Unser Mann ist Kenenisa Bekele. Nach dem doppelten Titelgewinn über 5.000 und 10.000 m in Peking wiederholte er diesen Erfolg im Berliner Olympiastadion. Vom Tempoläufer Zersenay Tadesse aufs Äußerste gefordert, sorgte er mit 26:46 min für die 10.000 m für das beste Ergebnis auf den Mittel- und Langstrecken.
Deutsche Läufer zweitklassig – Manfred Steffny in SPIRIDON
Der Deutsche Leichtathletik-Verband ist nicht der Verlierer dieser Weltmeisterschaft.“ Dies verkündete Sportdirektor Jürgen Mallow schon zur Halbzeit in Berlin. Neun Medaillen sind es geworden. Jeden Tag eine Medaille für die neun Tage, so wie es die größten Optimisten verkündet hatten. Es wurde die erfolgreichste Ausbeute seit 1999 in Sevilla, wo das deutsche Team 12 Medaillen gewann.
Also kann man wieder zur Tagesordnung übergehen? Von wegen. Die Amerikaner sagen zur Leichtathletik „Track and Field“. Track hat demnach bei uns erneut nicht stattgefunden. Acht von neun Berliner Medaillen stammen aus dem Bereich Wurf und Sprung und Siebenkampf. Kein einziger Läufer, keine einzige Läuferin ist in einem Einzelwettbewerb unter die ersten Acht gekommen. Das ist die schlechteste Bilanz deutscher Läufer bei internationalen Meisterschaften seit 1896. Nur die 4×100-m-Staffel der Frauen gewann eine Bronzemedaille.
Bei einer solchen Amputation müssen doch die Alarmglocken schellen.
Auch um die Moral im deutschen Läuferlager ist es schlecht bestellt. Wenn von sechs nominierten Marathonläuferinnen für den Weltcup nur zwei ins Ziel kommen, die anderen sich vorher oder im Rennen dünne tun, dann stimmt etwas nicht. André Pollmächer, der beste deutsche Marathonläufer bei der WM, erklärte unmittelbar danach mit 26 Jahren sein Karriere-Ende. Die 1.500-m-Läufer Carsten Schlangen und Stefan Eberhard wirkten nach den Qualifikationsschlachten ausgebrannt, Robin Schembera fiel im 800-m-Vorlauf über die eigenen Beine. Der Hindernisläufer Steffen Uliczka wärmte sich mit indiskutablen 8:37 min für den Berliner Champions-Run der Volksläufer auf, den er dann gewann. Jana Hartmann blieb wenigstens auf ihrem Niveau, als sie im 800-m-Vorlauf ausschied.
Die einzigen Steigerungen im Laufbereich brachten Antje Möldner mit zwei deutschen Rekorden über 3.000-m-Hindernis und die 100-m-Läuferinnen, wobei Verena Sailer immerhin bis ins Halbfinale vorstieß und als Schlussläuferin der Staffel wesentlich zum Bronzemedaillengewinn beitrug.
Hinzufügen kann man noch die Siebenkämpferin Jennifer Oeser, die Silber gewann und im abschließenden 800-m-Lauf immerhin trotz eines Sturzes 2:14,34 min lief.
Zwar blieb mit Italien ein großes europäisches Leichtathletik-Land ohne jeglichen Medaillengewinn unter den über 200 teilnehmenden Nationen. Aber die west- und ostdeutsche Tradition zusammen ergibt nach dem Aussterben der Leistungsträger aus den späten 80er und frühen 90er Jahren teilweise einen bitteren Cocktail mit dopingbelasteten Trainern und deren verbiesterte Athleten vom Schlage eines Robert Harting (Jung-Version) oder Franka Dietzsch (Alt-Version).
Fast alle erfolgreichen Athleten sind Einzelkämpfer und nicht auf dem Mist einer DLV-Förderung gewachsen.
Die neue Macht ist Jamaika als Land mit sieben Goldmedaillen, von denen alleine der überragende Einzelkönner Usain Bolt an dreien beteiligt war. Mit Mühe behauptete sich der übermächtige Nachbar USA mit zehn mal Gold an der Spitze der Medaillenwertung. Die Doping-Frage dominiert in diesen Tagen, auch und gerade in Jamaika, wo positive Tests im Sprinterlager reingewaschen wurde. Wenn man sieht, wie die Sportministerin des Inselstaats, der Dopingbeauftragte Dr. Herb Elliott und die Athleten sich herzen und gemeinsam auftreten, so fragt man sich, wo ist hier die Trennung der Gewalten, die unabhängige Kontrolle, wie sie in demokratischen Staaten selbstverständlich ist? Da scheint doch die Kungelei offensichtlich. Dorfrichter Adam aus Kleists zerbrochenem Krug lässt grüßen.
