Warum entscheidet eine solche Frage die Abteilung Leistungssport? Was deren Ziel ist, wissen wir: Medaillen. Als Präsident müssen Sie doch Schaden vom Ansehen des Verbandes abwenden.
Im Gespräch: Clemens Prokop, DLV-Präsident – „Harting hat Grenzen überschritten“ – DLV-Präsident Prokop: “Unsägliche und unakzeptable Aussagen“ – Michael Horeni und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
19. August 2009 Diskuswerfer Robert Harting darf bei der WM trotz seines Angriffs gegen Doping-Opfer starten – er habe sich doch entschuldigt, meint Verbandschef Clemens Prokop. Der Verband werde sich nach der WM mit Hartings Verhalten beschäftigen.
Sie haben sich bei der WM erfolgreiche und sympathische Sportler gewünscht. Erfolgreich sind sie – aber Robert Harting darf Doping-Opfer und den Ruf der deutschen Leichtathletik ungestraft beschädigen. Warum?
Die Äußerungen von Robert Harting sind unsäglich und unakzeptabel. Aber dass er bei der WM trotzdem startet, beruht darauf, dass er sich entschuldigt hat. Wir werden uns nach der WM mit diesem Vorgang beschäftigen müssen.
In Paragraph 2 der Nominierungsrichtlinien steht, dass ein Athlet für Deutschland starten darf, wenn er nicht grob gegen den Geist des Fair play verstoßen hat und seine Eignung als Vorbild für die Jugend nicht in Frage gestellt ist. Hätte der DLV aufgrund seiner Regeln Robert Harting nicht suspendieren müssen?
Die Suspendierung ist in den Nominierungsrichtlinien nicht vorgesehen. Die Kaderzugehörigkeit und die Suspendierung sind zwei verschiedene Dinge. Mit den Nominierungsrichtlinien ist die Frage des Startrechts nicht zu lösen.
Aber der Geist, um den es geht, ist derselbe.
Es geht bei solchen Dingen nicht nur um den Geist, sondern auch um juristische Fragen. Deswegen hat die Abteilung Leistungssport auf Grund der Entschuldigung die Entscheidung getroffen, ihn starten zu lassen.
Warum entscheidet eine solche Frage die Abteilung Leistungssport? Was deren Ziel ist, wissen wir: Medaillen. Als Präsident müssen Sie doch Schaden vom Ansehen des Verbandes abwenden.
Ich muss noch einmal auf die Erklärung von Robert Harting verweisen . . .
. . . die der DLV für ihn formuliert hat . . .
Ich weiß nicht, wie die Erklärung zustande gekommen ist. Ich war nicht daran beteiligt. Ich habe sie nur zur Kenntnis bekommen.
In der Erklärung wird entschuldigend vom Wettkampfdruck gesprochen. Harting aber fällt ständig auf. Vor drei Wochen forderte er die Doping-Freigabe – und ruderte dann halbherzig zurück.
Das ist eine nicht akzeptable Aussage, die der Auffassung des DLV diametral entgegensteht. An der Deutlichkeit meiner Stellungnahme gibt es nichts zu rütteln.
Dann hat Harting in dieser Woche Ihnen und Generalsekretär Hensel vorgeworfen, untätig zu sein, nichts geleistet zu haben und Sie aufgefordert, von Ihren Ämtern zurückzutreten.
Es gibt in der Leichtathletik gewisse Rituale vor einer Weltmeisterschaft, um Aufmerksamkeit zu erregen. Eines davon ist die Kritik an der Verbandsführung. Das haben wir schon vor vielen sportlichen Großveranstaltungen erlebt. Ich nehme solche Äußerungen nicht ernst. Wenn Kritik auf diesem Niveau stattfindet, halte ich eine Auseinandersetzung darüber für überflüssig.
Und dann kommt der Angriff auf die Doping-Opfer. Das sieht nicht nach unbedachten Sprüchen aus, sondern nach Provokationen mit System.
Man muss unterscheiden: Diese Angriffe auf Doping-Opfer sind unakzeptabel. Ich sehe das gesamte Verhalten von Robert Harting als sehr problematisch an. Wir werden uns nach der WM mit seinem Verhalten beschäftigen.
Plädieren Sie dafür, dass er aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen wird?
Diese Frage werden wir in den zuständigen Gremien diskutieren, nicht in den Medien. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Wenn ich aber die Möglichkeiten aufzählte, würde ich damit nur zu Spekulationen einladen. Grundsätzlich gilt: Jeder Athlet hat das Recht zur eigenen Meinung. Jeder Athlet hat auch das Recht, den Verband zu kritisieren. Was ich aber erwarte: Die Grenzen der Meinungsfreiheit und die Grundwerte des Sports müssen stets beachtet werden.
