den es damals auf Kreis-, Bezirks- und nationaler Ebene gab.
„Für die Trainer boten diese Rennen die beste Möglichkeit zur Sichtung", erinnert sich Jürgen Bruns, der damals hauptberuflich als Sportlehrer tätig war, aber bereits als Assistenzcoach des Langstreckentrainers des SC Cottbus, Fritz Janke, arbeitete.

Olympiadritte in Montreal

Damals fiel ihm eine gewisse Ulrike Klapezynski auf, die auf Anhieb Zweite des DDR-weiten Wettbewerbes wurde. „Das sieht gut aus, haben wir uns damals als Trainer gesagt", erzählt Jürgen Bruns. So wurde sie zwei Jahre später zum SC Cottbus delegiert und vom neun Jahre älteren Assistenzcoach betreut.

Als sich bald danach erste Erfolge einstellten, wollte Fritz Janke das Talent selbst übernehmen. Doch hier stellte sich Ulrike Klapezynski das erste Mal quer. Sie drohte aufzuhören, falls sie zu Janke hätte wechseln müssen. So setzte sie sich durch, denn solch ein Talent wollten die Funktionäre nicht aufs Spiel setzen.

Neun Jahre trainierte sie seit 1969 unter Jürgen Bruns, den sie im Jahr ihres größten Erfolges auch heiratete: 1976 wurde sie in Montreal Olympiadritte über 1500 m, war die Strecke zuvor als erste Deutsche unter vier Minuten gelaufen (3:59,9) und lief ihre 800-m-Bestzeit von 1:57,06.

Sie lief über Distanzen von 800 bis 10 000 m (Jürgen Bruns: „Ich bin heute noch der Meinung, daß ein guter Mittelstreckenläufer auch sehr gut über 3000 m oder 10 000 m laufen kann.") und setzte zwei Jahre später ein weiteren Glanzpunkt auf ihre Erfolgsliste: Beim ISTAF im West-Berliner Olympiastadion lief sie über 1000 m in 2:31,95 Minuten Weltrekord.

Trotz der Erfolge entschied sich Jürgen Bruns nach der Saison 1978, Schluß zu machen, nachdem er fast sechs Jahre als hauptamtlicher Trainer gearbeitet hatte.
„Ich bin in mich gegangen, habe ein Resümee gezogen über unser Sportsystem und über meine Position dabei. Und da sich besonders die Auseinandersetzungen mit den Sportfunktionären summierten, habe ich aufgehört", erzahlt Jürgen Bruns und gibt ein Beispiel für eine ganze Reihe von Schikanen, die er und seine Frau ertragen mußten: „Daß wir zusammen zu Wettkämpfen und Trainingslagern ins Ausland reisen durften, ging so gut wie nie. Wir standen zum Beispiel schon mit gepackten Koffern am Flughafen, und dann wurde mir plötzlich mit fadenscheinigen Begründungen die Reise verweigert. Statt dessen fuhren andere mit, die zum Teil gar keine Athleten am Start hatten."

Ganz still und leise wollte Jürgen Bruns allerdings nicht abtreten. Bevor er kündigte, was ihm dann einigen Ärger einbrachte, und wieder Lehrer wurde, bekamen er und seine Frau einen Termin bei DTSB-Präsident Manfred Ewald. „Doch wir merkten, daß wir den Bock nicht umstoßen konnten. Viele Dinge liefen zu dieser Zeit im Sport längst nicht mehr so, wie es einmal als Zielvorstellung gedacht war", erzahlen Jürgen und Ulrike Bruns.

Karriere unterbrochen, Mutter geworden

1979 unterbrach dann die Weltklasseläuferin ihre Karriere und wurde Mutter. Tochter Katharina ist inzwischen 14 und erzielt als Mittelstreckenläuferin bereits die ersten Erfolge. Im Jahr der Geburt gab es eine offizielle DTSB-Erklärung, in der es hieß, Ulrike Bruns hatte aus gesundheitlichen Gründen ihre Karriere beendet.
„Wir haben darüber gelacht und weiter trainiert", so Jürgen Bruns.

1980 ging sie dann zu Bernd Dießner, Trainer beim ASK Potsdam, und hatte in den Jahren danach noch etliche Internationale Erfolge. Darunter waren der 3000-m-Sieg beim Weltcup 1985 sowie dritte Plätze bei den Europameisterschaften 1986 in Stuttgart über 10 000 m und bei den Weltmeisterschaften 1987 in Rom über 3000 m. 1988 zwangen Ulrike Bruns dann gesundheitliche Probleme endgültig zur Aufgabe ihrer Karriere.
Während ihr Mann wieder als Trainer beim TSC Berlin arbeitete, übte Ulrike Bruns ihren gelernten Beruf der Medizinisch-Technischen Assistentin aus. Doch bereits im Jahr nach der Wende, als auch ihr Sohn Dominic geboren wurde, machte sich Familie Bruns selbständig.

Seitdem gibt es in Potsdam „Ulrikes Sportshop". „Wir wollten unabhängig sein und etwas Neues beginnen", erzahlt Jürgen Bruns, der nebenbei noch Trainer in Berlin wurde in Potsdam letztes Jahr den Volkslauf „Preußische Meile" ins Leben rief.
„Mit dem Geschäft bleiben wir auch dem Sport verbunden", sagt die heute 40jährige Ulrike Bruns, die selbst noch etwa zweimal in der Woche dazu kommt, aktiv Sport zu treiben. Einige Zeit nimmt natürlich auch die Pflege des hoffnungsvollen Nachwuchses in Anspruch.

Tomas York in RUNNERS WORLD 1994

Ulrike Bruns Bestzeiten:

400 m          53,83 (1977)

800 m         1:57,06 (1976)
1000 m     2:31,95 (1978)

1500 m       3:59,9   (1976)
Meile         4:21,59 (1985)

2000 m       5:37,62  (1985)
3000 m     8:36,38  (1984)

10.000m  31:19,76 (1986)

 

Zwischen Daumen und Zeigefinger – Robert Hartmann schreibt über die 400 m Hürden und die 110 m Hürden in Rom 1987 – Edwin Moses und Harald Schmid – Der läuferische Rückblick – Teil IV

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author: GRR

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