Unser Mann ist Kenenisa Bekele. Nach dem doppelten Titelgewinn über 5.000 und 10.000 m in Peking wiederholte er diesen Erfolg im Berliner Olympiastadion. Vom Tempoläufer Zersenay Tadesse aufs Äußerste gefordert, sorgte er mit 26:46 min für die 10.000 m für das beste Ergebnis auf den Mittel- und Langstrecken.
Dennoch hat sich in einer Medaillenwertung für Mittel- und Langstreckenlauf Kenia klar abgesetzt. Mit elf Medaillen, darunter vier goldenen, liegt man in jeder Form der Wertung auch in der Gesamtbilanz an Platz vier vor Deutschland. Aderlässe von Aufkäufern aus der Golfregion hat man verkraftet und den Nachbarn Äthiopien eindeutig distanziert. Die Äthiopier schienen aber das Pech dieser Weltmeisterschaft gepachtet zu haben. Die Doppel-Olympiasiegerin Tirunesh Dibaba konnte wegen Verletzung nicht antreten, ebenso nicht ihr Ende Oktober angetrauter Mann Sileshi Sihine. Mitfavoriten wie Gelete Burka über 1.500 m und Dire Tune im Marathonlauf fielen aufgrund von Stürzen nach Rempeleien aus.
Äthiopiens Aushängeschild Haile Gebrselassie geht wie so mancher Top-Marathonläufer einschließlich des Kenianers Samuel Wanjiru und der Deutschen Irina Mikitenko seine eigenen Wege. In früheren Jahren konnte Äthiopien dank einer zentralen Förderung in Addis Abeba Ausfälle stets durch frisches Blut ausgleichen. Pech alleine ist am Rückschlag nicht schuld. Ein Generationenkonflikt der Trainer scheint hier für Stagnation zu sorgen. Im Moment sieht es besser aus für Kenia mit mehreren Schwerpunkten in Nairobi, Eldoret und Iten.
Die politische Krise des Jahres 2008 mit Stammesfehden hat die sportlichen Erfolge nicht beeinträchtigt.
Wo bliebe Russland ohne seine drei Siege im Gehen? Dopingskandale haben die Leistungskraft der einstigen Leichtathletik-Macht unterhöhlt, ähnliches gilt für die Nachbarn Weißrußland und Ukraine. Und auch die Chinesen, die sich bei den Olympischen Spielen in Peking als stärkste Sportmacht feiern ließen, mussten bis zum letzten Tag warten, um durch die 20-jährige Xue Bai im Marathon zu einem Sieg zu kommen.
Bliebe noch der traurige Fall von Caster Semenya aus Südafrika zu erwähnen. Die Geschichte der Intersexualität im Sport ist länger als bekannt. Immer wieder hat es Hermaphroditen oder Zwitter gegeben, die zum Teil die äußeren Geschlechtsmerkmale einer Frau aufwiesen, aber hormonell zwischen den Geschlechtern standen. Feministinnen finden die Verdächtigungen gegenüber der im 800-m-Lauf hoch überlegenen Semenya diskriminierend.
Man kennt das: der Zeitgeist packt Außenseiter in Watte. So ist der seit den 70er Jahren bis 2000 übliche Geschlechtstest gestrichen worden, der ja aus Gründen der Fairness und der Gerechtigkeit ebenso wie die Dopingtests eingeführt worden ist. Nur in begründeten Fällen wie bei der 800-m-Ersten von Berlin werden noch Chromosom-Tests angeordnet.
In manchen Kreisen mag es egal sein, ob jemand die Herren- oder die Damentoilette benutzt, nicht aber im Sport, wo Doping und Vermännlichung gerade für den Frauensport eine ernste Gefahr bedeuten. Eines der Argumente zur fragwürdigen Freigabe des Anabolika-Dopings war ja, dass damit der hormonelle Vorteil z.B. von Frauen aus dem Balkan mit mehr Testosteron im Blut und Tendenz zum Damenbart durch äußere Verabreichung dieser Hormone ausgeglichen werden sollte und konnte. So hat sich expressis verbis der frühere Leipziger Arzt Dr. Aloys Mader ausgedrückt.
Das Image des Frauensports lebt von der Weiblichkeit. So kann man dem Kugelstoßen der Frauen wieder zusehen, seit die Spitze zwei Meter weniger weit stößt. Und Vater und Mutter können ihre Töchter wieder zur Leichtathletik schicken, seit die physischen oder chemischen Mannweiber auf dem Rückzug sind.
Manfred Steffny in SPIRIDON – September 9/2009