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25
09
2009

Er - ein Einzelgänger mit dickem Kopf ("Ich brauche keinen Trainer, ich weiß wie ich laufen muss"), Extratouren und schrägen Ideen - mochte sie nicht, weil sie ihn seinen Weg nicht gehen ließen.

Armin Hary wird 70 – Die Magie der 10,0 – Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung

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Sein Image: Einzelgänger und Querkopf. So blieb ihm die uneingeschränkte Akzeptanz verwehrt. Zeitzeugen feierten ihn als "größte Sprintbegabung aller Zeiten".

Wie Simson über die Philister sei er über seine Gegner gekommen.

Dieses Gleichnis wählte der Hamburger Journalist Knut Teske, als er vor drei Jahren überlegte, die Geschichte der kurzen, aber heftigen Karriere von Armin Hary niederzuschreiben, des Olympiasiegers von Rom 1960 über 100 Meter und 4×100 Meter. Teske fand selbst vier Jahrzehnte nach den Großtaten des saarländischen Sprinters tatsächlich Verlage mit Interesse an dem Stoff.

Dass der Druck jetzt noch Sinn ergeben würde, war nicht zu erwarten gewesen, schien doch der einst schnellste Mensch der Welt allgemeinem Vergessen anheim gefallen zu sein. Diesen Eindruck vermittelte das ZDF, als es Ende 2004 glaubte, die 100 besten Sportler des Jahrhunderts ermitteln zu müssen und den Jahrhundertsprinter aus Quierschied, den einzigen deutschen Weltrekordler der leichtathletischen Königsdisziplin, auf Rang 75 präsentierte – hinter einer nur in Pferdeställen bekannten Dame des Voltigiersports.

Wer so viel geballte Ignoranz als Beleg für die Vergänglichkeit des Spitzensports heranzieht – und für den Hang des Deutschen zum eher angepassten Sportkameraden -, mag sogar im Recht sein.

Jemand wie der Boxer Max Schmeling, der Fußballer Fritz Walter oder die Tennisspielerin Steffi Graf war Armin Hary nun mal nicht. Aber wohl einer wie Simson, nur dass er nicht wie der Sohn Zoras tausend Philistern die Stirn bot, sondern gerade mal zehn Kontrahenten in den Finals der EM 1958 und der Spiele 1960 sowie im Verlauf seiner nur drei Sommer währenden internationalen Karriere annähernd so vielen Funktionären.

Er – ein Einzelgänger mit dickem Kopf ("Ich brauche keinen Trainer, ich weiß wie ich laufen muss"), Extratouren und schrägen Ideen – mochte sie nicht, weil sie ihn seinen Weg nicht gehen ließen. Und sie stemmten sich gegen ihn, weil sie noch verhaftet waren in überholten Verhaltensmustern, nicht erkennen wollten, dass ihnen der erste wahrhaftige Leichtathletikprofi gegenüberstand.

Professionalismus damals: igitt, das galt als unfein, schmutzig gar. Dirty Hary.

Hary war nicht Liebling der Massen. Vermutlich wollte er auch nicht geliebt werden.

Nur Respekt einfordern für die Mittel, die ihn, den Jungen aus bescheidenem Umfeld, an sein anno '57/58 noch opportunes Ziel bringen sollten: Ausbruch aus der Enge der Verhältnisse mit Hilfe der höchsten Meriten des Sports. Als der Sprinter aus dem Nirgendwo 1958 Europameister wurde, staunte der Sportfreund, aber er jubelte nicht. Keine erdrückende Vereinnahmung auch 1960 beim zweimal erzielten, indes nur einmal gewerteten 10,0-Sekunden-Weltrekord in Zürich.

Die Magie der Zehnnull löste keinen nationalen Rausch aus. "Wir sind 10,0" war nirgends zu lesen.

Ja, selbst das doppelte Olympiagold von Rom bedurfte des Abstands eines halben Jahrhunderts und der in dieser Zeit gesammelten Erkenntnisse über den nationalen und internationalen Sprint, um ein objektives Bild der von subjektiv-spießigen Empfindungen überlagerten Leistung Harys entstehen zu lassen. "Erst jetzt wird das Einmalige, das Unwiederholbare seiner Klasse deutlich", schreibt Teske. Seine Story sei "wie ein Urknall aus fernen Zeiten und Welten". Heinz Fütterer, Sprint-Idol Mitte der fünfziger Jahre, nannte Hary "die größte Sprintbegabung aller Zeiten, auch die Schwarzen heute hätten keine Chance".

Wie sein gleichaltriger Freund und Weggefährte Martin Lauer, früherer Hürdenweltrekordler und Schlussläufer der deutschen Goldstaffel von Rom, hat Armin Hary seine Sportkarriere wegen eines Unfalls vorzeitig beenden müssen. Schon 1961 rannte er nicht mehr.

Dass seine Laufwege im Leben nach dem Sport frei waren von Hindernissen, würde Armin Hary selbst, der an diesem Donnerstag 70 Jahre alt wird, im Übrigen nie behaupten wollen.

Michael Gernandt in der Süddeutschen Zeitung. dem 22. März 2007

author: GRR

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