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13
08
2009

Er ist ein Läufer mit Herz. Das bewies er zum ersten Mal bei den Deutschen Meisterschaften in Stuttgart 1985. Der Europameister Thomas Wessinghage sprang damals unterwegs von der Masse weg, und wer sollte ihm folgen? Es war nur einer, ein Unbekannter im Feld. Wie heißt er, wo kommt er her? Dieter Baumann heißt er, von der LG Alb/Donau.

Dieter Baumann – Wir müssen unser Selbstbewusstsein erkennen – Robert Hartmann schreibt über Dieter Baumann und 5000 m bei den XXV. Olympischen Sommerspielen in Barcelona 1992 – Der läuferische Rückblick – Teil IX und Schluß

By GRR 0

Weiß ist keine Farbe. Für gewöhnlich gehen davon keine Signale aus. Aber Dieter Baumann hebt sich schon in der dritten Runde von seinen Vorder- und Hintermännern ab, so ausgesucht braun and schwarz ist deren Haut. In dem frühen Defilee der 16 Langstreckenläufer schwimmt er im breiten richtungweisenden Strom der Afrikaner mit.

Sie kommen aus Kenia, Äthiopien, Marokko und Tansania. Was immer sie in diesem olympischen 5000-m-Finale von Barcelona anzustellen gedenken an Finten und Fluchten, der Schwabe will sie seine Atemzüge hören lassen und eine Antwort parat haben. »Leichte Siege über mich«, hat er gesagt, »kann es nicht geben.«

Er ist ein Läufer mit Herz. Das bewies er zum ersten Mal bei den Deutschen Meisterschaften in Stuttgart 1985. Der Europameister Thomas Wessinghage sprang damals unterwegs von der Masse weg, und wer sollte ihm folgen? Es war nur einer, ein Unbekannter im Feld. Wie heißt er, wo kommt er her? Dieter Baumann heißt er, von der LG Alb/Donau. Zwanzig Jahre alt. Ist das nun Mut oder Übermut? Der zweite Platz beantwortet die Frage nach 13:49,50 Minuten.

In der westdeutschen Jahresbestenliste war er dann Zehnter. Im darauffolgenden Jahr drehte er den Spieß um, und in Seoul 1988 wurde er – es ist der zweite, jetzt der internationale Beweis für sein etwas größeres Herz – hinter dem früh ausgerissenen John Ngugi aus Kenia schon Olympiazweiter: mit persönlicher Bestzeit von 13:15,52 Minuten. Sein elendiglich langer 700-m-Spurt machte ihn daheim populär. Und sein ekstatisches Wälzen und das mechanische Schlagen der Hände auf dem roten Kunststoff sofort hinter dem Ziel.

Einer vom blaß gewordenen Europa gegen acht vom Kontinent der hungrigen Talente! Dieter Baumann ist im Sommer des Jahres 1992 der einzige Deutsche, der über 5000 m noch eine Zeit unter 13:30 Minuten erzielen kann, sogar problemlos.

Aber ihm stehen allein 18 Kenianer entgegen. Auf der Pressetribüne sitzt der englische Journalist Chris Brasher, der Olympiasieger von Melbourne 1956 im Lauf über 3000 m Hindernis, und legt ein Bekenntnis ab. »Thanks God«, sagt er, »that the Kenyans were not yet around.« Ihre erdrückende Übermacht hat sich aus den ostafrikanischen Obstgarten-Savannen und schroffen Gebirgen besitzergreifend über die Erste Welt ergossen, in der sie die ausgelobten Start- und Preisgelder abschöpft, um sich und ihren Familienclans das Überleben inmitten der Bevölkerungsexplosion zu sichern.

High risk – der geladene Moment

Die Höhenlage, in 2000 und mehr Metern, verleiht ihnen zusätzliche Flügel. Dieter Baumann hat versucht, ihren natürlichen Vorteil auszugleichen, indem er einmal sechs Wochen in Flagstaff und einmal drei Wochen in St. Moritz sein Quartier aufschlug. »Ich kriege mehr Luft und stehe ein Turnier besser durch.« Das sind die Wohltaten des Höhentrainings. Vor zehn Tagen ist er heruntergekommen auf die Meereshöhe. Man kann sagen aufgepumpt wie ein Maikäfer.

