Mentale Aufbauarbeit könnte allerdings schon in diesen Tagen stattfinden. Am Wochenende sind ihr wieder zwei Wettbewerbe missraten, am Freitag in Leverkusen und am Sonntag in Wattenscheid.
Wann explodiert sie? Erst fulminanter Saisonstart, dann fünf Wettkämpfe verpatzt – Christina Obergföll sucht ihre WM-Technik – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel
Berlin – Das Weltmeisterschaftsfinale im Speerwerfen hat schon stattgefunden. Und es sind zwei unangenehme Dinge passiert. Zum einen hat eine Konkurrentin gleich Weltrekord geworfen und den ganzen Wettbewerb durcheinandergewirbelt. Zum anderen hat Christina Obergföll ihre ersten beiden Würfe vermurkst, bei 60 Metern irgendwas ist der Speer jeweils vom Himmel gefallen. Es drohte das vorzeitige Ausscheiden nach drei Würfen.
So ist das WM-Finale von Berlin kürzlich verlaufen, in einem Gespräch zwischen Christina Obergföll und Tanja Damaske. Im Bundesleistungszentrum Kienbaum haben sie sich zusammengesetzt, die Medaillenkandidatin Obergföll und die ehemalige Speerwerferin und Psychologin Damaske und sich vorgestellt, was alles passieren könnte am 18. August im Berliner Olympiastadion.
Und wie Obergföll auf einen unglücklichen Verlauf ihres Wettkampfs reagieren könnte, etwa beim Weltrekord einer Konkurrentin. „Im Tunnel drinbleiben, mich ganz auf mich konzentrieren“, das wäre dann ihre Strategie. Was sich die beiden ausgedacht haben, falls Obergföll kurz vor dem Ausscheiden stehen sollte, das möchte sie lieber nicht verraten.
Mentale Aufbauarbeit könnte allerdings schon in diesen Tagen stattfinden. Am Wochenende sind ihr wieder zwei Wettbewerbe missraten, am Freitag in Leverkusen und am Sonntag in Wattenscheid. „Das war der schlechteste Wettkampf dieser Saison“, urteilt sie über ihre 60,33 Meter vom Sonntag, und ihr Trainer Werner Daniels sagt: „Das waren keine Würfe, sondern Schubser.“ Fünf Auftritte hintereinander sind ihr inzwischen nicht gelungen.
Es ist nicht so, dass alle Welt die Goldmedaille von Christina Obergföll in Berlin erwarten würde. Dazu hat die 27-Jährige mit der Tschechin Barbora Spotakova und der Russin Maria Abakumowa zwei harte Gegnerinnen, die auch bei den Olympischen Spielen in Peking weiter als sie geworfen haben. Aber seit Peking besitzt Obergföll eine Sonderrolle, weil ihre Bronzemedaille die einzige Medaille war, mit der die deutschen Leichtathleten aus China zurückkamen. „Alles andere als eine Medaille wäre gelogen“, nennt sie daher als Ziel für Berlin.
Und gerade der Saisonbeginn hat ihr viel Zuversicht gegeben. Da setzte sie sich an die Spitze der Weltjahrebestenliste mit 68,59 Meter. Dort steht sie immer noch. Und fünf der acht weitesten Würfe dieses Jahres kamen aus ihrer Hand.
Das alles hilft ihr nun vielleicht über die Formschwäche hinweg. Auch ihr Trainer macht sich um Obergfölls Abschneiden in Berlin derzeit keine Sorgen, es gebe für alles eine Erklärung. „Sie kommt mit der Wurfschulter nicht nach vorne. Deshalb kann sie keine Spannung aufbauen“, sagt Werner Daniels. Die eigentliche Stärke von Obergfölls Technik, Spannungsaufbau im Arm und ein explosionsartiger Abwurf, verpuffe gerade. „Das ist nicht so gravierend“, sagt Daniels. Mit leichten Übungen wollten sie nun in aller Ruhe ihre technische Linie wiederfinden.
Über fehlende Konstanz wundert sich Obergföll ohnehin nicht, sie gehört bei ihr dazu. „In Portugal bei der Mannschafts-EM habe ich im ersten Versuch 55 Meter geworfen. Den habe ich dann ungültig gemacht. Im zweiten habe ich Weltjahresbestleistung geworfen.“ Ob es ein guter Wettkampf wird oder ein schlechter, das weiß sie erst mittendrin oder erst am Ende. „Ich habe mich beim Einlaufen schon mal gefühlt wie eine Oma und dann richtig weit geworfen und ich habe mich auch schon super gefühlt und dann nichts getroffen.“
Mit Steffi Nerius, die am Freitag in Leverkusen 66,82 erreichte, hat Obergföll auch in Deutschland eine harte Konkurrentin. Aber nicht zuletzt Obergfölls Erfolg in Peking hat sie zu einer Art Mannschaftssprecherin befördert. Obergföll will auch für andere sprechen, wenn sie vom Organisationskomitee der WM mehr Werbung für das Ereignis und die deutschen Sportler fordert: „Wir Athleten haben untereinander schon geredet und festgestellt: Es ist noch nicht viel passiert.“
Sie selbst hätte ebenfalls etwas mehr zur Schau gestellt werden wollen: „Dass ich als eines der Gesichter dieser WM inzwischen mehr Einsätze habe, das muss ich leider verneinen.“ Michael Mronz, der im Organisationskomitee für die Vermarktung zuständig ist, hat das auch schon als Fehler eingeräumt und Christina Obergföll dafür in einen Fernsehspot einbauen lassen, gemeinsam mit Usain Bolt, Ariane Friedrich und Robert Harting.
Zu Hause in Offenburg klebt an ihrem Kühlschrank ein Motto: „2009 wird mein Jahr.“ Bisher spreche nichts dagegen, sagt Obergföll, die inzwischen mit dem früheren Speerwerfer und jetzigen Bundestrainer Boris Henry liiert ist.
hr Jahr 2009 – selbst wenn es in Berlin nicht so gut laufen würde? „Dann war es das vielleicht privat schon.“
Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Mittwoch, dem 5. August 2009