In Cottbus, beim Meeting, lief wenig vernünftig. Sie warf 73,76 Meter, die Aggressivität fehlte. „Es ist seltsam, dass sie das nicht hinbekommen hat“, brummte er. „Sie ist bestimmt nicht richtig zufrieden mit dem Wettkampf.“
Wettkampf des Tages – Das ist der Hammer – Hammerwerferin Betty Heidler tritt als Titelverteidigerin an. Doch die Rolle der Favoritin hatte sie vor der WM in Berlin verloren. In der Qualifikation dann wurde wieder alles anders. Frank Bachner im Tagesspiegel
Ein Autogramm? Aber bitte. Ach, und der junge Mann im roten T-Shirt will auch eins? Na klar, ist doch kein Problem. Betty Heidler schreibt, sie lächelt, sie geht lässig in die Katakomben des Olympiastadions. Die Momente, in denen sich Betty Heidler abkapselte, in denen sie die Zweifel in langen Gesprächen mit ihrem Trainer bekämpfte, die sind gefühlt ewig her. In Wirklichkeit sind es nur ein paar Wochen.
Aber jetzt ist sie ganz bei sich. Die Sonne brennt vom Himmel, es ist der heißeste Tag des Jahres. Aber Betty Heidler in ihrem Ring, die hatte am Donnerstag mächtig Spaß. 75,23 Meter weit hatte sie kurz zuvor den Hammer geschleudert. Die Qualifikation bewältigte sie so lässig wie einen Spaziergang über den Kudamm. 75,23 Meter, so weit hatte noch nie eine Frau bei Weltmeisterschaften geworfen. Ein Versuch genügte, dann hatte sie ihre Macht demonstriert.
„Das war heute mein Ziel“, sagt sie dann. „In der ersten Gruppe starten, als erste Athletin werfen und dann wieder gehen.“ Sie hakt das Programm ab wie eine Hausfrau ihren Einkaufszettel im Gemüseladen. So tritt eben eine Weltmeisterin auf. Eine Frau, die schon 76,55 Meter geworfen hat. Eine Athletin, die vor der WM mit 75,83 Metern Studenten-Weltmeisterin wurde.
Mit hängenden Schultern, die Lippen zusammengepresst, so tritt Betty Heidler manchmal auch auf. Zum Beispiel als sie mal bei einem wichtigen Wettkampf den Hammer viermal ins Netz schleuderte. Bei den deutschen Meisterschaften in Ulm gewann sie zwar mit 74,25 Metern, aber sie saß da und sagte: „Ich bin noch nicht so richtig zufrieden.“
Betty Heidler ist oft auf der Suche nach ihrer Ruhe. Der WM-Titel setzte sie enorm unter Druck. Er war ja auch eine Art Verpflichtung. Sie hatte lange gegen ihr Image gekämpft, zu nervenschwach für die großen Erfolge zu sein. Bei der WM 2005 hatte sie nicht mal die Qualifikation überstanden. Nun hatte sie zwar den WM-Titel, aber sie wollte auch allen beweisen, dass sie den nicht durch Zufall gewonnen hatte. Doch je verbissener sie diesen Beweis führen wollte, umso mehr verkrampfte sie. Bei den Olympischen Spielen 2008 landete die Weltmeisterin auf Rang neun. Die Zweifel waren wieder da.
Sie steckte jetzt wieder in einer anderen Rolle. Favoritinnen für die WM, das waren andere. Heidler galt höchstens als unberechenbare Außenseiterin. Michael Deyhle, ihrem Trainer, gefiel das. „Sie ist dadurch gelassener geworden“, sagt er.
Er hat sorgfältig darauf geachtet, dass sich das auch nicht ändert. Betty Heidler mag ja als nervenschwach gelten, aber sie ist immer noch Weltmeisterin. Also ist sie damit auch ein Medienobjekt. Alle Interviewanfragen landeten bei ihm. Die Athletin sollte ihre Ruhe haben. „Bei uns ist der Teufel los“, sagte er beim Meeting in Cottbus, eine Woche vor Beginn der WM. Er redete, sie schwieg.
Betty Heidler schwieg sehr konsequent. Er war ihre einzige Chance, nicht plötzlich doch noch in die Rolle der Medaillenkandidatin zu kommen. So sahen Deyhle und sie das. Wer weiß denn, wie sie vor der WM in der Öffentlichkeit verkauft wird. Sie hatte trotz des Gewinns der Studenten-Weltmeisterschaft vor der WM genug andere Probleme. Da war diese Geschichte mit den unterschiedlichen Leistungen. Im Training warf Heidler den Hammer so weit, dass Deyhle zufrieden war. Auch technisch lief alles ganz vernünftig.
In Cottbus, beim Meeting, lief wenig vernünftig. Sie warf 73,76 Meter, die Aggressivität fehlte. „Es ist seltsam, dass sie das nicht hinbekommen hat“, brummte er. „Sie ist bestimmt nicht richtig zufrieden mit dem Wettkampf.“
Bestimmt nicht. Doch Heidler verschanzte sich hinter einem verbalen Panzer. Sie wollte jetzt nicht über Schwächen reden. Das hätte ihre Verunsicherung nur verstärkt. „Ich habe hier gar nichts erwartet“, sagte sie nur.
Deyhle nahm Cottbus einigermaßen gelassen hin. „Wir sind noch zwei Wochen in Kienbaum, da kann man noch viel verbessern.“
Den Beweis hat Betty Heidler in Berlin geliefert.
Hammerwerfen der Frauen, 19.30 Uhr, live im ZDF.
Frank Bachner im Tagesspiegel, Sonnabend, dem 22. August 2009