Die erhöhte Zahl der roten Blutkörperchen leistet eine prächtige Mehrarbeit. Sie transportieren den Sauerstoff überall hin, wo er gebraucht wird. Im Olympiastadion auf dem Montjuic herrscht an diesem 8. August, einem Samstagabend, zwischen 20 Uhr 40 und 20 Uhr 53 die Dringlichkeitsstufe eins. Denn die Luftfeuchtigkeit ist mit 82 Prozent sehr hoch, und die Temperatur beträgt 26 Grad. Bei solch einem schwülen Klima rennt kein Mensch freiwillig zwölfeinhalbmal ums Oval, ob er nun aus dem gemäßigten Mitteleuropa oder vom trockenen ostafrikanischen Hochland kommt.

Schnell überschwemmt der Schweiß die schmalen Figuren. »Der Wettkampf«, hat Dieter Baumann gesagt, »das ist der geladene Moment. Da ist was los. Das ist das Salz. Da kann man sich beweisen. High risk.« Darüber kann er sich jetzt nicht beschweren. Yobes Ondieki ist der Weltmeister, für den sich sein junger kenianischer Landsmann Dominic Kirui opfert. Das ist erwartet worden. Sie sind Strategen, die ihre Krieger für die Häuptlinge opfern. Aber der junge Krieger kann nur bis 1950 m vorauslaufen, er tut es in 64er Runden. Die eine schnellere, die zweite in 61,19 Sekunden, fuhr auch seinem Ältesten in die Glieder – eine gelinde Überraschung.

Das ist von dem Augenblick an klar, in dem er sich selbst an die erste Position schiebt. Er kann sich nämlich zu keinem verrückten Zwischenspurt aufraffen, der ihn vor seinen Verfolgern in Sicherheit brächte. Yobes Ondieki gräbt tief und fördert statt Gold wie vor zwölf Monaten in Tokio nur seine Selbstzweifel zutage. Nach 2:36,35 Minuten über 1000 m erreicht er mit nur noch einem Quintett im Nacken, so weit hat er es immer noch gebracht, die 2000 m in 5:16,48, die 3000 m in 7:55,03 und die 4000 m in 10:38,35. Just in dieser Sekunde wird er von dem Äthiopier Worku Bikila überholt, der dem Junioren-Weltmeister Fita Bayisa zu Diensten ist.

Noch zwei Runden, und ein neues Gesicht: Paul Bitok, Kenia, 22 Jahre alt. Aus der Armee in die Weltspitze entlassen, unbesiegt, hinten raus kann er noch sprinten. Bestzeit 13:08,58 am 4. Juli in Oslo. Er übernimmt die Führung. Die Kenianer sagen, dort ruhen sie sich aus. Dieter Baumann paßt auf. Bei einem Afrikaner weiß man nie. Bei 4300 m fällt Worku Bikila aus der Gruppe heraus. Fünfzig Meter weiter mauert Yobes Ondieki den Schwaben ein. Es ist die Chronik der fortlaufenden Ereignisse, die sich bald überschlagen werden.

Noch eine Runde. Bitok atmet entspannt. Fünf Mann belauern sich. Dieter Baumann ist im Schwitzkasten der Afrikaner, innen. Noch ist es auszuhalten. Wie und wann kann er sich aus ihm befreien? Ewig wird er die Antwort nicht hinauszögern können. Die Startkurve, die Gegengerade, die Zielkurve, eingangs, auf dem Scheitelpunkt, ausgangs. Paul Bitok flieht in die letzte Gerade hinein, wo fünf Meter hinter ihm der eingekesselte Deutsche nicht nur abzuwarten hat, daß Yobes Ondieki zurückfällt, sondern auch noch der Marokkaner Brahim Boutayeb an ihm vorbeizieht. Er hatte stets schräg hinter ihm gelegen.

Aus, mein treuer Vater! Vor ihm versperren drei Mann Dieter Baumann den Weg. Trotzdem rennt er jetzt unbeirrt auf der weißen Linie weiter, dem Trennstrich zwischen der ersten und der zweiten Bahn. Es passiert dann achtzig Meter vor dem Ziel, daß Fita Bayisa, der die ganze Zeit neben Paul Bitok gelegen hat und jetzt Zentimeter um Zentimeter gegen ihn verliert, nach rechts abdriftet. Seine Konzentration geht in die Brüche, und plötzlich öffnet sich ein weites Tor zwischen den zwei jungen und noch unerfahrenen Ostafrikanern, das Dieter Baumann den Blick zum Gold freigibt.

