Caster Semenya: für den Gewinn einer Goldmedaille missbraucht
Caster Semenya – Missbraucht für Gold – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
20. September 2009 Der südafrikanische Leichtathletikverband (Asa) hat sehenden Auges den Skandal um die 800-Meter-Läuferin Caster Semenya riskiert und eskalieren lassen. Am Wochenende forderten mehrere Politiker des Landes deshalb den Rücktritt von Verbandspräsident Leonard Chuene.
Die südafrikanische Zeitung „Mail & Guardian“ hat E-Mails veröffentlicht, die beweisen, dass im Verband schon vor dem Titelgewinn von Caster Semenya in Berlin Zweifel daran bestanden, dass sie tatsächlich für ein Frauenrennen startberechtigt sei und dass Asa sie deshalb einem Geschlechtstest unterzog. Chuene und südafrikanische Regierungspolitiker hatten dies stets bestritten und dem Weltverband IAAF vorgeworfen, die Achtzehnjährige zu diskriminieren und ihre Würde und Integrität verletzt zu haben.
Der südafrikanische Sportminister Makhenkesi Stofile drohte in der vergangenen Woche der IAAF noch mit ernsthaften Konsequenzen für den Fall, dass sie Caster Semenya für Frauenrennen sperre. Eine australische Zeitung hatte berichtet, dass die Berliner Untersuchung von Caster Semenya, vorgenommen vor dem Endlauf über 800 Meter, Intersexualität festgestellt habe.
Caster Semenya hatte bei der WM nach ihrem deutlichen Sieg in 1:55,45 Minuten nicht an der Pressekonferenz teilnehmen dürfen. Bis heute hat die IAAF das Ergebnis der Untersuchung nicht veröffentlicht. Demonstrativ hatte der südafrikanische Präsident Jacob Zuma die Läuferin bei ihrer Heimkehr empfangen; Politiker der Regierungspartei ANC hatten dem Westen Rassismus und neokolonialistisches Verhalten vorgeworfen und von IAAF-Präsident Lamine Diack verlangt, dass er nach Südafrika komme, um sich persönlich zu entschuldigen.
Verbandspräsident Leonard Chuene: Das ganze Land belogen
Der stellvertretende Sportminister Gert Oosthuizen fordert nun den Rücktritt des Verbandspräsidenten. „Mr. Chuene hat nicht nur das Ministerium belogen, sondern das ganze Land“, sagte er. „Das ist nicht akzeptabel.“ Oppositionspolitiker Donald Lee von der Democratic Alliance warf dem Verband vor, Caster Semenya für den Gewinn einer Goldmedaille missbraucht zu haben. „Sie haben nicht an ihre Zukunft gedacht und nicht an die Verletzungen, die sie erleiden würde“, sagte er. „Chuene sollte gehen. Chuene hätte schon vor langer Zeit gehen sollen.“ Weitere südafrikanische Politiker forderten seinen Rücktritt und die Einberufung einer Untersuchungskommission.
In den veröffentlichten E-Mails schreibt Verbandsarzt Harold Adams – der auch Arzt des südafrikanischen Präsidenten Zuma ist – am 5. August mit Kopie an Chuene dem Asa-Generalsekretär Molatelo Malehopo, dass er eine gynäkologische Untersuchung noch vor der WM empfehle. Malehopo gab demnach eine positive Antwort. Als die Tests in der Medforum Medi-Clinic in Pretoria vorgenommen wurden, soll Caster Semenya in dem Glauben gelassen worden sein, sie unterziehe sich einer Doping-Probe.
Wegen dieses Vertrauensbruchs ist Nationaltrainer Wilfried Daniel bereits vor zwei Wochen zurückgetreten.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 20. September 2009