Die Entscheidung mit dem Marathon (und auch dem Gehen) vom Stadion in die Stadt zu ziehen war sicher gut. Der gesamte Rahmen, die Stimmung an der Strecke und die Zuschauerresonanz ausgezeichnet.
WM Berlin 2009 – Anmerkungen zum WM-Marathon der Männer – Helmut Winter berichtet
Abel Kirui aus Kenia heißt der neue Weltmeister im Marathon. In für die äußeren Bedingungen sehr guten 2:06:54 siegte er am Ende recht deutlich vor seinem Landsmann Emmanuel Mutai in 2:07:48 und dem Äthiopier Tsegay Kebede in 2:08:35. Dabei kam sein Sieg nicht ganz überraschend, denn mit 2:05:04 vom Rotterdam Marathon im April hatte er von allen Startern die beste Vorleistung aufzuweisen.
Sein außergewöhnliches Talent zeigte sich bereits vor einigen Jahren beim Paderborner Osterlauf, wo der vom Manager Volker Wagner betreute Nachwuchsmann im Halbmarathon beeindruckende Leistungen zeigte. Diese
Auftritte brachten ihm vor drei Jahren einen Job als Pacemaker beim Berlin Marathon ein, den er für eine zweite Gruppe zunächst gut erfüllte, sich dann aber auf eigene Rechnung an die Verfolgung des da noch auf Weltrekordkurs liegenden Haile Gebrselassie machte und bis auf unter einer Minute dem Äthiopier nahe kam.
Während Haile damals den Weltrekord um 61 Sekunden verfehlte, zeigte die ungestüme Jagd Kiruis Wirkung und er brach jenseits der 35 km völlig ein. Und statt eines ansehnlichen Preisgeld für den zweiten Platz torkelte er vom BrandenburgerTor in Richtung Ziel, das er in einer Zeit von 2:17:47 auf Platz 9 erreichte.
Im Jahr danach demonstrierte er dann an gleicher Stelle sein wirkliches Potential und lief hinter Haile mit 2:06:51 eine hervorragende Zeit. Im letzten Jahr der Sieg und der Streckenrekord in 2:07:38 in Wien, Abel war in der Weltspitze angekommen. Er wechselte zum Manager Joes Hermens, der ihn als Pacemaker beim letzten Berlin Marathon einsetzte, wo er maßgeblichen Anteil am neuen Weltrekord (2:03:59) von Haile hatte, den er bis über die 30 km Marke hinaus schleppte.
Zwischendurch gab es einige Rückschläge für den manchmal etwas ungestümen Kenianer, aber im April 2009 nutze er einmalige Bedingungen, um sich in Rotterdam mit 2:05:04 auf Platz 6 der ewigen Bestenliste im Marathon zu laufen.
Dem Vorzug eines Meisterschafts-Marathons zur Mittagszeit gegenüber einem lukrativen Stadtmarathon im Herbst brachte ihm mit dem Weltmeistertitel einen vorläufigen Höhenpunkt seiner noch jungen Karriere. Dabei steht außer Zweifel, dass er über das Potential für noch schnellere Zeiten über die Marathondistanz verfügt.
Der Weltmeister 2009 im Marathon: Abel Kirui (KEN) in 2:06:54
Den Titel errang Abel Kirui auf einem reinen Stadtkurs – ein Novum in der WM-Geschichte – mit Start und Ziel am Brandenburger Tor. Diesen Vorschlag machte der langjährige Race Director Horst Milde der IAAF 2004 und John Kunkeler "schneiderte" die WM-Strecke – mit vielen Änderungen- zurcht. Unter der Regie des Teams vom Berlin-Marathons war der Lauf in besten Händen, der Kurs allerdings abweichend vom Lauf im Herbst als Rundstrecke ausgelegt, der viermal zusammen – mit einem wirklich überflüssigen – Appendix in der Schlussrunde zu durchlaufen war.
Die Startzeit in den Mittagsstunden wurde im Vorfeld heftig diskutiert, gute Gründe dafür waren kaum zu finden, auch das Argument der TV-Quoten Japan dürfte nur bedingt taugen, die etablierten Marathons in Japan finden dort zur Mittagszeit allerdings im Winter (!) statt.
Und diese TV-Übertragungen haben traumhafte Einschaltquoten (wie übrigens auch die Übertragungen in Japan vom Berlin-Marathon, der schon seit Jahrzehnten um 9 Uhr beginnt). Während man im Sommer seitens des DLV Marathonläufe zur Mittagszeit untersagt, schickt man hier Athleten zu Höchstleistungen leichtfertig auf die Strecke.