Nur darauf hat er gewartet, »ich habe gebetet, daß sich eine Lücke auftut«, und in der gleichen Sekunde bläst er die Backen auf und packt seine blank geputzten Instrumente aus; und jede Wette, ich gewinne das Ding, und ab geht es durch die Mitte, zuerst auch noch vorbei an Brahim Boutayeb rechtsaußen, dem 10000-m-Olympiasieger von Seoul, und danach vorbei an dem Äthiopier.

Die letzten Meter bis zum Gold

Wer geglaubt hat, daß Dieter Baumann nur seine Beine braucht, der sieht ihn, wie er sich in seiner fliegenden Hast mit den Armen an unsichtbaren Tauen entlangzieht, und zwanzig Meter vor dem Ziel hat er den Kenianer erreicht, der tief erschrocken zu ihm hinüberschaut. Noch acht Schritte, und er weiß schon, daß er Olympiasieger ist. Einen Augenblick später spannt sich das Gesicht noch einmal an, nur sehr kurz, als wolle es all die Plagereien dieses Laufes und der vergangenen Jahre in einer sekundenlangen Erstarrung für ewig auf eine Platte bannen.

Kurz vor dem Ziel reißt er die rechte Faust hoch, trudelt noch ein paar Meter aus, schlägt einen Purzelbaum und kommt endlich auf dem Rücken zum Liegen. Die Gedanken schießen durch Zeit und Raum vier Jahre zurück, nach Seoul, wo er im Olympiastadion schon einmal auf dem Boden lag, um in glückseliger Erschöpfung in einem Silbersee zu baden. In dieser Sekunde scheint sich nur eine logische Entwicklung vollendet zu haben:

Aus dem Zweiten ist der Beste geworden. Die letzten hundert Meter legte Dieter Baumann in 11,3 Sekunden zurück, bei einer Endzeit von 13:12,52 Minuten, 19 Hundertstel vor dem Zweiten. Bald erzählte er von den 1500 m, von denen er herkommt. Daß dort fünf Kandidaten gleichzeitig auf die Zielgerade einbögen, sei normal. Auch, daß sie irgendwann auseinanderstreben würden. Er durfte nur nicht die Nerven verlieren und mußte stur seine Linie halten. »Ich habe ein Rennen gewonnen«, sagte er bei der ersten Gelegenheit, »ich weiß nur noch nicht welches. Wenn ich zwei-, dreimal darüber geschlafen habe, werde ich merken, daß es die Olympiade war.«

Er schlief und wachte auf und fügte an, daß sein Sieg keine Überraschung war. »Man guckt sich seine Gegner an und sagt sich: Ondieki ist nicht so spurtstark, Bitok ist unerfahren, Bayisa ist schon müde. Bleibt Boutayeb. Und der, den ich am meisten gefürchtet habe, wird Vierter.« Er atmete durch und holte noch einmal Schwung für die Feststellung: »In so einem Rennen Vierter!«

Das Glück, talentiert zu sein

Dieter Baumann hatte schon den ganzen Sommer hervorragend hingekriegt. Am 6. Juni hatte er in Sevilla, wo er mit 13:09,03 Minuten einen deutschen Rekord aufstellte, den fast vollständig anwesenden Gotha des Langstreckenlaufs besiegt, und am 2. Juli bestätigte er sich in Stockholm mit einem Sieg in 13:16,47. Die Jahre 1989 und 1990 waren die Zeit seiner stillgelegten Energien gewesen. Er hatte sie überwunden. Einmal trainierte er vier Monate lang nur in Wasserbecken. Anderthalb Stunden Longjog in einer Pfütze von fünf Meter im Quadrat. »Man kommt nur ganz langsam voran. Wie ein Hund.« Er setzte sich auf sein Rennrad und kurbelte vier Stunden durchs Gelände.

