Franka Dietzsch hatte, wenn man so will, bereits mit dem ersten Versuch alles klar gemacht. Der ging gleich auf 64,89 m hinaus. Der alte Werfertrick, mit dem ersten Wurf die Konkurrenz zu schocken, hatte mal wieder geholfen
Der goldene Schock – Unverhofftes Gold für Franka Dietzsch – Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung
Laufen können sie nicht mehr, aber werfen. Die Abteilung Wurf des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) steuerte am Donnerstagabend bereits die dritte Medaille für das DLV-Team bei. Franka Dietzsch, 37, aus Neubrandenburg wurde mit 66,56 m aus dem vierten Versuch des Finales zum zweiten Mal nach 1999 Weltmeisterin im Diskuswurf.
Damit ging eine vierjährige sieglose Zeit bei Weltmeisterschaften für die Deutschen zu Ende. Die letzten Titel hatten 2001 in Edmonton Hochspringer Martin Buß und Dietzschs Diskuskollege Lars Riedel gewonnen.
Mit dem Erfolg der Mecklenburgerin wurde auch die miese Bilanz der Olympischen Spiele 2004 (Silber für Steffi Nerius/Speer und Nadine Kleiner/Kugel) übertroffen. Auf die Medaillenplätze setzten sich gestern die Favoritin und Olympiasiegerin Natalja Sadowa (Russland/64,33 m) und die Weltjahresbeste aus der Tschechischen Republik, Vera Cechlova (63,00 m). Der Wettbewerb war am Dienstag wegen des Unwetters abgebrochen und neu angesetzt worden.
Der alte Werfertrick
Franka Dietzsch hatte, wenn man so will, bereits mit dem ersten Versuch alles klar gemacht. Der ging gleich auf 64,89 m hinaus. Der alte Werfertrick, mit dem ersten Wurf die Konkurrenz zu schocken, hatte mal wieder geholfen. Sadowa warf zwar auch beim Auftakt ihre beste Weite, sie blieb indes von Anfang an auf Distanz.
Für Dietzsch ging es hingegen nach zwei weiteren 64-m-Weiten – insgesamt hätten vier Würfe zum Sieg gereicht – im vierten Durchgang über die 66 Meter hinaus. Ihr Trainer Dieter Kollark auf der Tribüne direkt hinter dem Wurfkäfig kommentierte den Siegeswurf so: „Als der Wurf rauskam, konnte man schon an der Körpersprache sehen, was da für eine Dynamik drin war. Saisonbestleistung bei diesen Bedingungen, das ist schon was.“
Denn wie an den vergangenen Abenden hatte pünktlich zum Beginn der Abendsession der Regen begonnen. Böiger Wind machte aus 14 Grad gefühlte acht. Obwohl Dietzsch am liebsten vor zwei Tagen geworfen hätte, erschien sie bestens vorbereitet.
Dem Zufall keine Chance
Trainer Kollark hatte ihre Schuhe neu besohlen lassen und sie mit Haftspray versehen. Wegen des vom Regen schlüpfrigen Ringes waren die beiden auf Nummer sicher gegangen. Dem Zufall sollte keine Chance gegeben werden.
Dietzsch konnte sich den Luxus leisten, auf den letzten Durchgang zu verzichten. Anschließend nahm sie jeden in die Arme, der sich ihr in den Weg stellte, voran sämtliche Kampfrichter. Auf einer kleinen Ehrenrunde mit der Tschechin Cechlova war ihr Glück deutlich sichtbar, nur eine Nationalflagge, die bei den Triumphrunden gern geschwenkt wird, reichte ihr niemand.
Danach musste sie sich in der Mixed Zone, in der es Journalisten ermöglicht wird, mit den Athleten zu reden, in einem chaotischen Gedränge behaupten. Deutsche Medien hatten halt auch lange nichts mehr zu feiern.
Der Sieg in Helsinki beendete eine Serie des Misserfolgs. Bei den internationalen Meisterschaften der vergangenen drei Jahre war die Weltmeisterin von 1999 entweder wegen Verletzung gar nicht dabei (EM 2002) oder bereits in der Qualifikation ausgeschieden (WM 2003, Olympia 2004).
„Nach den Wechselbädern der vergangenen Jahren waren wir bereits ausgemustert, jetzt sind wir Weltmeister – vielleicht wird uns der Verband nun besser behandeln“, sagte ihr Trainer. Kollark, Betreuer nun bei fünf WM-Siegen für Astrid Kumbernuss (dreimal Kugel) und Franka Dietzsch, konnte sich in der Stunde des Triumphs diesen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen.
» Jetzt kommen meine guten Jahre «
Der DLV hatte Dietzsch, älteste Diskusmeisterin bei Weltmeisterschaften, wie die Speerwurf-Olympiazweite Nerius, aus Altersgründen nicht mehr dem Olympiakader für Peking zugeordnet. Daraufhin reagierte die Betroffene trotzig: „Jetzt kommen meine guten Jahre.“
Um ein Haar hätten die Deutschen an diesem Abend noch eine Medaille gewonnen. Die Hürdensprinterin Kirsten Bolm aus Mannheim verpasste beim Rennen über 100 m (Siegerin Perry-USA/12,66) Bronze als Vierte (12,82) nur um sechs Hundertstelsekunden. „Darüber darf ich mich nicht ärgern, ich muss sowieso erst verdauen, dass ich in einem WM-Finale stand“, sagte die in diesen Jahr zur Weltelite aufgestiegene deutsche Meisterin.
Bolm war endlich einmal verletzungsfrei über den Sommer gekommen. Ein dritter deutscher Finalist an diesem Abend konnte mit seinem Abschneiden nicht zufrieden sein: Sprinter Tobias Unger blieb als Siebter und Letzter über 200 m (Sieger: Gatlin-USA/20,04, damit erster Doppelsieger in Helsinki) in 20,81 Sekunden ein wenig hinter den Erwartungen zurück.
Den letzten Platz hätte der einzige Weiße und Europäer im Endlauf gern vermieden und Rang sieben auch: „Den hatte ich schon bei den Spielen in Athen.“ Die ungünstige Konstellation für den Schwaben war nach dem verletzungsbedingten Ausfall des 19-jährigen Jamaikaners Usain Bolt nach etwa 120 Metern zustande gekommen.
Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung vom 12. August 2005