Was heißt das in Bezug auf die Doping-Opfer?
Meiner Auffassung nach sind hier diese Grenzen überschritten worden.
Für wie groß halten Sie den Schaden für den Verband durch Hartings Äußerungen?
Vor allem die Äußerung über die Doping-Opfer ist schädlich. Das ist auch nicht förderlich für das Image dieser Weltmeisterschaft. Andererseits wundere ich mich, wie vorher inhaltsleere Beiträge von Robert Harting von den Medien aufgegriffen wurden. Wenn Harting sinngemäß sagt, der Präsident arbeitet seit fünf Jahren nichts, erkennt man die Blödsinnigkeit auf den ersten Blick. Wenn ihm jedoch eine Plattform gegeben wird, ist das auch eine Motivation, sie zu nutzen.
Der Verband hat in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium für fünf Bundestrainer eine wachsweiche Erklärung verfassen lassen, die als pauschale Entschuldigung bei Doping-Opfern durchgehen soll und deren Beschäftigung auch moralisch absichert. Haben Sie damit nicht den Widerspruch der Doping-Opfer herausgefordert, auf den Harting nun so reagiert – zumal sein Trainer Goldmann mehr als alle anderen betroffen ist?
Wir haben den Trainern keinen Persil-Schein ausgestellt. Die Frage der Vergangenheitsbewältigung ist juristisch nicht lösbar. Im deutschen Sport sind noch über dreißig Trainer aus der ehemaligen DDR beschäftigt. Das Thema wird in keinem Verband so offensiv behandelt wie im DLV. Wir haben als einziger Verband diese Problematik bis zum Arbeitsgericht betrieben, eben im Fall Goldmann. Es ist Unsinn, wenn Sie behaupten, wir hätten damit fast zwanzig Jahre Schweigen belohnt. Das verkennt die Problematik. Die Bundestrainer wurden nach der Wiedervereinigung angestellt. Sie befinden sich seit 19 Jahren in einem Arbeitsverhältnis. Es sind befristete Arbeitsverhältnisse, aber diese Befristung ist in der Regel unwirksam nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Faktisch sind die Trainer arbeitsrechtlich eher auf der sicheren Seite – unabhängig von der Erklärung. Die auch schon verbreitete These, dass Harting das Sprachrohr von Goldmann sein sollte, halte ich für ausgeschlossen. Harting lässt sich nach meinem Eindruck von Dritten nicht steuern.
Die Erklärung der Trainer bedeutet aber nichts für die Vergangenheitsbewältigung.
Wenn man von Vergangenheitsbewältigung der Trainer spricht, muss man wissen: Zivilrechtliche Ansprüche sind verjährt. Strafrechtliche Ansprüche sind verjährt. Und arbeitsrechtlich sind die Möglichkeiten der Verbände erschöpft. Sie haben sich nicht die Weiterbeschäftigung erkauft. Der Versuch der Trainer war, in der Vergangenheitsbewältigung eine neue Dynamik entstehen zu lassen.
Wie bitte?
In der Vergangenheit war die Situation dadurch gekennzeichnet, dass die Trainer geschwiegen haben. Zu fast hundert Prozent – und Doping-Opfer haben neben der Kritik eine Reihe von moralisch begründeten Ansprüchen erhoben, die aber nicht realisierbar waren. Wir befanden uns in einer Art Lähmung. Die Trainer wollten mit ihrer Erklärung einen Schritt nach vorn gehen. Über die Formulierungen kann man sicher streiten. Sie haben sich aber erstmals zu ihrer Verantwortung bekannt.
Aber die Trainer schweigen weiter.
Einzelne Trainer haben mir zugesagt, dass sie versuchen wollen, eine individuelle Kommunikation mit Opfern aufzunehmen. Als Verband haben wir uns auch bemüht, Kommunikation zwischen Trainern und Opfern herzustellen. Wir haben über den Opferhilfeverein zur WM eingeladen. Kurz vor der WM kam die Antwort, dass die Einladung nicht angenommen wird.
Sehen Sie im Fall Harting nicht eine Wagenburg-Mentalität, den Ausdruck einer viel weiter verbreiteten Haltung?
Nach meiner Wahrnehmung ist das ein absoluter Einzelfall. Aber ich hätte aus heutiger Sicht die Vergangenheitsbewältigung anders betrieben. Nach der Wiedervereinigung sind im deutschen Sport entscheidende Fehler gemacht worden. Darunter leiden wir noch heute.
Das Gespräch führten Michael Horeni und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , Dienstag, dem 19. August 2009