Das Knie schmerzte nicht mehr, die Achillessehnen schwollen nicht mehr an, und die schwachen Fußgelenke hielten. Seit dem Februar 1991 war er gesund, und er lief wieder, zuerst drei Minuten am Stück. War er überhaupt jemals ernstlich krank, wenn er in den Wartezimmern der Ärzte grübelte? Das fragte er sich. Denn »da sitzen Leute mit Krankheiten, die sind unvorstellbar. Jetzt kommst du mit deiner banalen Geschichte. Die Achillessehne gereizt. Na, toll!«

Vor seiner Zeit war das Staunen groß, wenn ein Afrikaner ein Rennen gewann. Da hieß es ratlos und respektvoll, Olympiasieger könnten überall geboren werden, sogar im Busch in einer Lehmhütte mit einem Strohdach drauf. Längst hatten sich die Verhältnisse umgekehrt, und schon Dieter Baumann untermalte seine Ansprüche mit dem fröhlichen Hinweis, er sei ein »weißer Kenianer«. Darüber hinaus teilte er mit, »ich habe gut reden. Ich habe das Glück, talentiert zu sein«. Oder: »Ich habe mich gegenüber den afrikanischen Läufern nie in einer Defensive gefühlt. Ich sah sie als normale Gegner.« Wirklich, ihre schwarze Haut ist nur äußerlich. Es brauchten gerade mal ein paar unbedeutende Chromosomen verändert zu werden, um schon würden sie weiß oder braun, rot und gelb. Oder weiß würde schwarz.

»Das Laufen ist schon mehr als ein Beruf oder eine Berufung. Es ist das Leben…« … das frühe Leben Dieter Baumanns.  Für den das Wort des spanischen Philosophen und Sportsfreundes Ortega y Gasset gilt: »…aber ich glaube, der junge Dichter, wenn er dichtet, nimmt sich einfach vor, ein Dichter zu sein.« Nur eines ist wichtig, daß er immer bei sich selber ist. Der Dichter. Oder der Läufer. Die Poesie lehrt jedoch auch die Instabilität der Verhältnisse.

Der Olympiasieger erlernte den Beruf des Fotolaboranten. Aber nach seiner Bundeswehrzeit wurde er Läufer. Sein englischer Kollege Tim Hutchins stellte fest, daß »die Langstreckenläufer jetzt in einer Welt leben, in der die Verfolgung von Träumen ein Luxus geworden ist«. Er wollte damit ausdrücken, daß eine sogenannte Tunnel-Vision, das leidenschaftliche und geordnete Ansteuern eines großen Ziels, von den Sorgen des Alltags verdrängt wird.

Dieter Baumann leistete sich den Luxus und das Risiko. Er lief nur solche Rennen, die ihn zu den Olympischen Spielen hinführten. Auf die anderen verzichtete er und ließ dabei eine sechsstellige Dollarsumme auf den Kunststoffbahnen liegen. Hier gewann er gegenüber den Afrikanern den entscheidenden Vorteil. »Wieso müssen sie jede Woche rennen, frage ich mich.« Weil jede Prämie daheim wie ein Lottogewinn ankommt. »Wer mich verstehen  will, soll Blaubeuren kennenlernen.« Es ist ein Kleinod in der Rauhen Alb. Neben dem Benediktinerkloster befindet sich der Blautopf, das ist ein kleiner schattiger See, die Quelle des Flüßchens Blau.

Die Natur muß in einer glänzenden Laune gewesen sein, als ihr dieses Schauspiel des breit unter einem Bergfelsen austretenden Wassers einfiel, und der beeindruckte Mensch pries es, indem er im 15. Jahrhundert sein Gotteslob in Stein faßte. Dadurch entstand dauerhaft ein kultureller Ort. Hier, im Klosterkirchensaal, feierte der Olympiasieger unter dem 14 Meter hohen hellen Gewölbe mit einem Rippennetz, garniert mit gemalten Ästen, am 3. Oktober die Hochzeit mit Isabelle Hozang, einer früheren österreichischen Staatsmeisterin. Sie hatten sich 1987 kennengelernt, und bald war sie seine Freundin und Trainerin.

Lust am Laufen

In dieser Umgebung liegt der Gedanke nahe, daß eine Vollendung schon in der Zelle liegen kann. Sie symbolisiert die Einfachheit in der Stille und auch den Kern des Lebens, die Intimität zweier Personen. In ihrer Ruhe liegt dann ihre Kraft. »Ich stehe manchmal an der Startlinie und denke wenige Sekunden vor dem Startschuß: Heute laufe ich nur für Isabelle. Das ist ein tolles Gefühl.«

Im folgenden soll eine Passage aus einer Buchbesprechung, aufgestöbert im gleichen Monat, zitiert werden. An einer Stelle heißt es da: »Wir müssen unser >Selbst-Bewußtsein< erkennen. Wissenschaft ist nur ein Aspekt der Kultur. Letztlich sind wir an der zerstörerischen Dominanz wissenschaftlichen Selbstverständnisses selbst schuld, wenn wir uns nicht-wissenschaftliche Erfahrung wegerklären lassen.«