Optimal waren die Bedingungen am 22. August in Berlin in keinem Fall. 23°C (im Schatten) sind
sicherlich keine guten Bedingungen für einen Marathon, zumal ein wesentlicher Teil der Strecke intensiver Sonnenstrahlung ausgesetzt war. Die Verantwortlichen hatten dabei noch insofern großes Glück als zwei Tage vor diesem Wettbewerb Temperaturen in der Innenstadt von über 30°C herrschten.
Diesbezüglich kann man nur feststellen, dass die IAAF kaum Lehren aus den unverantwortlichen Abläufen in der „Waschküche“ Osakas vor zwei Jahren gezogen haben. Viele Marathonläufer der Weltklasse waren da schon weiter und hatten auf einen Start zugunsten eines Herbstmarathons verzichtet. Diesem Beispiel folgten dann auch noch Klasseleute wie Merga oder Goumri durch einen frühen Ausstieg aus dem WM-Rennen.
Ex-Weltmeister und Mitfavorit Gharib war trotz Meldung erst gar nicht am Start erschienen.
In Anbetracht der äußeren Bedingungen entwickelte sich vom Start weg ein schnelles Rennen mit 3 Minutensplits für die ersten km, 91 Läufer machten sich auf die Strecke, 70 erreichten am Ende das Ziel. Als Schlusslicht lief dabei Wangchuk Sangay in 2:47:55 sogar einen Landesrekord für Bhutan.
Die 5 km Marke wurde in 15:09 passiert und deutete auch ohne Tempomacher auf ein schnelles Rennen. 10 km in 30:08, 15 km in 44:57 und 20 km in 59:42 dokumentieren eine beeindruckende Temposteigerung, der nach 15 km immer mehr Läufer einer großen Spitzengruppe zum Verhängnis wurde.
Nach 16 km waren mit Kirui, Mutai, Cheruiyot, Kebede, Merga, Disi und dos Santos nur noch sieben Läufer an der Spitze, zu der der Äthiopier Chimsa bei 20 km noch einmal kurz aufschloss. Die deutschen Teilnehmer
lagen da schon weit zurück (10 km 31:32) und befanden sich anfangs mit einer realistischen Marschtabelle auf Kurs um die 2:13. Ab 15 km plagte sich Falk Cierpinski mit Seitenstichen, so dass er den Anschluss an die beiden deutschen Starter Pollmächer und Beckmann nicht mehr halten konnte.
Die Spitze passiert die Halbmarathonmarke in außergewöhnlich guten 1:03:03, was eine tolle Zeit im Ziel erwarten ließ. Das Tempo blieb hoch und bei 25 km in 1:14:38 waren Chisma, dos Santos, aber auch der Mitfavorit Kebede aus der Kopfgruppe zurückgefallen.
Überraschend, dass mit Disi aus Ruanda immer noch ein Läufer vorn mitrannte, der im Frühjahr in Paris seine Bestzeit von nur 2:12:51 erzielte, allerdings auf den Unterdistanzen recht stark ist (10 km 27:22). Bei 28 km holen den wackren Mann aber die Realitäten ein, völlig entkräftet muss er das Rennen beenden. Die Spitzengruppe bestand jetzt noch aus vier Läufern, Kirui, Mutai, Cheruiyot und Merga, die 30 km in 1:29:43 passierten, man war etwas langsamer geworden. Der Rest des Rennens entwickelt sich zu einem Ausscheidungsrennen, bei dem zunächst der mehrfache Boston- und Chicago-Marathon-Sieger Cheruiyot (31 km), dann der diesjährige Houston- und Boston-Marathon-Sieger Merga (32 km) zurückfielen.
Nach 35 km in 1:44:56 bei 37 km der entscheidende Antritt mit dem sich Kirui von Mutai lösen kann, der kurz danach mit erheblichen Magenproblemen zu kämpfen hat, sich aber letztlich den zweiten Platz bis ins Ziel sichern kann. Neuer Weltmeister wird nach Passieren der 40 km Marke in 2:00:10 (ein fast exakter 3 Minuten/km Schnitt) Abel Kirui, der das Ziel am Brandenburger Tor in 2:06:54 erreicht. Das ist ein neuer Meisterschaftsrekord und angesichts der äußeren Bedingungen eine hervorragende Zeit.
In 2:07:48 gewinnt Mutai Silber, und Bronze geht – wie bei den Olympischern Spielen in Beijing – an Kebede in 2:08:35, der seine Aufholjagd in der Schlussphase etwas zu spät begann.
Die deutschen Läufer schlugen sich recht wacker, obwohl man im Vorfeld bessere Zeiten erwartet hatte. André Pollmächer erreichte das Ziel als 18. in 2:15:36, wird danach seine aktive sportliche Laufbahn (leider) beenden. Martin Beckmann wurde 34. in 2:18:08, und Falk Cierpinski lief als 50. in 2:22:36 ein. Richtig gequält haben wird sich der vierte Deutsche, Thomas Sauter, der mit kaum erwähnenswerten 2:35:43 66. wurde.