Es gibt auch eine Wissenschaft vom Lauf. Sie ist weiß und in den Industrieländern der Ersten Welt entstanden. Die Läufer, die ihr in die Hände fallen, dirigiert sie durchaus mit unendlicher Fürsorge über ihre ausgeheckten Planquadrate hinweg. Die erwünschten Erfolge bleiben jedoch aus. Tatsächlich ist die Entwicklung sogar stark »rückläufig«. Das kommt daher, weil der Mensch unendlich mehr als die Summe seiner Chemie ist. »Die Wissenschaft denkt nicht«, spottete Martin Heidegger, der Philosoph.

»Ich habe das schönste Leben. Konzentriert bleiben. Ich arbeite geradlinig, und es klappt.« Seine Lust am Laufen feiert der Schwabe mit wohlorganisierter Spontaneität. Ausdauersport hat zuerst mit Gefühl zu tun. Das ließ er sich nie ausreden. So blieb er sein eigener Herr. Im Spätherbst nach den Festtagen hielt Isabelle Baumann ein Referat über ihrer beider Anlauf auf Barcelona, vor den deutschen Trainerkollegen, vielleicht würden ihre Bemerkungen hier und da womöglich auf fruchtbaren Boden fallen. Als sie ein paar Stunden später wieder auf gute Bekannte traf, ließ sie ihre Taschen fallen und sank erschöpft in einen Sessel. »Sie sagten, ich sei zu unwissenschaftlich gewesen.«

Dann war ja alles in bester Ordnung.

Robert Hartmann

5000m (8.08.1992): 1. Dieter Baumann (D) 13:12,52 – 2. Paul Bitok (KEN) 13:12,71 – 3. Fita Bayisa (ETH) 13:13,03 – 4. Brahim Boutayeb (MAR) 13:13,27 – 5. Yobes Ondieki (KEN) 13:17,50 – 6. Worku Bibila (ETH) 13:23,52 – 7. Rob Denmark (GBR) 13:27,76 – 8. Abel Anton (ESP) 13:27,80 – Dieter Baumann 1. Vorlauf: 13:20,82

Dieter Baumann

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

 

Medaillenspiegel

Langstreckenläufer
BR Deutschland BRD, Deutschland Deutschland
Olympische Spiele
Silber 1988 Seoul 5000 Meter
Gold 1992 Barcelona 5000 Meter
Europameisterschaften
Gold 1994 Helsinki 5000 Meter
Silber 1998 Budapest 10.000 Meter
Silber 2002 München 10.000 Meter

Dieter Baumann (* 9. Februar 1965 in Blaubeuren) ist ein ehemaliger deutscher Leichtathlet und Olympiasieger. Er ist einer der erfolgreichsten Langstreckenläufer der deutschen Sportgeschichte. Allein auf nationaler Ebene konnte er 40 Meistertitel auf Strecken von 1500 Meter bis 10.000 Meter und im Crosslauf gewinnen.[1] Seine Bestleistung über 5000 Meter vom 13. August 1997 in Zürich (damals Europarekord) ist nach wie vor die schnellste Zeit eines Läufers nichtafrikanischer Abstammung über diese Strecke.[2]

Inhaltsverzeichnis

 

Werdegang  

Dieter Baumann startete zunächst für den Sportverein LG Alb Donau, später für den VfL Waiblingen und Bayer 04 Leverkusen. Seit 2001 startet er für die LAV asics Tübingen, deren erster Vorsitzender er im März 2004 wurde. Bei einer Größe von 1,77 m hatte er ein Wettkampfgewicht von 62 kg.

Im 5000-Meter-Lauf, seiner Spezialstrecke[3], errang er zwei olympische Medaillen: Bei den Spielen 1988 in Seoul lief er zu Silber, bei den Spielen 1992 in Barcelona erkämpfte er in einem Spurtfinale, bei dem er die letzten 100 m in 11,9 s zurücklegte, dann die Goldmedaille. Im Jahr seines Olympiasieges wurde er auch zum Sportler des Jahres gewählt. Es folgten ein Sieg bei der Europameisterschaft 1994 über 5000 m, ein zweiter Platz bei der Europameisterschaft 1998 über 10.000 m und der Sieg beim Weltcup 1998 über 3000 m.

Dopingaffäre 

Bei einer Dopingkontrolle am 19. Oktober 1999 sowie bei einer Kontrollprobe am 12. November wurde Baumann positiv auf den Wirkstoff Nandrolon getestet. Bei der Verhandlung vor dem Deutschen Leichtathletik-Verband wurde er aufgrund der Funde von Norandrostendion in seiner Zahnpasta (daher wird dieser Fall oft als Zahnpastaaffäre bezeichnet) und eingereichten Haarproben ohne Befund am 13. Juli 2000 vom Vorwurf des Dopings freigesprochen. Die IAAF erkannte diesen Freispruch des nationalen Verbandes jedoch nicht an, sperrte ihn am 18. September 2000 bis zum 21. Januar 2002 und erkannte ihm rückwirkend den nationalen Titel über 5000 m ab. Baumann bestreitet bis heute die wissentliche Einnahme der Mittel.

2004 verarbeitete der Regisseur Diethard Klante die Geschehnisse um den Doping-Skandal in einem Fernsehfilm: „Ich will laufen! Der Fall Dieter Baumann“ (Erstausstrahlung: 4. August 2004, ARD).

Der Molekularbiologe und Dopingkritiker Werner Franke erklärte 2006 in einem Interview gegenüber dem Magazin Der Spiegel, dass er die Funde für einen Anschlag und Baumann damit für unschuldig halte: „Baumann hat sich sehr für den Kampf gegen Doping engagiert. Seine Zahnpastatuben waren verseucht, erwiesenermaßen eine alte Stasi-Methode. Baumann hat zu viele Leute an sich rangelassen.“[4]

Ende der Karriere 

Nach Ablauf der Sperre nahm er wieder an Wettkämpfen teil und belegte bei der Leichtathletik-Europameisterschaft 2002 erneut den zweiten Platz über 10.000 m. Der Umstieg auf die Marathonstrecke misslang ihm jedoch, als er 2002 beim Hamburg-Marathon nach 30 km einbrach und das Rennen aufgab. 2003 gewann er seinen dritten nationalen Titel über 10.000 m und seinen elften über 5000 m. Da es jedoch mit zunehmendem Alter immer schwieriger für ihn wurde, die gewohnte Leistung zu erbringen, beendete er am 8. September 2003 nach 22 Jahren seine Leistungssportkarriere.

Bestzeiten 

Distanz Zeit Jahr Ort Bemerkungen
1500 m 3:33,51 min 1997 Stuttgart  
3000 m 7:30,50 min 1998 Monaco aktueller deutscher Rekord
5000 m 12:54,70 min 1997 Zürich aktueller deutscher Rekord
10.000 m 27:21,53 min 1998 Baracaldo aktueller deutscher Rekord
Marathon 2:30:00 h 2007 Frankfurt am Main (nach Ende seiner Leistungssportkarriere)

Sonstiges  

Dieter Baumann hat mehrere Bücher veröffentlicht:

  • Ich laufe keinem hinterher. Kiepenheuer und Witsch, Köln 1995, ISBN 3-462-02455-8 (Autobiografie)
  • Lebenslauf. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart/München 2002, ISBN 3-421-05628-5 (autobiografische Schilderung der Doping-Affäre); Droemer Knaur, München 2003, ISBN 3-426-77668-5 (aktualisierte und um zwei neue Kapitel erweiterte Taschenbuchausgabe)
  • Laufen Sie mit. Das Trainingsbuch. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2004, ISBN 3-421-05694-3 (Lauf-Ratgeber)
  • Laufende Gedanken Klöpfer & Meyer, 2009, ISBN 978-3-940086-35-8

Seit 1995 ist er journalistisch tätig als Kolumnist für die taz und das Fachblatt Runner’s World. Im Rahmen des Freiburg Marathons 2009 präsentierte er erstmals sein Kleinkunstprogramm "Körner – Currywurst – Kenia. Ein locker leichter Abend über Laufen, Leben, Last und Lust".[5]

Dieter Baumann wurde stets von seiner Ehefrau Isabelle (geborene Hozang) trainiert. Das Paar hat eine Tochter und einen Sohn.

Seit Mitte der 1990er Jahre ist Baumann Werbepartner von Asics, zu seinem Olympiasieg sprintete er jedoch in Schuhen von Puma.