Allein die letzten beiden 5 km Abschnitte in jeweils deutlich über 20 Minuten belegen, wie schwer ihm die Schlussphase gefallen sein muss.
Abschließend noch einige Anmerkungen zur dieser Veranstaltung. Die Entscheidung mit dem Marathon (und auch dem Gehen) vom Stadion in die Stadt zu ziehen war sicher gut. Der gesamte Rahmen, die Stimmung an der Strecke und die Zuschauerresonanz ausgezeichnet.
Dass allerdings 700 000 Zuschauer das Ereignis verfolgten, kann stark angezweifelt werden, denn das wären 70 Zuschauer pro Meter auf der hermetisch durch Gitter gesperrten Strecke; diese Werte wurden noch nicht einmal am Fokus des Geschehens im Bereich Unter den Linden und am Brandenburger Tor erreicht. Aber trotzdem konnten sich alle Athleten der stimmungsvollen Unterstützung vom Streckenrand sicher sein.
Abgesehen von der Sperrung der Strecke, die man schon eine Stunde vor dem Start (von 90 Läufern!) nicht mehr passieren konnte, konnte der Lauf von der sportlichen Seite diesem immensen Aufwand nicht entsprechen.
Neben den sehr guten Zeiten der Erstplazierten war der Lauf von der leistungssportlichen Komponente eher bescheiden. 7 Läufer unter dem internationalen Qualifikationsstandard von 2:13 sind im Vergleich zu vielen Stadtmarathons eher zweitklassig denn WM-tauglich. Dies belegt auch das Mittel der zehn besten Zeiten von
2:10:56, das sehr deutlich im Vergleich zu den international führenden Marathonläufen abfällt.
Der Hinweis auf ein Meisterschaftsrennen ist diesbezüglich kaum zu akzeptieren, auch angesichts der Arroganz, mit der die IAAF sehr eigenmächtig derartige Veranstaltungen durchzieht. Nicht nur das Wohl der Athleten ist hier zweitrangig, die vielfach geführten Diskussionen zur Startzeit sollen hier nicht noch weiter kommentiert werden. Sehr viele Marathonläufer der internationalen Klasse haben diesbezüglich bereits ihre Konsequenzen
gezogen, die Stadtmarathons im Herbst werden der IAAF zeigen, wo das Leistungsniveau des WM-Marathons einzuordnen ist.
Dazu gehört auch die Beobachtung am Rande der Strecke, an der ein IAAF Offizieller eine kleine japanische Gruppe aufforderte, ihre kleinen Fahnen zur Anfeuerung eines japanischen Läufers zu entfernen, da diese ein Logo eines nicht IAAF-konformen Sponsors enthielten. Mit erheblicher Irritation und Unverständnis wurden die Fahnen kurz eingeholt, um sie aber kurz danach zur Anfeuerung der Läufer wieder einzusetzen. Damit trugen unsere japanischen Freunde zum Gelingen einer WM bei, die in vielfacher Hinsicht dem „Sommermärchen“ der
Fußballer vor zwei Jahren in nichts nachstand.
Ein tolles und faires Publikum im Stadion und an der Strecke erlebte sportliche und emotionale Momente von historischer Dimension und zeigte eindrucksvoll, welche Völker verbindende Kraft die Leichtathletik entwickeln kann.
Die IAAF sollte sich daran ein Beispiel nehmen.
Helmut Winter
MEN'S MARATHON
1) Abel Kirui (KEN), 2:06:54*, Gold
2) Emmanuel Mutai (KEN), 2:07:48, Silver
3) Tsegay Kebede (ETH), 2:08:35, Bronze
4) Yemane Tsegay (ETH), 2:08:42
5) Robert Kipkoech Cheruiyot (KEN), 2:10:46
6) Atsushi Sato (JPN), 2:12:05
7) Adil Ennani (MAR), 2:12:12
8) José Martínez (ESP), 2:14:04
9) José Moreira (POR), 2:14:05
10) Luís Feiteira (POR), 2:14:06
U.S.
24) Dan Browne (USA), 2:16:49
36) Matt Gabrielson (USA), 2:18:41
63) Nate Jenkins (USA), 2:32:16
Justin Young (USA), DNF
Edwardo Torres (USA), DNS
*World Championship record (previous, 2:08:31, Jaouad Gharib (MAR), 2003 Paris)
World Cup Team Competition
1) Kenya, 6:25:28
2) Ethiopia, 6:32:26
3) Japan, 6:41:05
13) USA, 7:07:46
15 scoring teams (top 3 by total time)