Baumann nimmt auch nach seinem Abschied vom Hochleistungssport an Laufveranstaltungen teil. Seine Halbmarathon-Zeit vom Stuttgart-Lauf 2006 (1:09:09) findet sich in der Bestenliste des DLV wieder.[6] Am 28. Oktober 2007 beendete er in Frankfurt zum ersten Mal einen Marathon. Mit der Zeit von 2:30:00 Stunden wurde er viertschnellster Deutscher. Sponsoren hatten für jede Minute unter drei Stunden 1.000 Euro ausgelobt. Durch weitere Spendenaktionen kam ein Gesamtbetrag von 40.000 Euro zusammen, der für die Sanierung des Tübinger Stadions und die Läufer-Nachwuchsförderung in Hessen und Württemberg verwendet wird.[7] [8]

Die Sporthalle seiner Geburtsstadt Blaubeuren ist nach Baumann benannt.

Quelle: IAAF:

Baumann Dieter GER

Sex Weight Height Date of Birth Place of birth
M 73.00 1.82 09/02/1965 Blaustein
Information
National Cross Country Championships: 2002 (1st, Long Race) National Championships: 2003 (1st, 5000m & 10,000m)
Personal Best – Outdoor
Performance Wind Place Date
1000 Metres 2:22.4   Unknown 01/01/1986
1500 Metres 3:34.48   Köln 18/08/1995
One Mile 3:51.12   Berlin 21/08/1992
2000 Metres 4:59.88   Unknown 01/01/1987
3000 Metres 7:30.50   Monaco 08/08/1998
5000 Metres 12:54.70   Zürich 13/08/1997
10,000 Metres 27:21.53   Barakaldo 05/04/1997
Marathon 2:30:00   Frankfurt 28/10/2007
Personal Best – Indoor
Performance Wind Place Date
1500 Metres 3:36.97   Stuttgart 12/02/1989
3000 Metres 7:37.51   Karlsruhe 12/02/1995
Progression – Outdoor
Season Performance Wind Place Date
1000 Metres 1986 2:22.4   Unknown 01/01/1986
1500 Metres 1999 3:37.22   Leverkusen 05/09/1999
  1995 3:34.48   Köln 18/08/1995
  1994 3:38.91   Hengelo 04/06/1994
  1987 3:38.31   Roma 03/09/1987
One Mile 1992 3:51.12   Berlin 21/08/1992
2000 Metres 1987 4:59.88   Unknown 01/01/1987
3000 Metres 2003 7:43.93   Berlin 10/08/2003
  2002 7:40.97   San Sebastián 20/08/2002
  1999 7:37.73   Köln 08/08/1999
  1998 7:30.50   Monaco 08/08/1998
  1997 7:31.81   Oslo 04/07/1997
  1995 7:33.56   Oslo 21/07/1995
  1994 7:34.69   Köln 21/08/1994
5000 Metres 2003 13:15.07   Zürich 15/08/2003
  2002 13:07.40   Zürich 16/08/2002
  1999 13:02.63   Berlin 07/09/1999
  1998 13:04.10   Roma 14/07/1998
  1997 12:54.70   Zürich 13/08/1997
  1995 13:01.72   Zürich 16/08/1995
  1994 13:12.47   Berlin 30/08/1994
  1992 13:09.03   Unknown 06/06/1992
  1991 13:28.67   Tokyo 01/09/1991
10,000 Metres 2003 28:28.47   München 17/05/2003
  2002 27:38.51   Camaiore 06/04/2002
  1998 27:32.31   Lisboa 04/04/1998
  1997 27:21.53   Barakaldo 05/04/1997
Marathon 2007 2:30:00   Frankfurt 28/10/2007
Progression – Indoor
Season Performance Wind Place Date
1500 Metres 1989 3:36.97   Stuttgart 12/02/1989
  1987 3:41.07   Indianapolis, IN 07/03/1987
3000 Metres 2002 7:40.68   Stuttgart 03/02/2002
  1989 7:50.22   Budapest (SC) 04/03/1989
Honours
Rank Performance Wind Place Date
1500 Metres
2nd IAAF World Championships in Athletics   12 sf 3:47.71   Roma 04/09/1987
1st IAAF World Indoor Championships   7 f 3:41.07   Indianapolis, IN 07/03/1987
3000 Metres
IAAF Grand Prix Final   7 f 7:42.04   München 11/09/1999
8th IAAF World Cup in Athetics   1 f 7:56.24   Johannesburg 13/09/1998
IAAF/Mobil Grand Prix Final   10 f 7:41.85   Monaco 09/09/1995
2nd IAAF World Indoor Championships   3 f 7:50.47   Budapest (SC) 05/03/1989
5000 Metres
8th IAAF World Cup in Athletics   3 f 13:58.40   Johannesburg 11/09/1998
6th IAAF World Championships In Athletics   5 f 13:17.64   Athína 10/08/1997
5th IAAF World Championships in Athletics   9 f 13:39.98   Göteborg 13/08/1995
3rd IAAF World Championships in Athletics   4 f 13:28.67   Tokyo 01/09/1991
10,000 Metres
18th European Championships in Athletics   2 f 27:47.87   München 07/08/2002
Long Race
20th IAAF World Cross Country Championships   52 f 38:29   Boston, MA 21/03/1992

 

Finden Sie hier weitere Beiträge über deutsche Läufer und Läuferinnen in  der GRR-Rubrik "HALL OF FAME":

"HALL OF FAME" – SPORTGESCHICHTE

 

Weitere Beiträge in der WM Serie  zum Thema: Der läuferische Rückblick – I – VIII

 

Der korrekte Machtwechsel – Robert Hartmann schreibt über Katrin Dörre und den Marathon bei den Weltmeisterschaften in Tokio 1991- Der läuferische Rückblick – Teil VIII

Der korrekte Machtwechsel – Robert Hartmann schreibt über Katrin Dörre und den Marathon bei den Weltmeisterschaften in Tokio 1991- Der läuferische Rückblick – Teil VIII

Jens-Peter, der letzte Herold – Robert Hartmann schreibt über Jens-Peter Herold und die 1500 m bei den Europameisterschaften in Split/Jugoslawien 1990 – Der läuferische Rückblick – Teil VII

Jens-Peter, der letzte Herold – Robert Hartmann schreibt über Jens-Peter Herold und die 1500 m  – Der läuferische Rückblick – Teil VII

Willi Wülbeck – "Williii" oder von der Lust am Laufen – Robert Hartmann schreibt über Willi Wülbeck und die 800 m in Helsinki 1983 – Der läuferische Rückblick – Teil VI

Willi Wülbeck – "Williii" oder von der Lust am Laufen – Der läuferische Rückblick – Teil VI

 

Ulrike Bruns – Vom Weltrekord über 1000 m zum Frauen-Lauftreff in Potsdam – Der läuferische Rückblick – Teil V

Ulrike Bruns – Vom Weltrekord über 1000 m zum Frauen-Lauftreff in Potsdam – Teil V

 

Zwischen Daumen und Zeigefinger – Robert Hartmann schreibt über die 400 m Hürden und die 110 m Hürden in Rom 1987 – Edwin Moses und Harald Schmid – Der läuferische Rückblick – Teil IV

Zwischen Daumen und Zeigefinger – Robert Hartmann schreibt über die 400 m Hürden und die 110 m Hürden in Rom 1987 – Teil IV

 

Karrieren, Glasnost, Kollektive – Robert Hartmann schreibt über die 800 m, 1500 m und 3000 m der Frauen in Rom 1987 – Wodars und Wachtel mit Gold und Silber über 800 m – Körner Zweite über 1500 m – Ulrike Bruns Dritte über 3000 m – Der läuferische Rückblick – Teil III

Karrieren, Glasnost, Kollektive – Robert Hartmann schreibt über die 800 m, 1500 m und 3000 m der Frauen in Rom 1987 Teil III

 

Die I. Weltmeisterschaften der Leichtathletik in Helsinki 1983 – Robert Hartmann schreibt über die 5.000 und 10.000 m  – Werner Schildhauer zweimal Zweiter – Thomas Wessinghage wird Sechster – Der läuferische Rückblick – Teil II

Die I. Weltmeisterschaften der Leichtathletik in Helsinki 1983 – Robert Hartmann schreibt über die 5.000 und 10.000 m  – Werner Schildhauer zweimal Zweiter – Thomas Wessinghage wird Sechster – Der läuferische Rückblick – Teil II

 

PATRIZ ILG – Am Anfang der Zukunft – Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung – PATRIZ  ILG 1983 erster Weltmeister im Hindernislauf – Ein läuferischer Rückblick – Teil I.

PATRIZ ILG – Am Anfang der Zukunft – Michael Gernandt – Ein läuferischer Rückblick – Teil I.

 

 

 

 

author: GRR

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